Kapitel 1

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Es ist Montag. Montage heißen bekanntlicherweise nie etwas Gutes. Wir bekommen einen Anruf zuhause. Papa hatte mal wieder einen Anfall. So nennt meine Mutter es, wenn er sich wieder wie ein KInd auf den Boden wirft und nichts mehr essen möchte. MAnchmal ist es auch ernster und er zuckt und Speichel fließt aus seinem geöffneten Mund, dabei verdreht er die Augen, bis das Weiße zu sehen ist. Seit dem Unfall läuft das so. Meine Mutter habe ich seit diesem Tag nicht mehr lachen sehen. Doch heute wird sich etwas ändern. Seit gut einem Monat bin ich 18 und damit befugt, ohne Begleitung Auto zu fahren.

 Ich fahre also in die Klinik. Rezeption. Zimmer 206. Papa, wie er im Bett sitzt, der Bart leicht zerzaust. Früher war der Bart sein ganzer Stolz. Nur ich durfte mich an ihm vergreifen und zum Beispiel kleine Schleifchen hinein binden. Einmal vergaß er das und ist so einkaufen gegangen. Das war das letzte mal, dass ich seinen Bart dekorieren durfte... Heute erinnert er sich nicht einmal mehr an seinen Namen. Er erinnert sich auch nicht an meinen. Für ihn bin ich eine Krankenschwester oder Physiotherapeutin, wer weiß. "So Rudi, aufgestanden! Heute machen wir einen Ausflug. Hast du deinen Teddybären?". Er schaut mich mit seinen grünen Augen fragend an. Ausflüge finden eher selten statt, da Mama nie Zeit hat. Ich nehme ihn an die die eine Hand und mit der  anderen greife ich nach der Reisetasche, die für den Fall einer Umstationierung immer gepackt ist. Den Teddybären hält er. Augenscheinlich ist er sehr auf dieses Kuscheltier fixiert, seit dem Unfall trägt er es immer bei sich. Einst gehörte der Bär meiner Schwester Leni, die mit im Auto saß, als es passierte. Bis heute wissen wir nichts genaues, denn mein Vater erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und die Polizei gab nur preis, dass das Auto mit einem Baum kollidierte. Den Plan, den ich genau in diesem Moment umsetze, schmiede ich seit ungefähr einem Jahr. Nächtelanges grübeln und viele Wochen, in denen ich mein Mittagsgeld gespart habe, sind vergangen. Der letzte Schritt war lediglich die Fahrprüfung zu bestehen. Meist ist es am aufregendsten den Plan zu entwerfen, trotzdem merke ich, wie in mir vor Nervosität langsam die Magensäure empor steigt. Ganz cool bleiben. Mit Papa an der Hand gehe ich freundlich lächelnd am Schwesternzimmer vorbei. Auf dem Weg nach draußen begegnen wir noch Henno, Papas einbeinigen Freund, den er hier kennenlernte, aber zum Glück war dieser heute nicht in Plauderlaune. Endlich lasse ich mich erleichtert in den Fahrersitz fallen. Nächster Halt: Amsterdam!

Ein Gedanke für RudiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt