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Ich musste mich stark davon abhalten laut zu werden oder mich zu übergeben, während ich in der Mitgliederstunde der Kirche saß. Gerade wurde eine Stellungnahme des Landeskirche zur Segnung homosexueller Paare diskutiert und die Homophobie, die mir von jedem Menschen in diesem Raum entgegenstrahlte, raubte mir fast den Atem. Für mich gab es nichts schlimmes daran, dass zwei Menschen sich liebten und ich stand mittlerweile kurz davor, einfach aus dem Raum zu stürmen. Ein Vibrieren in meiner Hosentasche lenkte mich jedoch ab und ich saß zum Glück relativ weit hinten und niemand beachtete mich, sodass ich unbemerkt die Nachricht lesen konnte, die Toni mir geschrieben hatte. "Was machst du gerade?🙈" "Mitgliederstunde in der Kirche, gerade diskutieren sie über Homosexuelle😒" "Klingt ja super. Wahrscheinlich wirst du gerade von Homophobie erdrückt, was? Bei sowas könnte ich kotzen!🤮" "Geht mir genauso. Ist doch nichts dabei, wenn zwei Menschen sich lieben und das gleiche Geschlecht haben🙄" "Richtige Einstellung. Ich bin ja auch bi😌" Überrascht las ich mir Tonis Nachricht nochmal durch, denn diese Info war neu für mich. "Echt? Wusste ich gar nicht🙈" "Ich mach da weder ein Geheimnis, noch einen Hype draus. Es ist halt einfach so🤷🏻‍♀️" "Diese Einstellung find ich cool. Oh man, am liebsten würde ich hier raus🤢" "Dann geh doch einfach😉", kam die prompte Antwort. "Geht nicht, wäre zu auffällig. Aber das dauert hier bestimmt noch zwei Stunden oder so😔" "Dann sag doch deinen Eltern einfach, dir ginge es nicht so gut und du würdest schon nach Hause gehen😌" "Du schlägst mir gerade vor, in der Kirche meine Eltern anzulügen😅" "Notlügen sind erlaubt. Außerdem könnten wir uns dann treffen😘" Das war in der Tat ein verlockendes Angebot und ich entschied mich kurzerhand dafür. Vorsichtig beugte ich mich zu meiner Mutter, die in der Reihe vor mir saß. "Mama, ist es okay, wenn ich nach Hause gehe? Ich fühl mich nicht so gut." "Aber natürlich Schätzchen. Soll ich dich begleiten, falls dir schwindelig wird?" "Nein, geht schon. Wahrscheinlich brauche ich einfach frische Luft. Ihr könnt mir ja dann mal schreiben, wenn ihr hier fertig seid." "Alles klar. Bis nachher." Ich nickte und schob mich leise und unauffällig aus der Kirche nach draußen, wo es dämmerte. Schnell schrieb ich Toni, dass ich es geschafft hatte mich zu befreien und jetzt mit dem Fahrrad nach Hause fahren würde. Ich hatte etwa die Hälfte der Strecke geschafft, als Toni mir auf ihrem Skateboard entgegenkam. Grinsend umarmte sie mich und wir meisterten den restlichen Weg gemeinsam. Bei mir zu Hause angekommen legten wir uns in meinem Zimmer aufs Bett und schwiegen einfach nur. Toni fuhr mir ab und zu sanft durch die Haare, was mich genießerisch die Augen schließen ließ. "Du hast doch kein Problem damit, dass ich bisexuell bin, oder?", erkundigte sie sich irgendwann und ich schüttelte sofort den Kopf. "Natürlich nicht. Wieso fragst du?" "Na ja, du bist mir wichtig und ich wollte dich nicht damit verschrecken. Immerhin bist du in der Kirche groß geworden und deine Eltern sind ja auch eher gegen andere sexuelle Orientierungen." "Sie sind homophob, du kannst es ruhig aussprechen. Eigentlich kann ich mich mit unserer Kirche schon lange nicht mehr identifizieren. Da sind fast nur noch ältere Leute, die stockkonservativ sind. Wenn ich mit Leuten von woanders schreibe, dann höre ich immer, wie mega tolerant deren Gemeinden sind und neulich hab ich sogar von einer lesbischen Pastorin gehört. Ich meine, wie cool ist das denn? So eine tolerante Glaubensgemeinschaft wünsche ich mir und nicht das, was ich hier habe." "Wieso gehst du dann noch in den Gottesdienst?" "Wie soll ich meinen Eltern denn verklickern, dass ich nicht mehr dahin gehe?" "Sag ihnen doch einfach, wie es ist. Dass es dir zu konservativ und intolerant ist." "Du bist lustig, so einfach ist das nicht. Hast ja erlebt, wie meine Eltern schon ausrasten, wenn du mir einen völlig harmlosen Kuss auf die Wange gibst." "Du meinst so einen?" Grinsend richtete Toni sich ein wenig auf und küsste mich sanft mit ihren weichen Lippen auf die Stirn. Eine Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper und ich nickte schmunzelnd. "Ja, so. Da kriegen die beiden schon einen Kollaps." Ich seufzte und es kehrte wieder Schweigen ein. Erst als mein Handy vernehmlich vibrierte, richtete ich mich ein wenig auf, um danach zu greifen. "Meine Eltern machen sich jetzt auf den Heimweg." Toni seufzte und richtete sich ebenfalls auf. "Das ist dann wohl für mich das Signal zu gehen. Sehen wir uns morgen früh?" "Logisch. Aber wehe du verschläfst wieder! Wenn ich nochmal ermahnt werde, weil ich zu spät zur Schule komme, rufen die Lehrer bei meinen Eltern an und dann wird's kritisch." "Aye aye Captain!" Spielerisch salutierte Toni, dann liefen wir lachend die Treppe runter und ich öffnete die Haustür. "Bis morgen, Charlie." "Bis morgen, Toni." Kurzentschlossen zog ich die Brünette in meine Arme und sog ihren mittlerweile vertrauten Duft ein, dann lösten wir uns voneinander und sie lief über die Straße. Sobald ich sie nicht mehr sehen konnte, schloss ich die Tür und lief zurück in mein Zimmer. Irgendwie fühlte es sich an, als ob ich einen Teil von mir verlieren würde, wenn Toni mich verließ. Seufzend zog ich mir Schlafsachen an und machte mich bettfertig, dann kuschelte ich mich in meine Decke und entsperrte mein Handy. Toni hatte mir nochmal geschrieben und eine gute Nacht gewünscht. Lächelnd tippte ich eine Antwort, dann öffnete ich meine Galerie und scrollte durch unsere gemeinsamen Bilder. Es wurden jeden Tag mehr und mit jedem einzelnden verband ich wundervolle Erinnerungen. Meine Mundwinkel zuckten, als ich bei den Fotos ankam, die wir gegenseitig voneinander gemacht hatten, als wir vor Tonis Hütte geraucht und getrunken hatten. Mittlerweile hatten wir die Hütte innen verschönert, die Wände bemalt und weitere Sachen dorthin geschleppt. Toni und ich trafen uns regelmäßig dort und dann lagen wir einfach nur stundenlang auf dem Bett, dem Sofa oder draußen im Gras und genossen die Ruhe vor unseren Eltern und der Welt. Toni hatte es innerhalb weniger Monate geschafft, einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben zu werden und es gab keinen Tag, an dem ich das bereute. Sie machte mich stärker, baute mich auf und war immer für mich da. Und ich nahm mir vor, auch für sie da zu sein.

Love isn't always easy (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt