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"Danke.", erwidert der graubärtige Hausmeister, als ich ihm die vier Zangen in die Hand drücke. Dafür, dass ich denke, dass ich gerade einem Menschen begegnet bin, der sich das Leben nehmen wollte, reicht ein schroffes "Danke" überhaupt nicht aus.

Wobei. Vielleicht hat Nicolas ja wirklich nur so getan. Ein bescheuerter Prank. Oder er wollte einfach echt nur auf der Dachterasse ein wenig chillen. Am Rand eines Daches taumelnd? Eher unwahrscheinlich.

Kopfschüttelnd wende ich mich von unserem Hausmeister ab und schlendere nachdenklich zum Pausenhof. "Na endlich!", höre ich eine laute Stimme sagen. Mit einem immer noch ziemlich mulmigen Gefühl gehe ich auf meine Freundinnen zu.

"Wir dachten schon, dass wir dich retten müssen!" Ich sehe erschrocken zu Lucie. Vielleicht haben sie ja etwas mitbekommen. "Retten? Wieso retten?", entgegne ich ein wenig zu schnell und nervös.

Lächelnd sieht sie zu mir. "Weil du da oben so ca ne halbe Stunde warst!" Also doch nichts mitbekommen. Ich nicke nur und setze mich auf einen der großen Steine, die in der Mitte unseres Pausenhofes platziert worden sind.

"Linda, alles gut bei dir? Du siehst übel komisch aus." Mal wieder sehr charmant von Nora. Aber eigentlich hat sie ja Recht. Mir geht es übel beschissen. Und ich denke, dass wird nicht zu übersehen sein.

Ich seufze. "War nur ziemlich anstrengend. Ihr habt mir ja nicht geholfen.", erwidere ich gespielt beleidigt und zwinge mir ein Lächeln auf. Nora tätschelt mir schuldbewusst auf die Schulter und überreicht mir meinen rosa farbenen Rucksack.

"Der Bus kommt in drei Minuten. Ich hab echt kein Bock den zu verpassen.", ruft Stella uns zu, während sie schon ein paar Meter voraus gestapft ist. Zeitgleich stöhnen wir Drei genervt, stehen schließlich ebenfalls auf und stapfen zu ihr.

Warum erzähle ich ihnen nicht von dem vermeintlichen Suizidversuch unseres Neulings? Während wir an der Bushaltestelle stehen und meine Freundinnen sich über irgendetwas sinnloses unterhalten, denke ich über die vergangene halbe Stunde nach. Ich meine, es könnte mir doch egal sein, ob es die ganze Schule dann erfährt, oder nicht?

Aber irgendwie ist es mir nicht egal. Dass auf dem Dach irgendetwas ziemlich komisches passiert ist, wird nicht nur mir klar gewesen sein. Vielleicht ist mein Schweigen aber auch einfach nur ein Resulatat davon, dass ich mich habe verarschen lassen.

Und meine Freundinnen würden mir eh nicht glauben. Doch weiter kann ich über das Dacherlebnis nicht nachdenken, da der Bus angerollt kommt und ich mich bemühen muss, nicht von den hektischen Schülern zerquetscht zu werden.

Schwitzend stehe ich nun im Inneren des Busses. In solchen Situationen könnte ich mich echt Ohrfeigen, dass ich so eine scheiß Angst davor habe einen Führerschein zu machen. Denn jeder der im Sommer mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt weiß, wie anstrengend das sein kann.

Verzweifelt suche ich meine Freundinnen, die zwar einen Führerschein, allerdings noch kein Auto besitzen und im Gegensatz zu mir einen Sitzplatz ergattert hatten. Doch statt ihre Augenpaare zu finden begrüßen mich zwei funkelnde hellgrüne. Sie starren mich bedrohlich an.

So bedrohlich wie ich es schon einmal gespürt hatte. Nicolas. Er sitzt nur ein paar Meter von mir entfernt. So gerne ich es können würde, aber ich kann mich von seinen Augen nicht abwenden.

Es wirkt fast so, als würde er mir irgendetwas sagen wollen. Er sieht angespannt aus. Ängstlich überhaupt nicht. Ich muss kurz schlucken ehe ich mich schließlich zwinge aus dem Fenster zu schauen. Trotzdem brennen seine Blicke immer noch auf meiner Haut.

Das Verlangen danach immer wieder zurück zu ihm zu schauen ist einfach zu groß. Was hat dieser Typ, in nur einer halben Stunde, mit mir gemacht? Wohlmöglich ist es einfach diese gruselige Aura von ihm.

Ich meine wer spielt schon, an seinem ersten Schultag, vor sich umzubringen? Das ist krank! Aber wer weiß, ob er nicht wirklich Schizophren ist? Vielleicht waren es auf dem Dach seine zwei Persönlichkeiten, die um Leben und Tod kämpften.

Dieser Gedanke macht mir ziemliche Angst und veranlasst mich gleichzeitig ihn wieder anzustarren. Ich zucke zusammen als er plötzlich dicht neben mir steht. Ich kann seinen Atem spüren. Wir schauen uns nun noch viel intensiver in die Augen.

Sein Kiefer ist angespannt und ich meine, dass ich hören kann wie er schlucken muss. Ich hatte schon Angst er würde irgendetwas mir entgegen flüstern, da schlängelt er sich an mir weiter und läuft aus dem Bus hinaus.

Das taube Gefühl in meinem Gehirn lässt ein wenig nach und ich muss erst einmal tief ein und wieder ausatmen, um meinen Kreislauf wieder in Schwung zu bekommen. Wenig später steige ich ebenfalls aus dem Bus und jogge zu unserem Haus.

Als ich die Tür endlich aufgeschlossen bekomme begrüßt mich eine wunderbare Kälte. Doch statt mir, wie gewohnt das gekochte Essen von meiner Mutter auf einen Teller zu laden und in mich hinein zu stopfen muss ich mich erst einmal auf das braun weiße Sofa setzten.

Denn jetzt wird mir erst klar, was der Neue mit diesem bedrohlichen Blick sagen wollte. Ich bin mir ganz sicher. Er will, dass ich schweige. Er will, dass die Sache oben auf dem Dach unser Geheimniss wird. Und er meint es so was von Ernst!

Halt mich festWo Geschichten leben. Entdecke jetzt