Als ich auf dem Weg zum Flughafen an diesem Plakat vorbeikam, wunderte ich mich, wer denn heutzutage noch einen Family-Van brauche, wo es doch keine wirklichen Großfamilien mehr gäbe. Irgendwo müssten sie diese gigantische Reklame jedoch anbringen, dachte ich mir, und in der Stadt dürfte wohl kein Platz dafür sein. Ich klopfte pfeifend auf das Lenkrad, denn es war ein strahlender Tag und ich freute mich Mark wieder zu sehen, nach all den Jahren.
What’s the point of being around when all I seem to do is get in everyone’s way? I did a lot of bad things to good people. This world was really not meant for me. In welchem Freund würde diese Klage kein Warnlicht aufblinken lassen? Wer würde da nicht sofort eine helfende Hand anbieten wollen? Okay, viele sagen, dass das mit Facebook so eine Sache sei. Dort finde man keine richtigen Freunde und die Statusmeldungen seien bloß eine Huldigung dem modernen Exhibitionismuswahn oder seien „Seelenstriptease“, wie andere es nennen. Doch ich habe Mark nicht im Internet kennen gelernt sondern bin ihm das erste Mal begegnet, als ich am Ende meiner Ausbildungszeit an einem sozialen Projekt in der Bronx mitarbeitete. Er hatte sich dort als Volontär nützlich gemacht, um herauszufinden, was Gott von ihm wolle – er war gerade zwanzig geworden. Zumindest hat er mir das an einem lauen Abend über den Dächern der projects erzählt. Wir tranken Cherry-Coke, no ice, dafür aus der Plastikflasche (American style), er rauchte nicht. Das wäre in Amerika the better choice, wie er mir erklärte – wegen der Zigarettenpreise und des Rauchverbots fast überall. Ich stieß kleine blaue Dunstwolken in den sternenlosen New Yorker Nachhimmel und ließ mir von ihm erklären, wie er sich denn vorstelle, dass Gott ihm mitteilen werde, was er von ihm wolle. Ich erzählte ihm hingegen meine Version der Zukunft und, dass zu Hause meine schwangere Freundin auf mich warten würde. Sie kannten sich übrigens. Sie war vor einem halben Jahr in der Bronx gewesen. Eine Studienreise brachte sie nach New York. Sie hatte mir auch den Kontakt zur residence gegeben, auf deren Dach wir uns an diesem Abend befanden. Ich würde sie gleich nach meiner Rückkunft fragen, ob sie mich heiraten wollte. Trotz all der Schlachten, die wir zu bestreiten gehabt hatten, war sie seit jeher die einzige für mich, und jetzt war es an der Zeit, ihr das zu beweisen. Good. Good for you, man. Er nickte als er das sagte, drehte sich zu mir, umarmte mich kurz und sagte noch einmal bekräftigend und mir auf die Schulter klopfend: I am happy for you, man. No, seriously, I am. Und er meinte es, das glaubte ich in diesem Augenblick zu spüren.
Auch wenn wir uns seit fast vier Jahren nicht gesehen hatten, mir war klar, dass ich ihm helfen wollte, falls er wirklich Probleme in seinem Leben hatte. Und das musste ich annehmen, denn die Reaktionen auf seine Statusmeldung auf Facebook waren heftig: You are just around the wrong people und we all fuck up...the point is to avoid repeating the same mistakes. Also schrieb ich ihm: Mark, come to Vienna for a start. If you are having a hard time, why don’t you seriously take a time out and come over to Austria for a while? Samuel, our son, could really need someone to teach him some proper American style English. Not the Schwarzenegger-English he learns from his dad... We have a place for you. What do you think? Was er dachte weiß ich nicht, aber er kam.
Ich holte ihn also vom Flughafen ab und begrüßte ihn herzlicher als ich ihn damals in NYC verabschiedet hatte, waren doch in der Zwischenzeit wohl Dinge passiert, die eine gewisse Nähe nicht unpassend erscheinen ließen. Er hatte sich kaum verändert. Seine schwarzen Haare, die dunklen Augen, das kantige Gesicht. Alles noch so, wie es lange Zeit Tradition in seiner italienischstämmigen Familie gewesen war – zumindest hat er mir das später im Auto versichert, als ich ihm sagte: Man, you haven’t changed at all!
Er zog also bei uns ein, war Teil unserer Familie. Er spielte mit Samuel und brachte ihm Aussprüche im wildesten ghetto slang bei. (I have drop the kids off at the pool sagte er, wenn er groß aufs Klo musste, zum Beispiel.) Wir fanden es hillarious. Er half im Haushalt und wollte sich auch finanziell an den Einkäufen beteiligen, was wir ihm natürlich nicht genehmigten. (No way! You are our guest.) Wir hatten viele tolle Gespräche am Balkon, fast so wie damals unter dem sternenlosen Himmel über der Bronx, nur, dass ich nun auch nicht mehr rauchte, denn das war mittlerweile auch in Österreich die bessere Option geworden. Und Cherry-Coke kannte hier keiner. Er legte seine letzten Jahre vor mir auf dem Teakholzboden aus wie Spielkarten. Die Pik Zehn war die Autopanne, die er eines frühen Morgens auf dem Weg nach Long Beach gehabt und bei welcher er seine spätere Freundin kennen gelernt hatte. Der Herz König erzählte vom arbeitsunternehmerischen Kurzausflug in die Gastronomie, wo er immerhin genügend Zeit verbracht hatte, um zu lernen, dass man in kochendes Spaghettiwasser einen Schluck Olivenöl gießen müsse, um die Wasseroberflächenspannung zu verkleinern und ein Überlaufen des Topfes zu verhindern. Außerdem würden die Nudeln nach dem Abschrecken mit kaltem Wasser nicht zusammen kleben. Und ich hätte gedacht, er hätte das im Blut gehabt, als Italiener, scherzte ich.
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Rien Ne Va Plus
Short StoryEinem Freund geht es schlecht und man lässt ihn bei seiner Familie wohnen, bis er sein Leben wieder in den Griff bekommen hat. Oder es kommt ganz anders und das eigene Leben gerät dadurch auch außer Kontrolle...