Miran
Wenn ich das Wort „Pirat" erwähne, dann erzittern die Menschen, fuchteln abwehrend mit ihren Händen und betteln, dass ich dieses Thema nicht weiter vertiefe. Die Furcht steht deutlich in ihren weitaufgerissenen Augen geschrieben und niemand will auch nur daran denken.
Sie sind die Schrecken der Meere.
Die Monster ihrer Albträume.
Angsteinflößend.
Brutal.
Erbarmungslos.
Ich war neun Jahre alt, als die ersten Geschichten von Captain Hongjoong unser kleines Fischerdorf erreichten. Ein Pirat, der mit seiner Mannschaft unter königlicher Flagge segelte, war zu dieser Zeit nicht selten. In Spanien und England war es Gang und gebe, dass die sie für ihr Königreich plünderten und diese Beute mit ihrem Land teilten. Aber Hongjoong war kein gewöhnlicher Pirat. Er war mutiger als all die Männer in der Mannschaft zusammen. Schlauer, als jeder Gelehrte am Königshof in Korea. Doch das Interessanteste an ihm, war sein Alter. Im Gegensatz zu allen anderen Kapitänen war er gerade mal zehn Jahre alt, als er die Führung übernahm. Laut den Legenden gab es kein Rätsel, dass er nicht lösen kann und keinen Kampf, den er nicht gewann.
Drei Jahre lang hatte ich seine Geschichten verfolgt und sah die Faszination und Angst in den Augen der Dorfbewohner, wenn sie mir den neusten Tratsch erzählten. Doch von einem Tag auf dem anderen hörten sie auf. Angeblich kannte Hyungjin von den Fischern jemanden, der Jemanden kannte, der wiederum jemanden aus der Stadt kannte. Und dieser behauptete, dass Captain Hongjoongs Mannschaft angegriffen wurde und das Schiff, die „Illusion" nun auf dem Grunde des Meeres ruhte. Alle Personen auf diesem Schiff fanden den Tod und wir hatten nie wieder etwas von ihm gehört.
Doch mein Bruder glaubte den Geschichten nicht. Er war der festen Überzeugung, dass Captain Hongjoong noch lebte, und so machte er es sich zur Aufgabe ihn zu finden. Auf seiner Reise hielt er mich immer auf dem Laufenden. Er schickte mir Briefe, in denen er auf seiner Suche nach dem Captain an seiner Überzeugung zweifelte und Briefe, in denen er seiner Spur ein Stück näher kam. Vor ungefähr einem Jahr bekam ich ein Päckchen, das Letzte, was er mir je geschickt hatte. In ihm war ein altes abgewetztes Notizbuch.
Das Notizbuch meines Bruders.
Er fand Captain Hongjoong, denn dies war sein letzter Tagebucheintrag. Die anderen Seiten sind gefüllt mit Rätsel und einer Schrift, die ich zum größten Teil nicht verstehe. Danach kam von ihm kein Lebenszeichen mehr und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Ich mache mir schreckliche Sorgen, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Also habe ich die Entscheidung getroffen, nach London zu reisen. Dorthin, wo er Captain Hongjoong das letzte Mal sah.
Ich kenne die Legenden über Piraten, aber was habe ich für eine Wahl? Wenn ich meinen Bruder wirklich finden will, dann muss ich Captain Hongjoong aufsuchen und erfahren, was passiert ist.
***
London, 1651
Es ist neun Uhr abends, als die letzten Lichter in den Londoner Wohnungen nach und nach ausgehen und die Leute ihre Türen verriegeln. Auf den dunklen Straßen der Innenstadt ist niemand zu sehen. Ich drücke den abgegriffenen Riemen der Ledertasche fest an meine Brust und beschleunige die Schritte. Meine Stiefelsohlen rutschen über den mit Schlamm bedeckten Boden. Dabei verliere ich fast das Gleichgewicht. Doch meine Hand an der Steinmauer fängt den Sturz ab.
In den letzten zwei Tagen hat es durchgängig geregnet und das Regenwasser hat den ungepflasterten Boden aufgeweicht. Aber nicht nur das. Mit der Feuchtigkeit ist auch der Gestank in den Gassen unerträglicher geworden. Es riecht nach Urin, Fäkalien, Schlamm und dreckiger Kleidung. Es ist so widerlich, dass mir schlecht wird, wenn ich zu tief einatme. Aber ich will ja unbedingt die Abkürzung durch die engen Straßen gehen, also bin ich im Grunde selbst schuld an der Zumutung, die meine Nase ertragen muss. Aber in dieser Stadt, besonders bei der Themse, riecht es nirgendwo gut.
DU LIEST GERADE
Long Journey (ATEEZ FF)
FanfictionIch war neun Jahre alt, als die ersten Geschichten von Captain Hongjoong unser kleines Fischerdorf erreichten. Ein Pirat, der mit seiner Mannschaft unter königlicher Flagge segelte, war zu dieser Zeit nicht selten. Besonders in Spanien und England w...