Aufbruch

7 0 0
                                    

Es war einer dieser Abende, an denen rechtschaffene Leute keinen Fuß vor die Tür setzten, wenn sie nicht mussten. Der Wind trieb den Regen wie die Brandung vor sich her und heulte in den Gassen.
Wann immer es einen in die »Spelunke« trieb, gerieten die Flammen im Kamin in Aufruhr und knackten. Die hereinströmende Seeluft fuhr mir in die Knochen und ließ mich über meinem Grog zusammenkauern.
»Lass mal sehen, was es damit auf sich hat!«, polterte der tollkühne Torben am Nebentisch.
Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie er die Hand zur Mitte des Tisches ausstreckte und sich anschickte, einen der Einsätze unter die Lupe zu nehmen. Stuhlbeine quietschten über den Boden und Hemdsärmel wurden nach oben geschoben.
»Finger weg!«, echauffierte sich die aufgebrachte Stimme eines jungen Matrosen. Dem spärlichen Bartwuchs nach war er noch nicht lange im Seegeschäft.
»Hey-hey, ganz ruhig, Kleiner!«, höhnte Torben, aber hielt die Hand vorerst bei sich, »Ich will nur sicherstellen, dass du hier nicht das Tagebuch deiner Großmutter verhökerst! Soll sich doch für alle lohnen!«
Ein paar der Spieler am Würfeltisch brachen in Gelächter aus.
Nackter Stahl blitzte auf und grub sich mit dumpfem Geräusch in den Tisch.
»Die Karte nach Atlantis bleibt schön dort, wo sie ist!« Die Stimme des Jungen kippte bei den letzten Worten schrill und kindlich in die Höhe, was die Mitspieler prusten ließ. Die Hände in die Hüften gestemmt funkelte er in die Runde.
»Ach, Atlantis, ja?«, Torben winkte ab, »Das haben schon zig andere behauptet – und bei Neptun – sie waren allesamt bärtiger als du!« Torben machte eine kunstvolle Pause und lauschte dem Gelächter der Alteingesessenen. »Ich würd an deiner Stelle nicht so viel drauf halten. – Hier!« Er schob eine Goldmünze in die Mitte des Tisches. »Das ist mehr als genug für ein Stück verwittertes Papier. Wenn du Glück haben solltest, spendier uns doch ne Runde davon.«
Wäre dieses kurze Funkeln in seinen Augen nicht vorhanden gewesen – ich hätte mich nicht weiter drum geschert und wäre unversehrt nach Hause spaziert. Stattdessen schritt ich Holzkopp an Torbens Truppe heran und legte meinen Einsatz - einen Kompass mit Goldintarsien – in der Mitte des Tisches ab.
»Ist nicht dein Ernst, Barnie! Dass du doch noch mal ein Spielchen wagst!« Torben bedeutete mir, neben ihm Platz zu nehmen. »DAS alte Teil ist so nutzlos wie ein Pfaffe an Bord!« Er nickte in Richtung meines Kompasses und klopfte sich lachend den Schenkel. Im Grunde genommen hatte er Recht: Der Kompass spielte regelmäßig verrückt.
»Im Zweifelsfall ist er immer noch hübscher anzusehen, als deine Visage!«, konterte ich und zwinkerte dem Jungen zu.
Ein metallisches Klicken hinter meinem Rücken, ließ mich zusammenfahren. Eine verschnörkelte und ziemlich antiquiert wirkende Pistole wurde polternd abgelegt.
»Ich steig mit ein!« Ein finster dreinblickender Glatzkopf umschritt den Tisch und ließ die Augen prüfend von Mann zu Mann wandern, bevor er den Platz mir gegenüber einnahm. Das Erste, was mir an ihm auffiel, war die Narbe, die sich quer über seine linke Gesichtshälfte zog. Die übrigen Männer rückten unweigerlich ein Stück zur Seite.

Das Klappern der Würfel berauschte die Sinne. Vielleicht war es auch der Grog. Oder beides. So kam es, dass ich mit einer Karte, einer Pistole, meinem kaputten Kompass und neuer Abenteuerlust den Heimweg antrat.

***

»Ich weiß nicht, ob ich einen Trunkenbold oder einen Holzkopf, wie dich schlimmer finde!«
»Mutter -«, setzte ich zu einer Erklärung an.
»Barnabas Longensteg, untersteh dich! Ich habe dich nicht zu einem Luftikus erzogen, der so mir-nichts-dir-nichts in See sticht und auf Schatzsuche geht. Du hast eine Frau – und bald eine Familie!«
Wenn sie meinen Vor- und Nachnamen zusammen ins Spiel brachte, bedeutete es selten Gutes. In diesem Moment war ich mir sicher: Selbst Davy Jones würde vor meiner Mutter – Käthe – davonlaufen – ob nun im Laufschritt oder mit maximaler Knotenzahl. Angriffslustig knallte sie ihren knorrigen Gehstock auf den Holzboden.

Das Knarren der Dielen auf dem Flur kündigte einen weiteren Gast in der Küche an: Frauke. Blass und mit auf dem Bauch ruhenden Händen betrat sie die Küche.
»Guten Morgen, mein Augenstern.«
Frauke wich meinem Blick aus und steuerte auf die Spüle zu, von wo aus sie durch das Fenster sah.
Käthe murmelte etwas Unverständliches, das offenbar mit der Uhrzeit und meiner Wortwahl zusammenhing. Ich glaubte deutlich, das Wort Süßholzraspel herausgehört zu haben.
»Dann ist es also dein Ernst?«, fragte Frauke geradeheraus, ohne mich anzusehen. Ihre Schultern hingen schlaff wie welke Blätter herab und ihrer Stimme war die Schlaflosigkeit der vergangenen Nacht anzumerken.
»Nur raus mit der Sprache! Erzähl deiner Frauke, was für'n Floh dich gepikt hat!«, forderte Mutter. »Oder ham wir noch Hoffnung, dass das Bier schlecht war?«
»Lass gut sein, Käthe. Ihr beide ward nicht zu überhören.« Ihre leise Stimme erzeugte einen siedendheißen Knoten in meiner Magengegend. Egal, wie aufbrausend und anklagend meine Mutter war – das Schuldgefühl kam für mich auf leisen Sohlen.
»Ich ... Letzte Nacht habe ich ... Also, ich ...«
»Jawohl, goldrichtig! Das ist es, worum's geht! Ich hör nämlich immer nur ich-ich-ich ...«, ereiferte sich Käthe. »Ich sag dir was, Junge! Familie lässt man nicht im Stich! Und bis du das kapiert hast, werden wir zwei dir nicht von der Seite weichen. Genau so isses und dabei bleibt's! Das ist mein letztes Wort!« Mit grimmiger Entschlossenheit richtete sie sich auf und reckte ihr Kinn, wodurch es noch spitzer wirkte. Ihr gesundes Auge durchbohrte mich förmlich, während das trübe in die Ferne zu starren schien.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 01, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Käpt'n Kombüsenkieker - Der verlorene SchatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt