1. Brief

47 3 3
                                    

Für die, die das Buch haben, sind hier die Textstellen: S.18-20

Liebe Elena,
Du glaubst nicht, was gestern hier in Goldach passiert ist! Mit einer prunkvollen Kutsche ist ein wunderschöner, junger Graf hier in Goldach angekommen. Er wohnt in der "Goldenen Waage", eine außerordentlich gute Gaststätte. Mein Vater und seine Freunde treffen sich dort immer, um sich zu vergnügen. Gemeinsam mit dem lieben Herrn Graf sind sie zu unserem Landhaus gefahren. Ich beobachtete ihre Fahrt zum Landhaus. Er kann wunderbar die Pferde führen...
Später, am Abend, hat mein Vater mich ihm vorgestellt. Von Angesicht zu Angesicht ist er noch um ein vielfaches hübscher als von der Ferne... Und wie er mich begrüßte...
Er ist so ganz anders als die jungen Herren in Goldach. Diese ziehen nicht einmal mehr den Hut vor Damen wie uns. Kannst Du Dir das vorstellen? Der holde Graf jedoch, zog seinen Hut vor mir und mehr noch, er verneigte sich sogar. Ein gut erzogener Graf. Er hatte einen dunklen, grauen Radmantel mit schwarzem Samt und einen hübschen, ebenfalls schwarzen Sonntagsanzug an. Seine wunderschöne, lange, schwarze Haarpracht glänzt in der Sonne wie reiner Onyx. Die braunen, leuchtenden Augen haben immer diesen wehmütigen Schein. Das gepflegte Schnurrbärtchen betont seine blasse, reine Haut. Es ist der Graf Strapinski, welcher sich langsam in mein Herz schleicht.
Auch ich begrüßte ihn, wie es sich für eine gut erzogene Dame gehörte.
Da die edlen Herren hier zu speisen wünschten, habe ich mich entsprechend angekleidet. Meine vielen Kettchen spiegelten das Licht der Lampen wider.
So war dann die Zeit des Abendmahls gekommen und am Tische saß ich neben dem Herrn Grafen. Ich kann Dir nicht sagen warum, aber schon seit der Begrüßung war ich nervös und aufgeregt, redete viel und vielleicht auch zu schnell. Es schien den Grafen jedoch nicht zu stören. Immer wieder warfen wir uns Blicke zu und jedes Mal errötete ich. Hin und wieder war der Graf Strapinski etwas ungeschickt, doch  das machte ihn in meinen Augen nur noch liebenswürdiger.
Die ehrenwerten Herren begannen nun, nach dem Mahl, Lieder zu singen und auch der liebenswerte Graf wurde genötigt ein Lied zu singen, ein polnisches Lied. Also sang er. Seine Stimme war klar, rein, aber wehmütig und sehnsuchtsvoll... Auch normal klingt seine Stimme meist wehmütig.

Ach, meine liebe Elena, ich denke, ich habe mich in diesen edlen Grafen Strapinski, den ich doch kaum kenne, verliebt.
Doch genug von mir und dem Geschehnissen in Goldach. Wie geht es Dir, meine Liebe? Ich hoffe, dass Dir diese neue Stadt gefällt und Du Dich gut eingelebt hast. Wie geht es auch deinem lieben Vater? Grüße in doch bitte recht herzlich von mir. Doch eine Frage, sind die jungen Herren dort ebenso ungehobelt wie hier?
Ich vermisse Dich! Die Straßen und Häuser Goldachs wirken leer ohne Dich.
In Liebe,
Deine Nettchen

Kleider machen Leute Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt