Leah rannte die Treppe herunter. Mist, ich bin schon viel zu spät dran! Ich muss um 13 Uhr dort sein, ich brauche mindestens 10 Minuten bis ich da bin und es ist 5 vor. Warum habe ich nicht daran gedacht? Vorgestern hatte sie ihren ersten Termin zum Babysitten bekommen, bei der unbekannten Familie wollte sie einen guten Eindruck machen. Schnell suchte Leah ihre kleine, gelbe Tasche aus dem Schrank neben der Eingangstür und packte ihr Smartphone, den Schlüssel und einen Kugelschreiber ein. Gestresst ging sie aus dem Haus und wollte so schnell wie möglich los, aber da fiel ihr noch etwas ein: Scheiße! Ich habe die Adresse vergessen! Also sperrte sie die Tür nochmal auf, rannte hoch in ihr Zimmer, wobei sie fast über die letzte Treppenstufe stolperte, und wühlte in dem Papierhaufen auf dem Schreibtisch bis sie endlich den Zettel fand. Leah war recht unordentlich und unorganisiert, wenn es um Papierkram oder Schulzeug ging. Froh, endlich alles dabei zu haben, stolperte sie die Treppe wieder hinunter, ging aus der Haustür und sperrte ab. Immerhin hab' ich mich daran erinnert... Leah stieg auf ihr Fahrrad und fuhr los.
Häuser und Gärten zogen an ihr vorbei, während sie verzweifelt versuchte, die richtige Abzweigung zu finden. Leah hatte schon fast aufgegeben und war kurz davor, die Familie, wo sie Babysitten sollte, anzurufen, um zu fragen, wo sie denn hinmüsse, aber als sie ihr Smartphone rausholte, fand sie die Straße. Um ehrlich zu sein, es war eher eine Art Waldweg mit Namen. Die Straße war sehr heruntergekommen, es gab viele Schlaglöcher und überall lag Dreck. Häuser waren auch nicht viele zu sehen, ganz am Anfang auf der rechten Seite stand ein neues, modernes Haus, die anderen weiter hinten waren in bizarren Farben gestrichen und von Efeu bewachsen. Äh... Sicher, dass ich hier richtig bin? Aber auf dem Straßenschild, auf dem die Farbe schon abblättert, war es deutlich zu sehen: Flechtenweg. Vorsichtig, um nicht in irgendwelche Löcher zu geraten bog Leah ab und fuhr langsam an den Hexenhäuschen vorbei. Irgendwie ist das schon gruselig, Gut, dass es nicht Nacht ist. Kurz darauf hatte sie ihr Ziel erreicht: Flechtenweg 27! Endlich bin ich da! Sie schaute auf ihre Uhr. 13:09. Früher als ich gedacht hätte. Vorsichtig lehnte sie ihr Fahrrad an den alten, braunen Holzzaun, ging durch das kaputte Holzgartentor und klingelte an der Haustüre. Sofort hörte sie Schritte von zwei Kindern, die sich darum drängelten, die Tür aufzumachen.
Ein kleines Mädchen öffnete. Hinter ihr war ein noch kleinerer Junge zu sehen, beide hatten tiefschwarze, gelockte Haare und wunderschöne, leuchtend grüne Augen. So wie meine! Jedoch schauten sie extrem verwirrt. „Hä? Ich dachte es kommt ein Mädchen", fragte der Junge lispelnd. Leah seufzte. Solch eine Reaktion hatte sie erwartet. Mit ihren kurzen, braunen Haaren, ihrer Mütze, ihrem viel zu großen Hoodie und den löchrigen Jeans sah sie wirklich Jungenhaft aus. „Keine Sorge, du bist hier schon richtig." Die Stimme kam von einer jungen, recht großen Frau, ebenfalls mit schwarzen Haaren und den leuchtend grünen Augen, allerdings hatten diese einen gelblichen Stich. Freundlich lächelte sie Leah an und stellte sich vor: „Ich bin Anya, das ist Lucy, sie ist acht und hier ist Ben, er ist vor drei Tagen fünf geworden." Stolz grinste Ben und zeigte seine ungewöhnlich weißen Zähne mit einer riesigen Zahnlücke. Leah grinste zurück und gratulierte dem Jungen. Dann bat Anya Leah herein und sie fand sich in einem hohen Raum mit dunkelgrünen Wänden und dunklem Parkett wieder. Leah zog ihre Sneakers aus und stellte sie vorsichtig zu den Kinderschuhen, die neben einer edlen Holzkommode standen. Sie schaute sich um.
Gegenüber von der Eingangstür war ein steinerner Torbogen, der in den Flur und zu den Treppen führte. Links davon war eine Garderobe mit Jacken und Mänteln und daneben hing ein Landschaftsgemälde in einem Rahmen aus dunkelrotem Kirschholz. Auf dem Bild war eine kleine Holzhütte mit einem Gemüsegarten und einem Brunnen im Vordergrund, im Hintergrund war ein Tal zu sehen, in dem mehrere kleine Dörfer und viele verschiedenfarbige Felder waren. Die Sonne schien und doch lag Schnee, welcher auf dem Hüttendach und auf den Bergspitzen glänzte. Vom Dach hingen viele Eiszapfen, die das Licht der Sonne reflektierten. Gebannt starrte Leah das Bild an, bis Lucy sie aus ihren Gedanken riss: „Kommst du? Mama will dir das Haus zeigen." Sie schien sich zu ärgern, dass Leah von dem Gemälde so fasziniert war. Interessiert fragte Leah, woher die Familie das realistische Bild hatte, worauf Anja antwortete: „Mein Vater hat Bilder dieser Art oft auf Papier skizziert, und nachdem er verschwunden ist habe ich dieses Ölgemälde zur Erinnerung angefertigt." Schnell fuhr sie fort und zeigte ihr den Weg in die Küche.
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Die Weltenzeichner
FantasyLeah führt das normale Leben eines 14-jährigen Mädchens - bis sich alles für sie ändert. Durch Zufall lernt sie eine Familie kennen, die ihr zeigt, wer sie wirklich ist. Nun stellen sich ihr viele Fragen, auf die sie die Antworten selbst finden muss...