Letzte Woche stellte sich mir auf der Schulzendorfer Straße eine ältere Dame in den Fahrradweg und versuchte doch tatsächlich, mich keifend vom Rad zu schubsen. Ich konnte knapp ausweichen und radelte schockiert weiter. Niemand, der in der Nähe befindlichen Menschen, kümmerte sich um den Vorfall. Nur ein junger Mann hob seine linke Hand winkend zum Gruß. Ich habe lange darüber nachgedacht, was wohl das unfreundliche Verhalten der Frau ausgelöst haben könnte und ich denke inzwischen, es kann nur einen Grund haben: Ich bin Linkshänder, erkennbar daran, dass meine Klingel auf der linken Lenkerseite montiert ist. Klar – der Gruß des Mannes war ein deutliches Zeichen gelebter Solidarität unter Leidensgenossen.
Das Ereignis reiht sich in eine Serie von Erfahrungen der Linkshänderfeindlichkeit, unter den ich seit meiner Kindheit zu leiden haben. Es hat sich als prägendes Erlebnis in mein Gehirn gebrannt, als ich erstmalig in meinem Leben ernsthaft einen Füller in die Hand nahm, um zu schreiben. Meine große Schwester saß neben mir am Küchentisch und sagte den Satz, der mich von nun an mein Leben lang in variierter Form begleiten sollte: „Gib Dir keine Mühe, Kleiner! Linkshänder haben keine schöne Schrift. Und sie ruinieren die Füller der Rechtshänder!" Nein, Linkshänder rsp. Linkshänderinnen haben keine schöne Schrift. Das sagte denn dann auch meine Grundschullehrerin und mein Lateinlehrer und meine Erstsemestertutorin. Klassenkamerad*innen sprachen in der Regel übrigens von Linkshändlern, meinten aber dasselbe. Je älter ich wurde, desto subtiler wurde dies Art der Diskriminierung. Wenn ich heute mal mit der Hand schreibe, kommt immer wieder die Bemerkung, „Du hast aber eine schöne Schrift" und der Nachsatz klingt dann immer sehr gönnerhaft: „für einen Linkshänder". Immer wieder ist auch die Handhaltung beim Schreiben ein Thema: „So verkrampft kann das ja nix werden" oder „kein Wunder, Du siehst ja gar nicht, was Du schreibst. Ich könnte das so nicht". Ich finde übrigens, dass ich im Gegensatz zu meinen rechtshändigen Geschwistern eine sehr schöne und erwachsene Handschrift habe und versteh meinerseits gar nicht, wie man die Hand ziehend schreiben kann.
Uns Linkshändern macht man es allerdings auch immer und überall schwer und es muss als eine subtile Art der Unterdrückung bezeichnet werden, wo uns überall Hindernisse in den Weg gestellt werden. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass in deutschen Klassenzimmern die Fenster so gut wie immer auf der linken Raumseite sind? Ja! Damit sich Rechtshänder mit der Schreibhand das Blatt nicht verschatten und natürliches Licht auf das Geschreibsel fällt. Wir Linkshänder haben halt Pech. Wir sehen unsere Schrift immer im Schatten unsere Hand. Das Bundesbildungsministerium verhindert seit Jahren eine wissenschaftliche Untersuchung der Freien Universität zum Zusammenhang von Sehschwäche und Linkshändigkeit.
Auch Berufsverbote treffen uns. Unsere Schule hatte neben dem naturwissenschaftlichen Bereich auch einen Musikschwerpunkt. Doch die Musiklehrerin winkte beim Hinweis meiner Eltern, dass ich außerordentlich musikalisch sei, gleich ab: „Nein, nein. Naturwissenschaft! Linkshändern Geige oder Querflöte beizubringen ist hoffnungslos. Die versuchen immer alles mit der falschen Hand." Meine Großmutter verzweifelte aus dem gleichen Grund übrigens dabei, mir das Stricken beizubringen, nachdem ich erstmalig zum Delegierten für eine grüne Bundesdelegiertenversammlung gewählt worden war. Das war dann das Aus meiner geplanten politischen Karriere. Achja: Und letztens im Bürgeramt, als ich für meinen Personalausweis mit einem solchen elektronischen Gerät unterschreiben sollte. Der Stift war natürlich auf der rechten Seite angebracht und das Kabel verhinderte eine vernünftige Unterschrift. Nach sechs Versuchen hat die Sachbearbeiterin mich rausgeworfen. Seitdem kann ich mich nicht mehr ausweisen und meinen Bibliotheksausweis nicht mehr verlängern.
Auch im sozialen Bereich spüren wir Linkshänder immer wieder die Keule der Diskriminierung. Egal ob College-Block, lustig bedruckte Kaffeetasse, Computer-Tastatur, Anspitzer, Dosenöffner oder Brotschneidemesser: Alles ist für rechtshändige Menschen ausgelegt. Kann Ihre linkshändige Tochter mit einer normalen Schere eine gerade Linie schneiden? Nie und nimmer! Haben Sie schon mal von einem Linkshänder eine gerade geschnittene Scheibe Brot bekommen? Ganz sicher nicht! Natürlich gibt es alle Gegenstände, die den Alltag leichter machen, auch auf links gezogen. Es gibt spezielle Läden und Internetshops in denen man Scheren, Anspitzer, Dosenöffner, Lineale, Messer, Füller ect. für linkshändige Menschen kaufen kann. Alles jedoch sehr teuer.
Ich meine, wir können hier in Deutschland ja noch froh sein. Die Zeiten, wo Linkshändern wie meinem Vater der linke Arm am Stuhl festgebunden wurde, damit er ihn nicht benutze, sind Gottseidank vorbei. Und allzu streng beim Essen, wie in anderen Ländern, ist man hier auch nicht. Als ich einem Freund erzählte, dass ich das Land besuchen wollte, aus dem seine Eltern vor Jahren ausgewandert sind, meint er, ich dürfe da aber auf keinen Fall Essen mit der linken Hand berühren. Wenn, dann wäre es essig mit der Gastfreundschaft.
Das kenn ich allerdings auch von hier: Es passiert mir immer wieder, dass ich von Bäckereifachverkäuferinnen unfreundlich behandelt werde, weil ich die Ladentür mit der Linken geöffnet und die Brötchentüte mit der linken Hand entgegengenommen habe. Da ist es dann übrigens wie bei der keifenden Frau auf der Schulzendorfer Straße: Keiner sagt was. Linkshänderfeindlichkeit ist eben weit verbreitet in unserem Land.