Ssssrrrrr ein schriller Ton durchfuhr Nevitas Zimmer. Bläuliches Licht erfüllte den Raum und das Mädchen riss die Augen auf. Nevita setzte sich langsam auf. Sie schaltete den Lichtschalter an und blinzelte heftig gegen das schmerzhafte Licht. Endlich setzte sie einen ihrer nackten Füße auf den kalten Boden und stand auf. Nevitas Zimmer war quadratisch und enthielt nicht mehr als ein Bett und einen Schrank. Ein eigenes Bad hatte sie nicht. Sie packte ein Handtuch, öffnete leise die Tür und huschte auf den Flur.
Im Bad war schon Licht, aber nur aus einer Duschkabine kam leises Plätschern. Nevita ging in die Dusche, die am weitesten davon entfernt war und drehte vorsichtig den Hahn auf. Das Heim in dem Nevita lebte hatte nämlich den schlechtesten Wasseranschluss, den man sich denken könnte. Man konnte nie einschätzen, wie das Wasser heute aussehen würde. Nevita duschte nicht jeden Tag, jedoch prüfte sie jeden Tag die Qualität des Wassers um möglichst dann zu duschen, wenn es keinen chemischen Geruch oder eine komische Farbe hatte. Heute war das Wasser sogar einigermaßen klar. Es hatte einen leichten Gelbstich, aber das war nicht besonders. Nevita ließ etwas in ihre Hand tröpfeln und roch daran. Es roch etwas nach Schwefel, aber das war okay, es gab viel schlimmere Dinge nach denen dieses Wasser riechen konnte, als Schwefel. Manchmal roch das Wasser so übel das Nevita überrascht war, dass noch nie jemand hier beim duschen gestorben war... Heute entschied sie also, sich waschen zu gehen und schmiss ihre Sachen auf eine Ablage.
Nevita duschte eiskalt wie immer. Sie würde auch nie mehr als 3 Minuten beim duschen brauchen. Selbst wenn sie ihre Haare wusch, wie heute. Sie kippte eine reichliche Menge an Shampoo in ihre Hand und verteilte schnell etwas in ihren Haaren und auch ein bisschen auf ihrem Körper. Sie ließ sich den Schaum herunterwaschen und drehte dann auch schon das Wasser aus. Sie wrang ihre kurzen Haare ein wenig aus und und schrubbte dann mit dem Handtuch darüber. Dann wickelte sie sich dieses Handtuch um den Körper und machte sich auf den Weg in Richtung ihres Raumes. Sie hoffte stark, auf dem Weg dahin keiner Person zu begegnen. Dieser Wunsch wurde ausnahmsweise sogar wahr. Nevita riss ihren Kleiderschrank auf, der ziemlich leer war. Sie suchte sich aus 3 Hemden ein blaues T-Shirt aus. Dazu zog sie eine schwarze Hose an. Neben ihrem Bett lag eine dunkelbraune Lederjacke mit hellblauem Futter. Nevita strich sachte über das weiche Leder. Sie liebte die Jacke über alles. Während sie diese anzog, fiel ich Blick auf ein Foto auf ihrem Nachttisch. Es war die einzige Erinnerung an ihre Eltern. Eine schlanke Frau, von der Nevita nur durch dieses Bild und Überlieferung der Heimleiter wusste, dass es ihre Mutter war, blickte mit entschlossenem Blick in die Kamera. Und sie trug eine Jacke, die Nevitas sehr nahe kam. Seit sie 6 war, hatte sich Nevita so eine Jacke gewünscht. Dafür hatte Nevita mit 12 angefangen zu arbeiten. Am Ende hatte sie die Jacke trotzdem geklaut. Bei diesem Gedanken huschte ein kleines Lächeln über ihre Lippen.
Nevita hob jetzt etwas auf, was erstmal aussah wie schwarzer Streifen aus Stoff, den sie um ihr Handgelenk legte, der jedoch zum Leben erwachte, als Nevita darauf tippte. Es stellte sich als ein biegsamer Bildschirm heraus, der Nevita die Zeit anzeigte und sie daran erinnerte, dass sie zum Frühstück musste. Schnell rannte sie die Treppe runter. Meistens schmeckte ihr das Essen eher nicht so, aber heute war sie irgendwie hungrig und freute sich über ihre Billig-Cornflakes.
Nach dem Frühstück rannte Nevita nocheinmal auf ihr Zimmer. Dort packte sie eine Tasche und beeilte sich dann, um noch rechtezeitig zur Schule zu kommen. In der Tasche befanden sich ein Block und ein Stift. Das meiste Papier war mitlerweile durch Displays ersetzt worden. Eigentlich fast alles... Aber Nevita liebte es, mit einem Stift auf Papier zu malen. Außerdem taten ihre Augen immer weh, wenn sie auf die immer kleiner werdenden Displays schaute und sie hatte das Gefühl, dass ihre Konzentration sank.
Bei einem Blick auf die Uhr nahm sie jedoch ihre Beine in die Hand. Ihre Schule war eigentlich nicht weit weg und sie hatte noch eine Viertelstunde Zeit, aber Nevita wusste, wie lange sie brauchen konnte, wenn sie mal wieder in Gedanken versank. Und das passierte eigentlich ständig. Sie lief einen langen Flur entlang. Aus einem Zimmer kam ein Mädchen namens Charlie und schlug ihr fast die Tür ins Gesicht. Eine Entschuldigung bekam Nevita nicht. Natürlich. Charlie hastete den Flur entlang und verschwand an dessen Ende. Aber es war normal, dass jeder hastete um aus jeder Sekunde etwas zu machen. Nevita biss sich auf die Lippen. Sie könnte wahrscheinlich auch mehr erreichen, wenn sie all ihre Zeit zum arbeiten nutzte, wie die meisten hier, aber Nevita hatte keine Lust, in einer Fabrik zu schuften, wenn man sie dort überhaupt annehmen würde. Nevita war nun am Ende des Flures. An einer Wand ging eine schwarze Tafel. "Heim für Kinder 2ten Grades in minderjährigem Alter, Erstes Obergeschoss" stand darauf geschrieben. Wie immer, wenn Nevitas Blick darauf fiel machte sie es wütend. Kinder 2ten Grades war eigentlich nur eine euphemistische Bezeichnung für Abschaum, Menschen die eigentlich nie geboren werden sollten, die gegen das Gesetz geboren wurden...
Um die Überbevölkerung zu vermindern wurden Geburtenkontrollen eingeführt. Ein Kind pro Familie war die Einschränkung und unehelich durfte das natürlich auch nicht sein. Natürlich war es immer wieder zu Verstößen gegen diese Regelung gekommen. Oft wurde nach Möglichkeiten für deren Bestrafung gesucht. Es kam zu Morden an den Kindern oder Eltern und vielen Verhaftungen, wogegen es jedoch natürlich Widerstand gab. So fand man heraus, dass es doch am sinnvollsten war, die Kinder in die unterste Schublade des inoffiziellen Kastensystem zu ordnen. Die Proteste verklangen, als niemand mehr ums leben kam und die Kinder würden die Berufe machen, die kein anderer wollte. Nevita war eines von diesen Kindern, wie alle anderen in diesem Heim. Sie war das zweite Kind ihrer Eltern gewesen. Immer wenn sie diese vermisst hatte, hatte man ihr eingeredet, dass ihre Geburt sowieso nicht geplant war und ihre Eltern froh waren, sie los zu werden. Nevita konnte und wollte das nicht glauben, aber sie hatte sich auch daran gewöhnt, dass ihre Eltern aus ihrem Leben ausgelöscht waren. Zwei Jungen kamen von dem zweiten Stock und liefen an Nevita vorbei, was sie daran erinnerte, dass sie sich beeilen wollte. Nevita blickte zu den beiden Jungs hinüber. Sie hatten kräftigen Arme, wahrscheinlich schufteten sie schon jeden Tag, obwohl Nevita sie vielleicht auf 14 Jahre schätzte.
Sie seufzte leise. Siebzehn Jahre alt war sie jetzt... Die Zeit war so unglaublich schnell vergangen. Nevita lernte nicht viel für die Schule, aber sie konnte ewig nachdenken. Während die Anderen ihre extrem geringe Freizeit an ihren "mobile bracelets", kurz MoBas (was, wenn man Nevita fragen würde, komplett bescheuert klang) verbrachten, lag sie meistens auf ihrem Bett und starrte an die Wand oder befasste sich mit Biohistorik, was kein Schulfach, aber eine der interessantesten wissenschaftlichen Richtungen überhaupt war. Biologie wie es einst definiert wurde war an der Schule kaum noch vorhanden. Sie lernten dort biologische Grundreaktionen, wie Fotosynthese oder Zellatmung kennen, sonst war alles zum Menschen. Biohistorik dagegen war das spannenste überhaupt. Damals gab es noch viele Tier- und Pflanzenarten. Es gab immer noch vereinzelt Pflanzen in den Städten, die verzweifelt versuchten, die Luft atembar zu halten, Tiere dann schon weniger. Als Nevita ganz jung gewesen war, hatte es noch viele Tiere gegeben, von denen Fleisch und Milch genommen worden war. Ein Wissenschaftler namens Dr. Prof. med. wasauchimmer. Jowield Rickson hatte dann erfunden, wie man diese Stoffe komplett nachbilden konnte. Die Welt verehrte ihn dafür, Nevita wusste nicht was sie davon halten sollte. Sie hatte damals aus Mitleid auf Tierprodukte verzichtet und die Imitate rührte sie ebenso immer noch nicht an. Nur Fische wurden noch gezüchtet, da im Ozean noch eine Menge Platz war. Es wurde sogar erzählt, dass es noch wenige Fische geben sollte, die natürlich im Ozean lebten, was Nevita faszinierte, denn eigentlich hatten die Menschen vor 200 Jahren begonnen, die Tiere auszurotten und nur noch menschlich gezüchtete und veränderte zu erhalten, da die wilden Tiere sehr gefährlich waren. So sagte man es. Nevita konnte sich das nicht vorstellen, nichts was sie zu Tieren gefunden hatte war angsteinflößend gewesen und die Vielfalt und Schönheit hatte sie fasziniert. Natürlich war es schwer, an solche Schriften zu kommen, aber da ihr Arbeitgeber sich öfters auf dem Schwarzmarkt herumtrieb, hatte er ihr einst als Geschenk ein Buch über die Expeditionen eines gewissen "Alexander von Humboldt" besorgt. Nevita wusste ebenso wenig , was ein Expedition war, wie sie wusste, wer Alexander von Humboldt gewesen sein sollte und vielleicht war das dargestellte in diesem Buch auch nur eine kranke Fantasiewelt, aber sie wollte unbedingt daran glauben. Tatsächlich war das Buch realitätsnah. Nevita hatte sogar eine große Aufzeichnung gemacht, wo sie die damals untersuchten Arten mit den einst gezüchteten verglichen hatte und gewisse Ähnlichkeiten feststellen konnte...
Plötzlich merkte sie, dass sie sich bestimmt gerade 10 Minuten darüber nach gedacht hatte und durch die Gegend getaumelt war, weshalb sie nun schnell durch die im Vergleich zu den Zimmern, viel zu große, Lobby eilte und die Tür des Heimes aufstieß. Lärm, Staub und Gestank wirbelten ihr entgegen und Nevita tauchte im Dauerlauftempo ein in die rasende Welt der modernen Großstadt.
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NEVITA - Thunderstorm on second earth
Science FictionAuf der Erde schreibt man das Jahr 2304. Das vorherrschende System unterscheidet sich stark von dem heutigen. Die Einteilung der Welt in Länder und Staaten mit eigener Regierung wurde abgeschafft. Nur strenge Richtlinien, sowie ein Kastensystem, reg...