Clint Pov:
Ich stand da, mit dem kleinen Jungen in meinen Armen und war wie gelähmt. Ich konnte es nicht glauben. War das gerade wirklich passiert? Hat mir Pietro Maximoff das Leben gerettet? Es war ein einziger Schock und als wäre es nicht schlimm genug, dass er den Helden gespielt hat um das Kind und mich zu retten, sagte er auch noch den Satz, den ich nie in meinem Leben von ihm hören wollte...
Ich weiß, dass wir, die Avengers, die Zwillinge noch nicht lange kannten und dass wir auch nie wirklich miteinander gesprochen haben. Doch trotzdem habe ich immer die Blicke des Jüngeren bemerkt. Ich wusste nie, was sie zu bedeuten hatten. Ich schob es immer auf den Bogen, vielleicht faszinierte ihn die Kunst des Bogenschießens so, wie manch andere, die es nicht so gut beherrschen, wie ich es zu beherrschen scheine.
Aber so war es nicht, das weiß ich jetzt. Ich drückte den Jungen unserem lieben Captain in die Arme und kniete mich neben Pietro und streichelte ihm einige Strähnen aus der Stirn. „Das konnte doch nicht wahr sein" flüsterte ich, „er war doch selbst noch so jung..." Ich hörte seine Schwester schreien. Ein Schrei, der durch Mark und Bein ging. Ich konnte mir nur vorstellen, wie schlimm es sein muss, solch einen geliebten Menschen zu verlieren. Sie waren ihr ganzes Leben lang zusammen, waren nie voneinander getrennt.
Und jetzt liegt er hier, blutüberströmt und mit blassem Gesicht. Ich musterte den Jungen vor mir. Prägte mir jedes Detail, seines Gesichtes ein, während ich versuchte zu verstehen, was er eben zu mir gesagt hatte. Ich wusste, was er sich dabei gedacht hat. Lieber er ein Junge, der nur seine Schwester als Familie hat und nichts, außer ihr zu verlieren hat, als ein kleiner Junge, der noch nichts von seinem Leben hatte und ich, erneut werdender Vater mit einer wunderschönen Frau und einer Familie. Aber so war es nicht. So konnte es nicht sein. Er hatte doch selbst nichts von seinem Leben. Er war doch selbst noch ein Kind....
Es waren seine letzten Worte, die mich so zum Nachdenken brachten, so sehr, wie ich es vorher noch nicht kannte, und diese Worte hat er nur an mich gerichtet. Ich liebe dich Clint... das war alles, was ihm über seine Lippen kam. Keine Erklärung. Keine Antworten auf meine Fragen. Alles in meinem Kopf arbeitete. Wie konnte das passieren? Er wusste doch, dass ich verheiratet bin? Oder doch nicht? Was wusste er schon von mir? Wie konnte er sich in mich verlieben? Es schien mir beinahe unmöglich. War es für ihn etwa so wie Liebe auf den ersten Blick? So schnell dieser Gedanke kam, so schnell verwarf ich ihn auch wieder. Kompletter Schwachsinn. Das alles hier ist einfach nur ein kompletter Schwachsinn. Klar, er war jung und dumm und dachte nicht daran, in wen er sich alles verlieben konnte.
Aber die größte Frage, die ich mir stellte, war: Warum fühlte ich mich nicht abgestoßen davon, dass er wirklich Gefühle für mich haben konnte? Es war falsch, so viel ist sicher, ich bin verheiratet und habe Kinder. Doch ein Teil in mir schreit mich an, lässt mich zweifeln. Ich wusste doch selbst nicht, warum ich so fühlte. Ich fühlte mich einfach schuldig. Schuldig, da ich ihm kein glückliches Leben bieten konnte, da ich ja derjenige war, den er liebte. Schuldig, da er wegen mir gestorben ist, ich hätte einfach den Jungen früher bemerken müssen. Schuldig, da ich mir Gedanken um meine Frau und Kinder mache, während er hier liegt, seinen Blick starr nach vorne gerichtet, während der Glanz in seinen Augen, langsam aber sicher verschwindet.
Ich habe ihm die Augen geschlossen, ich konnte es nicht mehr ertragen, wie seine wunderschönen blauen Augen immer blasser wurden. Sollte ich mich schuldig fühlen, weil ich ihn schön finde? Vermutlich, aber was soll's, es besteht ja auch kein Zweifel daran, dass es so ist. Aber da ist schon wieder dieser Teil in mir, der mich anschreit und mir sagt, dass er mehr als nur schön ist, dass er nahezu perfekt ist. Und wieder fragte ich mich, was das zu bedeuten hatte, warum ich auf einmal so dachte.
Steve Rogers sah zu mir runter und musterte meine Hände, die von Pietro's Blut verziert waren, da ich versuchte einige seiner Blutungen zu stoppen. „Er hat das Richtige getan." Meinte der blonde Mann zu meiner linken und legte vorsichtig die Hand auf meine Schulter. Ich sah zu ihm auf, und verstand einfach nicht, was er mir damit sagen wollte. Deshalb sagte ich nur „Ich weiß, er hätte es trotzdem nicht tun müssen."
Auf einmal fühlte ich gar nichts mehr. Es war einfach eine große Leere, die mich komplett einnahm. Da war nichts mehr, kein Schmerz, keine Trauer, keine Schuldgefühle. Nichts. Ich stand wieder auf und hob den jungen Mann vor meinen Füßen mit zitternden Händen hoch. Ich blendete alles um mich herum aus, die Rufe von Steve, die Kontaktaufnahmen der anderen Avengers, oder die Stimmen der Einwohner von Sokovia.
Ich trug ihn in das fliegende Ungetüm und legte ihn auf den Boden. Ich setzte mich und sah zu ihm runter. Das abendliche Licht fiel auf das Gesicht des Jüngeren und lies ihn dadurch noch makelloser wirken. Warum machte ich mir so viele Gedanken über sein Aussehen? Er ist erstens ein Junge, zweitens viel zu jung, drittens bin ich verheiratet und viertens ist er tot. Dennoch konnte ich meinen Blick nicht von ihm abwenden. Er zog mich in seinen Bann. Er sah aus als würde er schlafen. Friedlich und seelenruhig. Alles war ruhig und dann hörte ich Schreie. Sie kamen immer näher, schon stand Wanda vor mir und sah mich an. „Was ist passiert?" Sie sah mich mit verheulten Augen an, ich konnte nur den Kopf schütteln und auf den leblosen Körper vor mir sehen. Sie schwieg, ließ sich auf die Knie fallen und nahm ihn in ihre Arme. Ich versuchte nicht, sie aufzuhalten, ich wusste, dass es zwecklos war.
Ich wusste nicht, was danach alles passiert war. Ich sperrte mich in mein Zimmer ein, aß kaum noch und ignorierte jeden, der versuchte mit mir zu reden. Nach ein paar Tagen habe ich bemerkt, dass selbst ich Gefühle für den jungen Maximoff hatte und immer noch habe, ich wusste selbst nicht, wie das passiert ist. Ich war fest davon überzeugt, dass ich meine Frau liebe, aber je mehr ich über die Begegnungen mit Pietro nachdachte, desto mehr fielen mir besondere Handlungen und ausgesprochene Sätze auf. Ich fühlte jedes Mal etwas, ignorierte es bis zu diesem Zeitpunkt aber immer. Ich fühlte mich unglaublich miserabel. Ich hatte die Chance verpasst ihm ein glückliches Leben zu bieten und ich hatte meine Frau und meine Kinder hintergangen ohne es wirklich gemerkt zu haben. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich mich in ihn verliebt hatte...
Nach einigen Wochen zerrte mich Natascha aus dem Bett und steckte mich frisch geduscht und rausgeputzt in einen Anzug. Ich ahnte schon was passieren würde, jedoch traf es mich härter als ich gedacht hatte. Alle Avengers vor seinem Grab versammelt. Keine Eltern, keine Freundin. Am Anfang versuchte ich noch, die Tränen zurückzuhalten, gab aber auf, als sie den Sarg in die Erde ließen.
Nach der Beerdigung war noch eine kleine Feier bei den Avengers. Eine Art Abschied. Ich verstand nie warum man feiern sollte, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist und zog mich deshalb in mein Zimmer zurück. Am Abend telefonierte ich mit meiner Frau, klärte sie über alles auf. Anders als erwartet, reagierte sie sehr verständnisvoll, natürlich war sie traurig, aber sie verstand es und das bedeutete mir sehr viel.
Die Jahre vergingen. Die Schuldgefühle wuchsen. So kam es, dass ich eines Tages im Bad stand und die Klinge in meiner Hand musterte. Ich musste wissen, wie es sich anfühlt. Also setzte ich an und zog durch. Einmal...Zweimal...Dreimal....So lange bis ich dachte, dass es reichen würde. Ich verlor viel Blut. Kein Wunder. Mein kompletter Arm war aufgeschnitten. Doch es fühlte sich gut an. Ich fühlte mich besser. Etwas befreit von der Schuld, die seit Jahren schwer auf meinen Schultern lastet.
So ging es einige Jahre weiter. Mal auf den Beinen. Mal auf den Armen und mal auf dem Bauch. Aber eine Stelle hob ich mir auf. Ich wusste, dass es irgendwann soweit kommen würde, aber ich wusste nicht wann.
Und so war es dann auch, ich stand auf, nach einer langen verheulten Nacht, sah in den Spiegel und lächelte leicht bei dem Anblick, der sich mir bot. Ich nahm zum letzten Mal die Klinge und schrieb auf meine Brust einen Namen. Seinen Namen. Pietro Maximoff. War es nicht schön, genau über dem Herz. Mein Lächeln wurde eine Spur breiter, als ich daran dachte, dass ich ihn bald wiedersehen würde. Ich setzte mich also auf den Boden, nahm die Klinge, schnitt meine Pulsadern auf und sah zu wie das Blut aus meinen Armen sickerte, als ich auch schon das Bewusstsein verlor.