Louis

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Die kalten Eiswürfel klirren gegen den Rang des Glases, während ich dieses an meine Lippen hebe, um den letzten Schluck Rum zu trinken. Kalt läuft die Flüssigkeit meine Kehle hinunter. Ich stehe auf, lege mein letztes Kleingeld auf den klebrigen Tresen und werfe mir meinen Mantel über. Als ich nach meinem, noch feuchten Hut greife, ärgere ich mich, keinen Regenschirm mitgenommen zu haben. Auf dem Weg nach draußen erklingt die Glocke über der Tür, als eine Dame in einem roten Mantel die Bar betritt. Sie nimmt ihren schwarzen Hut ab und schüttelt die langen, schwarzen, vom Regen nassen, Haare. Viele Leute drehen sich zu der Frau um. Zu dieser Zeit ein seltener Anblick, eine Dame alleine in einer Bar. Sowie sie ihren hohen Kragen des Mantels herunter geschlagen hat, kommt ein wunderschönes, junges Gesicht zum Vorschein. Für einige Sekunden begegnet mein Blick dem ihrem, bevor ich die Bar endgültig verlasse. Ein merkwürdiges Gefühl, lässt mich noch kurz über diese Begegnung nachdenken, doch schließlich schüttele ich den Kopf, als wolle ich eine lästige Fliege loswerden, schlage meinen Kragen hoch und mache mich im Nieselregen auf den Weg. Aus meiner Brusttasche fische ich eine letzte Zigarette, welche ich mir zwischen die Zähne klemme. Erfolglos krame ich in allen Taschen nach einem Feuerzeug und bleibe einige Schritte weiter stehen, um in der Innentasche nachzusehen. Frustriert, dass ich nichts zum Anzünden dabei habe, rolle ich die Zigarette zwischen meinen Fingern und fasse den Entschluss, sie wegzuwerfen. Ich sollte sowieso endlich mit dem Rauchen aufhören. Plötzlich legt sich von hinten eine Hand auf meine Schulter. Ein großgewachsener, schlanker Mann hält mir sein Feuerzeug hin. Ich stecke mir meine Zigarette mit zittrigen Fingern wieder in den Mund, während mir der Andere das Feuer reicht. "Danke.", antworte ich mit zittriger Stimme. Schweigend und rauchend gehen wir einige Minuten nebeneinander her. 

Das war eine Feststellung, keine Frage. Ich nicke, sage aber nichts. Er sieht mich an, dann räuspert sich umständlich. Wir gehen schweigend weiter. 

"Nach Hause?" Ich antworte nur mit einem "Hmm." Wir biegen links aus der kleinen Gasse ab und betreten sie Hauptstraße. Dabei fällt mir Mal auf, dass er ein wenig humpelt. Wir schweigen beide. Die einzigen Geräusche werden durch den Regen und das ein oder andere vorbeifahrende Auto verursacht. Wir sind an einer Straßenecke angelangt und gehen über die Kreuzung auf die andere Seite. Meine Zigarre ist inzwischen nur noch ein kleiner Stummel, welchen ich in den nächsten Mülleimer schmeiße. Immer noch laufen wir still die Straße entlang, bis wir um eine Ecke biegen und am Flussufer ankommen. Zum Glück lässt der Regen langsam nach. Als hätten wir uns abgesprochen, gehen wir auf eine der vielen Holzbänke, die den Weg am Fluss entlang in regelmäßigen Abständen aufgestellt sind, zu und setzen uns. Heute stört es mich nicht, dass die Sitzfläche nass ist. Der Mann und ich schauen einfach auf den Fluss hinaus, beobachten die Möwen, die sich ab und zu auf der Wasseroberfläche niederlassen, um nach Fischen zu tauchen. Er blickt mich von der Seite kurz an bevor er in die Innentasche seines Mantels greift und eine Fotographie herauszieht. Das Bild ist ein wenig zerknittert und bereits etwas ausgeblichen. Es zeigt eine junge Frau, vielleicht in ihren frühen Zwanzigern, mit langen Haaren, leuchtenden Augen und einem wunderschönen Lächeln. Die bunten Farben ihres Kleides lassen sich auf der schwarz-weiß Fotografie nur erahnen. "Elise.", sagt er. Ich betrachte das Bild noch ein paar Sekunden, bevor ich es ihm zurück reiche. Er steckt das Bild wieder zurück. Bedauern liegt im Blick des anderen Mannes. Er seufzt tief, richtet sich auf und schaut mich mit seinem konzentrierten Blick an. Dann dreht er seinen Kopf und lehnt sich zurück während er auf den Fluss hinausschaut. Er schüttelt Kopf, als wolle er seine Gedanken verscheuchen. Meine Hand greift automatisch in die rechte Manteltasche. "Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalten werde...". Er sagt dies so leise, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob er das wirklich gesagt hat oder ob dieser Satz bloß meiner Fantasie entsprungen ist. Ich halte die kleine Silberkette einige Sekunden fest in der Hand, bevor ich sie herausziehe und sanft mit dem narbigen Daumen über das eingravierte, verschnörkelte „M" auf einem flachen, runden Anhänger fahre. Er seufzt resigniert. Meine Hand zittert leicht. Ich presse meine Lippe aufeinander und nach einigen Sekunden lasse ich die Kette in der Hosentasche verschwinden.

LouisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt