purple 1.0

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Um die ganze Sache hier mal schön offen und freundlich zu starten: Ich kanns nicht so mit Namen.
Das ist wichtig für das, was jetzt kommt.
Echt wichtig.
Weil, uhm, darum gehts eigentlich im großen und ganzen.
Darum, dass ichs mit Namen nicht so kann.

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„Lass uns feiern gehen Tae!", werde ich am Freitagnachmittag von meinem Mitbewohner attackiert.
„Warummm Kookieee?"
Ich will nicht raus gehen. Ich will mich nicht bewegen. Ich will mich in meinen Decken auf meinem Bett verbuddeln, mir ein Schloss aus Kissen bauen und Horrorfilme auf Netflix gucken. Aber Jungkook scheint da anderer Meinung zu sein.
„Komm schon. Du willst doch nicht als einsame Katzenomi sterben, oder?", fragt er mich, während er meine Beine aus den Decken ausbuddelt.
„Doch."
Der mittlerweile nicht mehr ganz so motivierte Archäologe auf Ausgrabungstour-de-la-legs am Fußende meines Bettes stöhnt verzweifelt auf.
Ich strampele seine Hände von meinen Beinen weg und rolle mich zu einer kleinen, faulen Kugel zusammen.
„Ich will nicht!", gebe ich schmollend von mir und schlinge meine Arme fester um meine Beine.
„Aber ich will!", sagt er und geht mit federndem Schritt zu meinem Fenster um die Vorhänge energisch aufzureißen.
Ich zucke bei dem plötzlichen Kontakt mit Sonnenlicht erschrocken zusammen und ziehe mein Kopfkissen über meinen Kopf, weil Jungkook schon meine Decken auf den Boden befördert hat.
Als er, hartnäckig wie er ist, mein Kissen wegziehen will, grummele ich wütend ein paar unschöne Beleidigungen in die Matratze unter mir, die sich dann aber kurz senkt, als er sich anscheinend neben mich kniet.
Ich will meinen Kopf aber nicht heben um nachzusehen, was er da plant. Meine Neugierde ist nicht groß genug.
Fehler. Großer Fehler.
Denn kaum zwei Sekunden später trifft mein göttlicher Körper auf den kalten Fußboden.
„DU HUNDEKNOCHEN!", kreische ich geschockt drauf los. Was besseres fällt mir gerade nicht ein.
„DU LACHSNACKEN!", brüllt er sofort zurück.
„DU AUFGEGESSENES FRÜHSTÜCK!", rufe ich und ziehe mich am Bettgestell wieder auf die Beine.
„DU AUSGEBEULTE TEETASSE!", wird mir prompt an den Kopf geworfen, worauf ich mit „DU STINKENDE HEISSLUFTFRITTEUSE!" antworte.
Dann kontert er schlussendlich: „DU SCHIMMELNDER KLOBÜRSTENHALTER!"
Und deswegen muss ich so laut „BAH!!!" brüllen, dass Jin aus dem Nebenzimmer gefühlt noch lauter „FRESSE!", kreischt.
„SORRY SCHATZ!", wird von Jungkook geantwortet, während er versucht sich aufzusetzen - woran er kläglich scheitert und deshalb noch mehr lachen muss. Ich sitze währenddessen nur auf dem Boden vor dem Bett und sehe zweifelnd zu ihm hoch, einen sonderlich kompetenten Eindruck macht er nämlich nicht.

Wir essen zu dritt zu Mittag. Jin und Jungkook füttern sich gegenseitig, ganz das perfekte Pärchen, das sie nun mal sind, und kaum habe ich den letzten Löffel von Jins zugegebenermaßen fantastischer Suppe leergeschlürft, grabscht Jungkook nach meinem Arm und zieht mich in sein Zimmer. Vor seinem riesigen Kleiderschrank hält er und grinst mich nur schweigend und ziemlich creepy an.
„Was ist dein Plan?", frage ich ihn nun also ahnungslos.
Kooks dreht sich schwungvoll zu seinem Schrank und reißt die weißen Türen auf, um sich in die Türme von Kleidung, die sich dahinter befinden, zu schmeißen.
Ich setze mich auf das Bett, das er sich mit Jin teilt und überlege, wohin das alles führen könnte. Wahrscheinlich wird Jungkook versuchen mich mit irgendwem zu verkuppeln. Oder er wird mich bloß in die grobe Richtung eines gut aussehenden Typen schubsen und mich als One Night Stand verkaufen.
„Ich habs!", erklingt plötzlich seine Stimme gedämpft aus den unergründlichen Tiefen des Schrankes und eine schwarze Lederhose und ein hellblaues Hemd treffen mich unvorbereitet im Gesicht.
Ich hebe die beiden Sachen mit spitzen Fingern aus meinem Blickfeld und frage ihn: „Was genau soll das sein?"
„Dein Outfit.", sagt er zu mir, während er versucht seinen ernsten Gesichtsausdruck zu bewahren. Fantastisch.
Mit einem gequälten Gesichtsausdruck schicke ich ihn aus dem Zimmer, während ich schon dabei bin, mich aus der labberigen Jogginghose zu schälen, die zugegebenermaßen schon bessere Tage gesehen hat. Angewidert halte ich die Hose vor meine Beine, nachdem ich mich vor den großen Spiegel gestellt habe, der beinahe die gesamte Wand einnimmt.
„Wie lange noch?!", schreit Jungkook durch die Tür und ich zucke unweigerlich zusammen.
„Gib mir noch ein bisschen Zeit."
Das Teufelsteil bereits tragend öffne ich ihm kurz darauf die Tür, während ich die obersten Knöpfe des Hemdes noch zuknöpfe, doch er schlägt mir die Hände mit einem tadelnden Blick weg.
„Man sieht doch sonst gar nichts von deinem Körper, Taetae.", tadelt er mich, während er den Kopf schüttelt.
Schwungvoll drückt er mich wieder auf das Bett und bevor ich mich wehren kann, klatscht er mir irgendeine kalte Masse ins Gesicht, die er sofort mit einem Schwamm oder so verteilt. Danach bekomme ich eine ordentliche Ladung Puder drüber, die mich zum Husten bringt. Als er meinen Kopf nach vorne zieht und mir mit einem Stift irgendwas direkt über meine Augen malt bin ich kurz davor einfach schreiend aus dem Zimmer zu rennen und ihn wegen Misshandlung anzuzeigen, immerhin wollte ich die ganze Zeit nur eins: meine Ruhe.
Kann ich mir wahrscheinlich genau so abschminken wie das, was jetzt mein Gesicht ziert. Fantastisch.
Meine grüngefärbten Haare kämmt er durch, um sie danach wieder zu zerzausen. Effektiv.
„Sieht doch geil aus, ne?", fragt er mich begeistert, und hält mir einen Spiegel vor die Augen.
... vielleicht ist es doch nicht so schlimm, wie ich dachte. Aber noch lange nicht, was ich gemacht hätte!
„Komm!", ruft Jungkook, als er aus dem Raum marschiert. Vor der Wohnungstür hält er an, um mir ein Paar schwarzer Stiefeletten in die Hände zu drücken.
„Jin hat bestimmt nichts dagegen, wenn du die trägst."
Er schubst mich auf die Bank, unter der wir unsere Schuhe lagern, und geht dann wieder den Gang hinunter, in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
Ich streife die Schuhe und lehne mich verärgert gegen die Wand hinter mir. Vor mir hängen alte Bilder von uns, an einem Bindfaden quer über die Wand des Flures gehängt, und sofort muss ich lächeln. Es gibt dieses eine Bild, da sind wir bei einem McDonalds, glücklich und verliebt grinsen Jin und Jungkook, sich gegenübersitzend, in die Polaroidkamera, die der Jüngste hält. Vor ihnen fünf Burger, drei Colas und zwei Packungen Chicken McNuggets. Ich sitze neben Jin, mit einem Salat, und stochere mit einem deprimierten Blick darin herum, ohne mitzubekommen, dass ein Foto gemacht wurde.
Ich habe so ein unglaubliches Glück mit meiner Familie, ich kann es immer noch nicht wirklich fassen.
„Los geht's, LET'S HAVE SOME FUN!", ruft Jin in grauenhaftem Englisch, während er mit Jungkook im Schlepptau die Tür aufreißt, kurz im Türrahmen stehenbleibt um sich Schuhe  überzustreifen und dann das Treppenhaus runterhüpft.
Ich sehe dem Pärchen nur verwirrt hinterher. Die Tür schließe ich vorsichtshalber ab, bevor ich ihnen zu der Haltestelle der Straßenbahn folge. Drei Tickets schon in der Hand warten die beiden und schleifen mich sofort in die erste Bahn, die vor uns hält.
„Wo wollt ihr eigentlich hin?", rutscht es mir raus, und ich kann mitansehen, wie ein verschwörerischer Blickwechsel vonstatten geht.
„Dionysus", sagen sie gleichzeitig, und Jin's unverwechselbare Lache schallt durch die üppig besetzte Bahn. Er wird ein paar mal komisch angesehen, aber ihm macht das nichts aus.
Fünf Stationen später steigen wir aus. Wir befinden uns sofort mitten im Nachtleben dieser ruhelos scheinenden Stadt und plötzlich, bei dem Anblick der vielen Gestalten, die so voller Elan und Tatendrang durcheinander wuseln, werde ich wacher. Ein Schwall von Energie und Vorfreude durchflutet mich und ich muss Grinsen.
So folge ich meinen besten Freunden durch die Menschenmassen, die Lichter der Straßenlaternen über uns.
Vor einem hohen Gebäude, aus dem bereits ein durchdringender Bass dröhnt, bleiben sie stehen und reihen sich in die Schlange ein, die sich bereist gebildet hat. Sie unterhalten sich fröhlich, Jin hält Jungkook an der Hüfte bei sich und Jungkook drückt ihm hin und wieder einen schüchternen Kuss auf die Wange. Ich widerstehe dem Drang, mich an die dreckige Wand des Clubs hinter mir anzulehnen und verschränke die Arme locker vor meinem Bauch. Fasziniert verfolge ich die verschiedensten Menschen, die an mir vorüberziehen, und stelle mir vor, wie es wäre, wirklich und wahrhaftig frei zu sein. Frei von Verantwortung, Erwartungen und all den Dingen, die einen ab einem gewissen Level zu erdrücken scheinen.
Die Schlange rückt nach und nach vor bis wir dran sind.
Ich bin so versunken in meinen Gedanken, dass ich nur mitbekomme, wie mir hektisch ein Stempel irgendwo auf mein Handgelenk gedrückt wird und ich vehement weiter nach vorne gedrängt werde, tiefer in die Ursprünge des lauten Dröhnens des Musik, von der ich mittlerweile auch etwas mehr verstehen kann. Der Song endet und die Anfangsklänge von Fuck Cockroachez von RM und ZICO, erklingen vibrant aus den riesigen Boxen neben den Eingangstüren, von denen aus ich in Richtung Bar gedrängt werde. Verloren sehe ich mich suchend nach Jin oder Jungkook um, erblicke aber keinen der beiden.
Fängt toll an, unser Abend zu dritt.
Ich wäre sowieso das fünfte Rad am Wagen gewesen.
Seufzend drehe ich mich zur Bar und suche nach einem freien Sitzhocker etwas abseits, den ich nach kurzem Suchen auch finde.
„Na Kleiner, was willste?", fragt der Barkeeper mich.
„W-was starkes b-bitte."
Vor Nervosität zittert meine Stimme schon, und ich beiße mir wütend auf die Unterlippe.
„Wenn du's sagst..",  murmelt er, bevor er sich zu dem Regal hinter sich umdreht und einige, für mich zufällig erscheinende, Flaschen hervorkramt.
Ich starre, durch meine nicht vorhandene Sozialkompetenz verunsicherter den je, auf das dunkle, robust erscheinende Holz unter meinen verschränkten Händen. Ein Glas wird vor mir abgestellt und in mein Blickfeld geschoben, von wo meine Hände es zögerlich ergreifen und zu meinem Mund führen.
Es beinhaltet eine bunte Flüssigkeit, die in den schönsten Farben in sich verläuft, um in einen milchigen Nebel zu resultieren, der sich am unteren Bereich des Glases absetzt. Ich führe es an meinen Mund und nehme ohne zu zögern einen großen Schluck, was besser erscheint als erwartet. Bis jetzt erfüllt ein fruchtig/samtiger Geschmack meinen Mund. Positiv überrascht schlucke ich, und muss nicht wie erwartet husten. Ein leichtes Brennen durchzieht zwar meinen Hals und ein bitterer Nachgeschmack macht sich breit, aber das ist alles viel weniger krass, als Jungkook es mir berichtet hat.

Innerhalb der nächsten zehn Minuten ist das Glas vor mir bereits einmal geleert worden und der Barkeeper, der mittlerweile einen regelrecht freundlichen Eindruck auf mich macht, hat mir auch schon nachgeschenkt. Eine Wärmewelle durchflutet mich, und mir fällt auf, wie fantastisch die Menschen eigentlich sind. Ich habe sie alle unglaublich lieb, Jungkook und Jin, meine Eltern, den Barkeeper, ja sogar den Mann, der sich neulich an der Kasse beim Emart vorgedrängelt hat. Ich mag dieses Gefühl. Alles Böse dieser Welt wird übertönt von der Liebe, die jeder in sich trägt.
Plötzlich werde ich aus meiner Liebeserklärung an die Menschheit gerissen, als mir auf die Schulter getippt wird.
„Ist hier noch frei?", fragt der junge Mann, und überfordert mich damit katastrophal.
Seine lilafarbenen Haare fallen ihm wirr in die Stirn und ich bilde mir ein, dass seine wachen, braunen Augen sehen mich so ehrlich anblicken, wie ich es nie zuvor gesehen habe.
„Ja!", quieke ich überrascht.
Meine überflutende Liebe für alles und jeden macht vor ihm nicht halt, und als sich ein lächeln auf sein Gesicht schleicht kann ich nicht anders, als „Du bist wuuuunderschön." zu sagen.
Meine Zunge fühlt sich taub an, wie als würde sie nicht schnell genug für die Worte sein, die ich herausbringen will. Aber mir ist das egal, denn der Engel lächelt nur noch mehr.
„Du auch." sagt er.
Er wendet sich kurz ab, um leise mit dem netten Barkeeper zu sprechen, den ich bereits fest in meine zukünftige Familie mit eingeplant habe. Er reicht meinem baldigen Ehemann zwei weitere Gläser, und er platziert eines davon vor mir.
„Ich lade dich ein." teilt er mir freundlicherweise mit und ich bin beeindruckt davon, wie nett er zu mir ist.
Enthusiastisch greife ich erstmal daneben, als ich versuche das Glas zu treffen.
Kaum spüre ich, wie die kühle Flüssigkeit sich in meinem Mund befindet, verschwimmt alles um mich herum in einem bunten Schleier.

purple | taejoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt