-1-

111 41 13
                                    

Eine Weile hatte es funktioniert. Für ein paar Minuten an diesem Ort war die Welt kein vollkommenes Chaos, kurz davor, mich in den Abgrund der Dunkelheit zu ziehen und mich nicht vor dem Verlust meines Verstandes wieder heraus zu lassen. Denn solange ich meine Augen geschlossen hielt, sah ich nicht, was ich angerichtet hatte. Jede Handlung, vermutlich sogar jedes Wort hatte mein Leben ein kleines Stück gedreht, bis es auf dem Kopf stand und ich zu fallen drohte. Normalerweise hatte ich es im Griff. Ich hatte alles unter Kontrolle, bis ein fremder, scheiße, verdammt gut aussehender Mann begann, mich in den Griff zu bekommen und mein Leben zu kontrollieren. Und ich gab mich ihm hin. Ein Fehler. Ebenso ein Fehler, wie ihm vertraut zu haben. Naiv. Naiv und dumm.
Denn nun war ich dort, wo ich niemals sein wollte.
Ich war in der Hölle.
Und zugleich in seinem persönlichen Paradies.
Doch gab es da einen Unterschied?





HÄTTE ICH GEWUSST, DASS DU VON DEM HIMMEL AUS ZU MIR KOMMST, MEIN ENGEL, HÄTTE ICH DICH MIT OFFENEN ARMEN IN DER HÖLLE BEGRÜßT. DEN DAS EINZIGE, WAS DU DURCH DEINE FLUCHT VON DORT OBEN VERLOREN HAST, IST DEIN HERZ.

 DEN DAS EINZIGE, WAS DU DURCH DEINE FLUCHT VON DORT OBEN VERLOREN HAST, IST DEIN HERZ

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Cassian

Alles drehte sich. Die kleinen, leuchtenden Punkte der farbenfrohen Lichterkette verschwammen vor meinem Auge. Oder drehte ich mich?
Leise und dumpf hörte ich das Lachen meiner Freunde, als wäre ich in Watte gebettet. Vielleicht war ich das auch mal gewesen- von Watte umhüllt- als mein Vater noch die Kontrolle über mich hatte und seinen einzigen Sohn schützen wollte. Bis dieser sich aus dem Staub gemacht hatte.
Aiden klopfte mir auf den Rücken. Ich hatte gehustet und den brennenden Alkohol wieder ausgespuckt, ohne es zu merken.
     „Verdammt, was war das?", keuchte ich und griff nach dem Wasserglas, das vor mir stand und leerte es in einem Zug. Das Glas stellte ich zurück auf die Bar zu den dutzend anderen leeren Gläsern. Mein Freund grinste mich an und hielt seine Kamera direkt auf mich gerichtet. Klick. Gefolgt von einem Blitz, der mich blendet. Keine Sekunde später spuckte der kleine Kasten schon ein weißes Foto aus. Aiden nahm es heraus und wedelte damit in der Luft herum.
Er und seine bescheuerten Fotos. Doch ich nahm es ihm nicht übel. Denn wenn ich am nächsten Tag seine Sammlung ansah, dann erblickte ich Bilder, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte. Oftmals war ich zu betrunken, um mich noch an irgendetwas zu erinnern.
Erinnerung, Trinken, Leere genießen. Das war meine Reihenfolge jeden Tages, um meinen Vater, oder besser gesagt, meine gesamte Vergangenheit zu vergessen.
     „Coruba Rum Jamaica.", verkündete er stolz, nachdem er sein Polaroid fertig gestellt hat und es in ein kleines Ledertäschchen steckte.
Aiden ließ sich neben mich auf den Barhocker fallen und legte einen Arm um mich, während die anderen Drei schon wieder damit beschäftigt waren, die leeren Gläser zu füllen. Ich wollte gar nicht wissen, was sie diesmal unter den Sternen mischten.
Mein trüber Blick glitt wieder zu meinem Sitznachbar, als ich realisierte, dass dieser mit mir redete.
     „...jedenfalls habe ich sie hier gesehen.", beendete er seinen Satz, ohne, dass ich den Anfang mitbekommen habe.
     „Was?", fragte ich mit zusammen gezogenen Augenbrauen nach.
Augenrollend seufzte er. „Du hast mir nicht zugehört, oder? Alter, wozu erzähle ich dir das?!", rief er auf und warf seine Hände in die Luft. Es kümmerte ihn nicht, dass er dabei ein Weinglas umwarf. Es war ja nicht seine Jacht, auf der wir hier saßen. Nein... denn ich war es, der meinen eigenen Scheiß putzen durfte.
Seufzend war nun ich es, der die Augen verdrehte.
„Wenn ich nachfrage, werde ich wohl kaum zugehört haben. Bist du einundzwanzig oder fünf?", fragte ich wohl etwas zu gereizt nach.
In letzter Zeit stritt ich mich viel zu oft mit meinen Freunden.
     „Meine Geduld wäre langsam echt am Ende, wenn du nicht mein Freund wärst. Es war die Kleine vom Strand. Du hast sie beim Surfen beobachtet, wie ein Spanner, Alter. Sie ist hier. In der Stadt. Wie es scheint, hat sie genug vom friedlichen Leben am idyllischen Strand und ist nun hier, um die anderen Seiten des Lebens zu erkunden.", lachte er und band sich eine Haare zu einem winzigen Zopf im Nacken zusammen.
Meine Augen weiteten sich und ein breites, zufriedenes Grinsen breitete sich aus.
Irgendwann kommen sie alle, dachte ich mir und exte einen frisch aufgefüllten Schnaps. Ich klopfte Aiden auf die Schulter, sobald ich stand.
     „Die Jacht gehört dir, solange ich weg bin. Nur bitte lass sie am Hafen, ich will sie nicht noch einmal von der verdammten Polizei orten lassen, nachdem ich sie als gestohlen gemeldet habe.", ermahnte ich ihn, halb ernst, halb lachend.
Als hätte ich Aiden damit an etwas erinnert, griff er in seine hintere Hosentasche und holte einen ledernen Geldbeutel heraus. Definitiv nicht seiner, denn als er ihn auf den Tresen warf, prangten darauf die Initialen A.S. und diese gehörten keiner meiner Freunde.
„Oh ja. Nenne mich großer Herrscher und Meister.", begann Aiden mit einem verschwörerischen Grinsen.
„Ich habe ihr Portmonee gestohlen. Sie heißt Angel Sourvan. Und verdammt, das ist das Ticket für ein Wiedersehen, dass sie nicht so schnell vergessen wird. Jetzt heißt es nur noch, sie zu finden."
Mein Grinsen wurde breiter.

Sie war hier.
Meine kleine Surferin war hier. Und bald nicht nur in der Stadt, sondern direkt in meinen Armen.

Lauf, mein Engel, bevor ich dich in meine Fänge bekomme und nie wieder gehen lasse, weil ich weiß, dass sich niemand vermisst.

(790 Wörter)

CASSIAN - hell's paradiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt