Mein Leben ohne

8 2 0
                                    

Ich wachte auf. Nichts Besonderes – ein Tag, so wie er immer war. Und doch, doch war etwas anders. Etwas war da, dass den Tag anders machte, wodurch dieser Tag nicht so war, wie all die jenen, die sonst immer herrschten. Einer, der sagt, dass heute etwas ist, wodurch man ihn unterscheidet. Auch wenn man es vielleicht wissen will, gerade aus dem Grund, da man die Spannung in der Luft förmlich sehen konnte und alles nur danach lechzte diese kleine Information sein eigen nennen zu wollen, war es mir so unbedeutend zu wissen was es war. So schritt ich den Tag fort - nicht anders, so wie immer. Schrecklich war das Gefühl zu ersticken an der Luft, die ich ein- und ausatme und die so sehr viel schwerer und erdrückender war als wie ich es von ihr kannte. Es war, als würde sie mich dazu zwingen endlich zu akzeptieren, dass heute etwas war, was mir so vorher nicht klar war. Schwer seufzend gab ich also dem Druck nach und öffnete die Augen, um das Ereignis zu betrachten, durch welches der Tag so an Besonderheit gewinnen sollte. Das grelle Licht, welches wie immer von oben hinabfiel, zwang mich zu blinzeln, wodurch ich nur mühselig sehen und die Farben anfangs nur verschwommen, so als würde man durch Wasser blicken, erkennen konnte. Allmählich kam ich immer mehr zur Besinnung. Mein Gehirn war vollständig einsatzfähig, doch gleichzeitig so leer wie jeden Tag. Dennoch bekam ich mit worum es ging, aus welchem Grund alle, die um mich herum waren, so viel und aufgeregt miteinander redeten. Obwohl es mir wie egal sein wollte, da es mir schließlich immer egal war, denn es änderte sich nie und war dementsprechend stets gleich, erregte es am heutigen Tage meine Aufmerksamkeit. Mir selbst einredend es sei ungewollt und insbesondere nicht zu verhindern, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Worte, die mir mitteilten, dass ich etwas beenden sollte was angefangen wurde. Zweifels ohne, es war nicht wirklich schwer, ganz im Gegenteil. Eine kleine Geschichte oder Anekdote, schon ein einziges Wort wäre genügend, um zu beenden, was begonnen wurde. Mich schwer tun kramte ich in meiner Tasche, wühlte zwischen verschieden Dingen umher von denen ich selbst, obwohl ich sie alle mein nennen konnte, nicht befähig war zu beurteilen, um was es sich handelte. Immer tiefer verschwand meine Hand mit samt meinem Arm in der Tasche, die zu meinen Füßen auf dem Boden stand und sich bis vor wenigen Augenblicken keinen einzigen Millimeter bewegt hatte, und kam erst dann wieder hervor, als sie dies festhielt, was sie gesucht hatte. Ich führte den Stift zum Papier und schrieb die Worte, die den Anfang von dem, was ich und wir alle anderen beenden sollten, ab. Mein Leben ohne, stand dort nun in blauer Farbe auf dem einigermaßen weißem Blatt, welches mit grauen Linien überzogen war und nur darauf wartete, dass weitere Wörter es schmückten. Wenn ich diese drei Wörter lese, so schießen mir binnen weniger Sekunden die verschiedensten Möglichkeiten in den Kopf, wie ich diesen kleinen aber dennoch bedeutenden Satz beenden könnte. Zuerst, so fielen mir die, ich erlaube mir zu sagen, klassischen Begriffe oder ganz einfach ausgedrückt die Standartantwort, ein. Mein Leben ohne Liebe, Freundschaft, Familie, Essen, Schlaf oder Handy beziehungsweise Technik im Sinne vom Internet und sozialen Netzwerken. Doch schon gleich bei dem zweiten Versuch den Satz zu beenden, dann, wenn ich ihn nicht zum ersten mal gehört hatte und ich die erst besten Antworten außer Acht ließ, so fielen mir weitere Wörter ein, die den Platz vor dem Punkt des Satzes, der dann aus vier Worten besteht, einnimmt. Dies brachte mich zu den Wörtern Musik, Dir, Bücher und Schokolade. Letzteres hat vermutlich jedoch nur mit meinem Magen zu tun, der ein Loch besitzt, welches zu meinem Wohlergehen gestopft werden sollte, weshalb man immer wieder komische Geräusche, durch die ich nicht nur einen blöden Blick abbekam, von sich. Trotz alldem sollte ich mich nun wieder um das wesentliche kümmern. Dadurch, dass ich auf die drei Wörter aufmerksam gemacht wurde hatte ich sie in meinem Kopf und sie kreisten in diesem, auf der Suche nach einem Lückenfüller, umher. Zu dem Erstaunen meinerseits dauerte es nicht lange, vielleicht eine Minute, ich müsste lügen, wenn ich es genau sagen würde, bis mir eine Vielzahl an neuen, weiteren Wörtern im Kopf schwirrten. Trauer, Wut, Hass, Fröhlichkeit, Eifersucht, Ehrfurcht, Leid, Krieg, Sexismus, Rassismus, Wissen, Zugehörigkeit, Unterschiede, Religion, Zukunft, Tod und Zeit. Es ist erstaunlich, wie viele Worte zusammengekommen sind. Insbesondere dann, wenn ich bedenke, dass nur ein einziges Wort die Möglichkeit hat den Schluss dieses Satzes zu bilden. Sobald ich die Vielzahl an Wörtern vor mein inneres Auge rufe, so ist meine kleine Anzahl ein Nichts in der Abhängigkeit auf das große Ganze.

Ich hielt inne, legte meinen Stift, den ich die ganze Zeit in meiner Hand hielt und welcher bereit war den Satz zu beenden, nieder. Erst jetzt machte ich mir erstmals Gedanken über die Aufgabe im allgemeinem. Aus welchem Grund war es so wichtig den Satz zu beenden? Erhoffte man sich so eine kleine Geschichte nach der anderen zuhören nur um dadurch einen eventuellen Einblick über das Leben des Verfassers zu erwischen, damit man ein Gefühl, das man nicht in einem Wort zusammenfassen kann, verspürt? Ein eher merkwürdiger Gedanke von mir, jedoch sicherlich gar nicht einmal so unwahr. Ich bemerkte, dass ich die Frage nur für mich allein beantworten konnte, denn jeder, jeder einzelner, der seinen Blick über die kleinen Buchstaben, die diese drei Wörter bildeten, geworfen haben, all diejenigen haben einen anderen, individuellen Weg gefunden den Satz zu beenden. Einen Satz, der auf dem ersten Blick so unbedeutend und unwichtig wirkte. Einen Satz, wie jeder anderer, den man einfach so dahinsagt, wie Hi, wie gehts dir?. Doch nun wurde mir klar, dass wenn ich den kleinen Satz um ein viertes Wort erweitere, dann können diese vier Wörter so viel von meinem Leben erzählen, so viel von mir Preis geben, dass ich mich beinahe nackt fühlen könnte. Und doch sind es nur Worte, die in einer anderen Anordnung etwas komplett anderes bedeuten könnten, etwas, dass nicht mein inneres zeigt, um die es sich handelt. Verblüfft stellte ich fest, dass die Aufgabe, die mir Anfangs noch so leicht erschien, plötzlich so anspruchsvoll wie keine andere war. Noch immer keine Antwort niedergeschrieben stellte ich fest, dass ein kleines, feines Grinsen mein Gesicht zierte. Nun hatte ich wahrhaftig begriffen, was das Detail war, welches diesen Tag von den anderen unterscheidet.

Mein Leben ohneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt