Die Abfuhr

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Sie schlich sich durch die kalten Straßen New Yorkes. Eisiger Wind schlug Tess ins Gesicht und sie wischte sich vergeblich ein paar Strähnen aus dem Gesicht.
Ihre eisblauen Augen durchwanderten die Gegend. Musternd sahen sie sich um.
Mit zitternden Händen holte sie ein kleines Zettelchen aus ihrer Jackentasche.
Es ist mittlerweile vergilbt und an den Rändern schon ganz abgegriffen, dennoch war es ihr einziger Anhaltspunkt.
Zum tausendsten Mal überflog sie die wenigen Zeilen die ihre Eltern ihr direkt nach ihrem Verschwinden übergelassen hatten.
Ihre Augen glänzten feucht und Tess blieb kurz stehen um sich vollständig auf das Geschnörkel konzentrieren zu können.

Liebe Tess, du bist die wichtigste Person in unserem Leben und dennoch müssen wir Richtung Abendland. Wir vermissen dich schon jetzt. Denk immer daran, dem Mond zu folgen.
In Liebe deine dich immerliebenden Eltern.
1000  Küsse, bis bald!

Tess blinzelte Richtung Himmel. Ihre Tränen versuchte sie vergeblich runterzuschlucken, aber es ging nicht.
Sie hatte diesen Zettel jetzt schon so lange - um genau zu sein seit sie 8 war.
Aber mit ihren zarten 17, ist das gar nicht mal so lange her.
Tess stapfte durch den Matsch, der vom Regen beinahe verflüssigt wird. Aber eben auch nur beinahe. So klebte der Dreck einfach nur an ihren Chucks.
Nein, heute würde sie mal wieder keine Antwort auf all die Fragen in ihrem Kopf bekommen. Dafür war es noch zu früh, das wusste sie. Doch Tess' war ungeduldig, sie wollte das Rätsel lösen.
Sie bog ab in eine kleine, unscheinbare Gasse mit 3 Container-Mülltonnen. Eine dieser Klötze war ihr Zuhause, aber es war besser als auf billigem Karton schlafen zu müssen, der in dieser Nacht sowieso durchgeweicht wäre.
Seufzend öffnete Tess das Scharnier, welches selbst ein wenig quitschte. Innen war es, den Umständen entsprechend, sogar relativ warm und sie entzündete eine kleine Kerze auf dem Beistelltisch neben ihrem miefenden Schlafsack.
Nichts desto trotz zog Tess sich um und legte sich in das kuschelige, wenn auch spärliche Bett und schlief ein.

Tess erwachte früh am Morgen von den Geräuschen der Müllabfuhr.
Die Jungs kannten sie bereits, sie hatten ihr sogar geholfen den Container wasserdicht zu machen und zu verschweißen, wofür sie ihnen sehr dankbar war.
In Windeseile zog sie sich an und durchkämmte ihre Haare mit einem alten Kamm, bei dem schon mehrere Ecken oder wie das heißt fehlten.
Viel hatte sie nicht zur Auswahl. Nur ein paar T-shirts, drei Hosen, eine zerfetzte Bomberjacke und einen noch viel zu großen Wintermantel.
Achso und natürlich ihre Yankees-Mütze.
Schnell hastete die Blondine nach draußen, das war ein Ritual bei ihr und den Jungs. Immer wenn sie da waren, kam Tess nach draußen und durfte ein paar Runden im warmen Auto mitfahren, dafür konnten die Jungs jederzeit bei ihr aufkreuzen und bei ihr pennen.
„Hey Tess!" Luke stieg gerade auf die Treppe am hinteren Ende des Lastwagens.
„Hi" Tess strich sich eine dünne Strähne die Ohren, hoffentlich stieg ihr jetzt keine Röte ins Gesicht.
Luke war neu hier, gerade erst neunzehn geworden und deshalb mit Abstand der Jüngste.
„Kaffee?" Kevin stieg die kurze Treppe herunter und hielt ihr kurz darauf einen dampfenden Latte-Machiato unter die Nase, welchen sie dankbar annahm.
„Schön das ihr es einrichten konntet hier her zu fahren, ich weiß doch wie scheiße der Verkehr vom Centrel Park bis hier her ist." Tess' Hände umklammerten den wunderbar warmen Becher.
Kevin drängte sie allerdings Richtung Auto und machte ihr so klar das sie keine Zeit hatte für sonstige Pläusche.
Schnell rutschte sie auf den freien Platz neben Luke und Carl.
Luke tippte noch schnell etwas ins Navi ein und Carl blätterte in einer Zeitschrift über Pflanzen rum.
Schließlich stieg auch der stämmige Kevin ein und knallte mit Schwung die Tür zu.
„Los geht's!" Kev' saß am Steuer und steckte den Schlüssel in die Zündung.
Der Motor heulte kurz auf, brummte aber sofort gleichmäßig weiter. Fast wie bei einer schnurrenden Katze, der man vorher auf den Schwanz getreten ist und ihr ein Leckerchen als Entschuldigung gegeben hat.
„Wie geht's dir? Neuigkeiten?" Lukes grüne Augen blickten sie neugierig an.
„Klar, weil mein Leben ja auch komplett spannend ist" grinste Tess.
„Aber nein, mir geht's den Umständen entsprechend gut..." fing sie jetzt doch an, weil er echt verletzt aussah, „... Nur fängt bald der Winter wieder an.
Nachdenklich biss Tess' auf ihrer ohnehin schon spröden Unterlippe rum.
Immerhin hatte sie verdammt nochmal Glück und bekam den Container ab.
„Solange kannst du bei mir pennen, wenn du willst." Kev' zuckte mit den Schultern.
Scheiße war das peinlich. Bei einem ihrer besten Freund pennen zu müssen, nur weil Tess' damals ihr Leben nicht auf die Reihe bekam.
„Danke Bro, aber..."
„Nix aber, ich lass doch nicht zu wie du auf der Straße erfrierst!" lachte Kevin und doch war es gar nichtmal so unwahrscheinlich.
„Ne wirklich." setzte Tess erneut an.
Obwohl die Verlockung nach nur ein paar Stunden im warmen echt wunderbar waren. Vielleicht?
„Du bleibst bei mir. Ende der Diskussion." Sie seufzte und regte sich innerlich mal wieder über seine Sturheit auf.
„Gut, okay. Wo gehts hin?"
„Die übliche Runde."
Tess ließ sich in ihren Sitz sinken und starrte starr aus dem Fenster an ihrer Linken.
Es war ein wenig dreckig und man konnte die Insekten an der Scheibe erahnen, die mühevoll abgekratzt worden waren.
Es roch bestialisch, doch es war besser als die Kälte, die sie normalerweise umgab.
Ihr Blick schwiff zu Carl am Steuer, seine Miene besorgt.
„Es ist heute viel Müll." erklärte er nach kurzem Zögern.
Ihre Lippe zitterte, natürlich wusste sie, es ist New York, dies ist ein Müllauto und es ist kurz nach Silvester, weshalb viele die Knaller-Verpackungen wegschmeißen.
„Wie viel" ihre Stimme klang tonlos und eintönig. Sie hasste Plastik sosehr. Sie hasste den ganzen Container der aus Plastik bestand und sie hasste sich selbst dass sie dieses Plastik auch noch verwendete. Aber heute ist dieses Erdöl Produkt, wegen dem viele Tiere aus dem Meer starben, kaum mehr wegzudenken.
„Zu viel."
Natürlich wollten sie Tess schonen, mit der unschönen Wahrheit.
„Wie viel!" Sie wiederholte sich, Ihre Stimme klang scharf. Schneidend. Kraftvoll.
Er atmete kurz ein um dann piepsig zu zugeben:„ Bis jetzt 3% mehr als auf den üblichen Runden."
„Das, das kann nicht sein... Das ist unmöglich!" ihre Augen weiteten sich. Vielleicht wäre es besser gewesen wenn sie die Wahrheit für sich behalten hätten.
„Wie soll das passiert sein? Die Bevölkerung New Yorks hat sich doch nicht einfach per Nacht so krass vermehrt? Das ist nicht machbar." „Leider doch." Luke sah ihr mit diesen wunderschönen braunen Augen direkt in ihre verkümmerte Seele.
Tess blickte starr gerade aus und biss auf ihrer Unterlippe rum. Sie spürte Lukes Blick auf ihr. Ein wohliger Schauer strich ihr um die Schultern.
Langsam wanderte auch ihr Blick auf Lukes zu und sie verlier sich meilenweit in ihm. Dieser Moment gehörte nur ihnen. Tess konnte ihre eigene Angst und Frustration in seinen erkennen. Es schien als sei er ihr so nah, aber mit den Gedanken so weit weg.
Sie bräuchte nur die Hand auszustrecken und die einzelne, klitzekleine Haarsträhne hinter sein Ohr zu streichen. Es wäre so einfach, sie müsste sich nur vorlehnen... Doch sie tat es nicht. Carl und Kevin würden sich sonst noch lustig über sie beide machen. Stattdessen blieb ihr Blick noch immer in seinen Augen hängen. Seine grünen Sprenkel und die schwarzen Haare harmonierten perfekt. Die süßen kleinen Grübchen und die rosa Lippen, genau wie die langen schwarzen Lippen ließen ihn so wunderschön aussehen. Auch wenn er äußerlich noch sehr jung wirkte und unerfahren, strahlten seine Augen eine gewisse Ruhe, Kraft aus. Sie wirkten erfahren, als hätten sie bereits alles schon einmal gesehen, aber es lag ein gewisses Glitzern in ihnen.
„Hey, warum schaut ihr mich nicht auch mal so an? Ich bin auch hübsch!" lachte Kevin und stieß Tess an. Luke erschrock sich leicht und sah, genau wie Tess, nun leicht rot weg.
„Wir sind da." raunte Carl vom Steuer aus.
„Wo? Das ist nicht die übliche Runde?"
„Nein, das ist sie nicht, aber du solltest dir das hier mal ansehen und anhören was Ms Hakik dir zu sagen hat..."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 21, 2019 ⏰

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