Ein besonderer Tag und doch wie jeder andere

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Sie liegt in ihrem Bett. Sie ist wach, doch hält sie ihre Augen geschlossen. Sie hört ihre Tür aufgehen und ein leises kichern. Ohne Zweifel ihr kleiner Bruder. Kaum das sie ihn gehört hat, spürt sie schon wie er an ihr rüttelt und ihr sagt, sie soll aufstehen, da es Weihnachten ist. Sie lächelt, ihre Augen immer noch geschlossen. 

Sie öffnet sie und sieht in sein strahlendes Gesicht. Er lacht, wie immer. Sie schiebt die Decke beiseite, setzt sich an die Kante ihres Bettes, hebt ihn hoch und küsst ihn auf die Stirn. Ein müdes aber liebevolles ,,Guten Morgen" bringt sie hervor und steht mit ihm auf. Sie gehen wie jeden Morgen gemeinsam in die Küche, um auch gemeinsam zu Frühstücken. 

Die Stimmung wie immer etwas angespannt. Fertig mit Essen. Geht, ohne ein Wort zu sagen, in ihr Zimmer. Dort verbringt sie die restliche Zeit bis ihr Bruder sie, wie jedes Jahr, zum Geschenke auspacken holt. Sie sitzt da, auf ihrem Bett, alleine. Sie wartet auf das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür, wenn ihr Erzeuger, wie jeden Tag, weggeht. Und keine zehn Minuten später hört sie es auch schon. Das allzu Bekannte Geräusch, das ihre Familie zerstört. 

Das Mädchen versinkt in ihren Gedanken. Sie denkt an ihren Erzeuger und automatisch senkt sich ihr Blick und bleibt bei ihren Unterarmen stehen. Die Narben und Wunden. Seine Schuld. Sie hat sie nur wegen ihm. Den Schmerz. Den Frust. Sie kann nicht mehr und das Einzige, dass sie daran hindert sich schlimmeres anzutun ist ihr kleiner Bruder. Tag für Tag versinkt sie in ihren dunklen Gedanken, bis Er kommt und sie aus diesen rausholt. 

Und so ist es auch diesmal. Gemeinsam sitzen sie vor dem Baum und den Geschenken. Trotz der Dekoration und der Beleuchtung des Baumes, wirkt alles wie eine Farce. Lächerlich und aufgesetzt. Die Mutter ist in der Küche und macht das Essen. Sie versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Das Mädchen weiß was passieren wird und wartet nur noch darauf, dass es passiert. Sie träumt von einem Leben ohne "Vater", ohne Probleme, ohne Narben. 

Sie und ihr Bruder, zu zweit, allein. Sei Lachen holt sie aus ihren Träumereien. Er hat ihr Geschenk für ihn ausgepackt. Sie lächelt. Sie wusste das es ihm gefallen wird. Wenn sie ihn sieht, sein Lachen hört, hat sie noch Hoffnung. Hoffnung, dass eines Tages alles besser wird. Doch dann hört sie die Schritte. Sie kommen aus dem Flur, stockend und stolpernd. Das Schloss, die Tür und er ist drin. Er kommt ins Wohnzimmer, hält sich an der Wand fest. 

Kann nicht mehr richtig stehen. Es passiert. Wie jeden Tag. Jedes Jahr. Seit sie klein war. Sie sieht ihn an und er sie. Sie empfindet puren Hass, während er nichts fühlt. Seine Sinne betäubt vom Alkohol. Er wird es wieder leugnen. Sagen, er habe nichts getrunken. Er sei nüchtern. Er geht, torkelt in die Küche. Und los geht's! Zuerst hört sie leises diskutieren. Dann wird es lauter. Das Mädchen hört ihre Mutter, sie schreit ihn an. Er hat getrunken. Er leugnet es. Wie immer. 

Sie versucht ihn dazu zu bringen die Wahrheit zu sagen. Sie weiß es doch sowieso. Sie streiten weiter. Lautstark. Sie fängt an zu weinen. Es fallen Beschimpfungen, Verfluchungen. Man hört das Geschirr zerspringen, welches sie nach ihm wirft. Das Mädchen kann es nicht ertragen. Ihr Bruder fängt an zu weinen, sie beruhigt ihn, sagt, dass sie ihn liebt und das er in sein Zimmer gehen soll. 

Sie steht auf, ihr Blick gesenkt, sie kann nicht mehr. Tränen fließen. Sie schreit. Sie kommen. Sie rennt. In ihr Zimmer, sperrt sich ein. Die Klinge. Ihr einziger Ausweg. Ein Schnitt längs. Blut. Sie schließt die Augen, fällt auf die Knie. Sie hört die Tür, ihre Mutter, schreie, weinen, ihr Bruder. Sirenen.

Ein besonderer Tag und doch wie jeder andereWhere stories live. Discover now