Klack, klack. Klack, klack. Das Echo der Klänge, die Jacob der kleinen Blechtrommel entlockt, wird von den unbarmherzig kalten, backsteinfarbenen Häuserfronten zurückgeworfen und prasselt schnarrend auf den pflasternden Stein der schmalen Gasse. Ein ausgedienter Hund schnüffelt vergeblich nach etwas Essbarem im gefrorenen Rinnsal; er lässt sich von Jacobs kümmerlichen Schlägen auf das Plastikfell seines Instruments nicht beeindrucken. Stattdessen sucht er weiter nach etwas, das ihm ein wenig vom Weihnachtszauber in den Magen schlagen würde. Dampf kriecht aus dem Kanalschacht auf die Gasse und hüllt die Schnauze des Köters für einen kurzen Augenblick in eine feuchtwarme Moderwolke, sodass er ein kurzes Winseln von sich gibt und hinkend um die Ecke biegt und verschwindet. Das einzige, was er zurücklässt, sind ein paar Abdrücke im angesammelten Schnee an der Ecke zur Crosby Street.
Jacob löst den Riemen seiner Trommel, seiner treuesten Gefährtin, und setzt sie behutsam neben sich auf den kalten Boden. Auf der ausgetretenen Stufe eines Lieferanteneingangs lässt er sich niedersinken, streift seine Wollhandschuhe ab und legt sie behutsam auf sein linkes Knie. Sorgfältig zieht er aus der Seitentasche seines Wintermantels ein Stück Brot, auf das er am Vorabend für diesen Augenblick verzichtet hat. Bevor er einen Bissen zu sich nimmt, führt er es ganz nah an seine Nase heran, schließt die Augen und lässt sich von seinem Duft in eine wohlige Backstube entführen, in welcher ein dicklicher Glatzkopf gerade den Brotschießer in die Ecke stellt und die noch dampfenden Brezeln in den Korb gleiten lässt und seiner Kundschaft anpreist. Ein sehr vornehmer weißer Pudel der ein ebenso gepflegtes Weibchen an der Leine führt, wartet brav vor der Verkaufsvitrine, wedelt aufgeregt mit dem Stummelschwanz und hofft wie so oft auf eine Scheibe Wurst. Seit den Tagen, als hier noch eine Metzgerei war ist viel Wasser den Hudson hinunter gelaufen und hat das Gedächtnis des Hundes davongetragen. Er beruft sich auf seine Erinnerung, die ihm jedoch auch heute keine Wurst gönnt. Mit einem Lächeln auf seinen Lippen öffnet Jacob wieder seine Augen und beißt von dem Stück Brot ab.
Plötzlich stolpern Andrew und Marquis mit lautem Gelächter um die Ecke. Sie haben wohl wieder einmal dem Laden an der Ecke einen ihrer Wohltätigkeitsbesuche abgestattet, wie sie diese nannten, zumindest schließt Jacob darauf, als er die Zuckerstangen und Pfefferkuchen in ihren Händen sieht. Als sie Jacob sehen, verstummt ihre Freude über den eben gelandeten Coup und ihre Augen ziehen sich zu schmalen Knopflöchern zusammen. „Wen haben wir denn da?“ Marquis schiebt sich eine Zuckerstange zwischen die Lippen und zündet sie mit einem imaginären Feuerzeug an. Prahlerisch bläst er Zuckerwattewölkchen in die schneidende Dezemberluft und findet sich dabei ziemlich stark. Andrew macht es ihm gleich und ergreift das Wort: „Was macht denn Jacob der Hosenscheißer hier?“ Jacob lässt ungesehen das Brot in seiner Manteltasche verschwinden, steht auf, streift sich den Mantel glatt und wartet darauf, was als nächstes passieren wird. Er hat gelernt, dass es mit Andrew und Marquis nichts zu verhandeln gäbe. Sie würden den Ball aufschlagen und er wäre dabei nur der Rückschläger – vorausgesetzt, er trifft den Ball.
Obwohl Andrew ungefähr so alt ist wie Jacob, ist er fast einen ganzen Kopf größer. Er kommt aus dieser Gegend und bringt des Abends seine Mutter, die als Reinigungskraft in einem Nagelstudio gerade das nötige Geld für die Miete, ein wenig Essen und das Kindermädchen für Andrews kleinere Schwester zusammenkratzen kann, regelmäßig zur Verzweiflung: Für eine Schule sei er nicht gut genug, deswegen streunt er tagsüber in den Straßenschluchten New Yorks herum – immer auf der Suche nach etwas Geld und einem Abenteuer. Zusammen mit Marquis, dem Sohn eines reichen Franzosen, den es durch die Industrialisierung hierher verschlagen hat und der es mit der Erziehung seines einzigen Sohnes nicht so ernst nimmt – die Mutter würde sich ja gerne mehr kümmern, hätte sie nur die Zeit dazu neben all den gesellschaftlichen Verpflichtungen – hat er sich bereits einen Ruf erarbeitet, der über Lower Manhattan hinausreicht und anderen Kindern in den Straßen und Parks Respekt und Angst einjagt.
DU LIEST GERADE
Mathieu Rancien 1856
Short StoryAls der Straßenjunge Jacob einem Unbeannten in einen Antiquitätenladen folgt, ahnt er noch nicht, dass sich dort sein Leben, das sich bisher auf den Straßen des New Yorks der 1920er Jahre abgespielt hatte, auf mysteriöse Weise zum Guten wenden wird.