☙Kapitel 41 - Bec❧

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Es hatte Aufgrund des Gewitters schon viel früher als normal begonnen dunkel zu werden und als sie endlich auf den elenden Haufen stießen, der Bec war, waren hinter dem Dauerregen nur noch Schemen und Schatten zu erkennen. Selbst jemand mit übernatürlich guten Fähigkeiten zum Spurenlesen wäre in diesem flimmernden Chaos aus Schwarz, Grün und Blau erledigt gewesen. Was bist du nicht für ein widerlicher Glückspilz, zischte Samiro in Gedanken. Ein unverschämter Glückspilz, dass ich hier bin, dass ich dich sehen lasse, fauchte er und Samiro rollte mit den Augen. So verdammt glücklich.

„Bec!", rief Saíra entsetzt auf und warf sich vor Bec ins nasse Laub. „Beim Äther", hauchte sie fassungslos und studierte die kümmerliche Kreatur zu ihren Füßen.

Bec hatte die Gestalt des Pferdes längst abgelegt. Das war nur eines der vielen Rätsel, die ihnen Bec über die wenigen Jahre, während welcher sie sie kannten, aufgegeben hatte. Sie hatte keine feste Gestalt, keine Form, die sie annehmen musste. Mal war sie ein Pferd, dann ein Raubkatze und wenn sie am Ende ihrer Kräfte war, dann war sie diese seltsame behörnte Gestalt mit weiten Roben, aus denen mit spitzen Krallen besetzte Arme und Beine ragten. Und sie war so klein, fast wie ein Kind.

„Hilf mir", meinte Saíra dann und Samiro nickte. Es war immer wieder eine äußerst makabere Erfahrung Bec zu berühren, wenn sie sich selbst nicht maskierte. Wie weicher, glatt polierter Marmor, der dennoch leichter war, als er sein sollte. Gemeinsam hievten sie Bec in eine aufrechte Position und erst jetzt erkannte der junge Mann, dass sie etwas in den Armen hielt. Es waren die Reste ihres Gepäcks, beziehungsweise Saíras und Shyras Tornister.

„Du hättest das doch nicht behalten müssen", meinte Saíra matt und strich sich die nassen Haare nach hinten. Bec legte den Kopf schief und nickte. Sprechen konnte sie nicht, obwohl sie einen Mund hatte und obwohl Samiro Bec nach Saíra am nähsten stand hatte er es noch nicht geschafft ihr auch nur ein einziges Sterbenswort zu entlocken. Oder ein Lächeln, oder sie dazu gebracht die Brauen zu runzeln. Ihr Gesicht war eine Maske, sie konnte Laute produzieren, sie nachahmen, solange es sich um Tierlaute handelte, aber das tat sie auch nur dann, wenn es unumstößlich war. Wie um Shyra vorzugaukeln, dass sie ein echtes Pferd war.

Er erinnerte sich an den Tag, an dem Saíra zu den Aposperitis gestoßen war – oder besser, an dem sie zu ihnen gebracht worden war. In den Armen dieses behörnten Mädchens, das so gesehen eigentlich keines war. Samiro war damals zehn gewesen, völlig unbefleckt und schüchtern. Und fünf Jahre später, nach dem Eingriff und Aredhels Experiment, hatte sich alles geändert. Er hatte um Bec diesen nebulösen, orangenen Schein war genommen, sie schien von innen heraus zu fluoreszieren, mal weißer, mal gelber, je nach Tageslicht oder Stimmung. Es war der Äther. Wann immer er in ihrer Welt genutzt wurde, in Form gezwungen und geschrieben, gebunden und gelenkt, so nahm er dieses fast schon sternennebelgleiche Leuchten an. Saíra sah dieses Flimmern nicht. Und sonst auch niemand, den Samiro kannte, was ihnen mit der Zeit eine handvoll an Fragen beschert hatte. Juna und selbst Aredhel konnten sich das ganze nicht erklären, außer dass es etwas mit dem Äther zu tun haben musste. Entweder mit dem, der in ihm versiegelt worden war, oder mit dem, der Bec zu dem machte, was sie war.

Und wie Bec in Saíras Obhut – oder umgekehrt – gekommen war, wusste Samiro auch nicht. Saíra sprach nicht darüber, sie wechselte meistens das Thema und Samiro war sicher kein Mensch, der südländischen, bissigen Kratzbürsten Löcher in den Bauch fragte, denn nichts anderes war Saíra bei ihrer Ankunft gewesen. Er hatte sie wie alle anderen misstrauisch beäugt, sich nicht an sie herangewagt und lieber Abstand gehalten. Sie war eine Südländerin und eine äußerst merkwürdige noch dazu. Ihre weißgoldenen Haare, die helle Haut und die ebenso hellen Augen machten sie zu etwas besonderem. Oder etwas abartigem, doch diese Bezeichnung bedurfte spezieller Definition, derer sich die meisten Leute im Norden nicht all zu bewusst waren, die im Süden aber umso mehr.

[Jugendfantasy] Die Weltenschützer - Der Atem der Welt [abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt