~Kapitel 2~

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Kaum waren wir aus der Tür, schweiften meine Gedanken schon wieder ab. Endlich würde ich meine Freunde wiedersehen. Auf Hailey, meine beste Freundin, freute ich mich am meisten. Tatsächlich aber hegte ich auch ein gewisses Interesse an den neuen Schülern, die aufgrund einer Zusammenlegung des jetzigen 9 Jahrgangs, in die restlichen drei Klassen aufgeteilt worden waren. Die Klasse 8c, oder jetzt 9c, existierte nun nicht mehr. Ich erinnerte mich noch zu genau an den Tag der Entscheidung. Mit der Schulleiterin, acht Lehrern und den Klassensprechern, zu denen ich gehört hatte, saßen wir in einem stickigem Chemieraum und entschieden welche der vier Klassen aufgeteilt werden würde. Das es keine leichte Entscheidung werden würde, war ja schon von Anfang an klar gewesen. Denn natürlich wollte jeder Klassensprecher seine Klasse vor dem Aufteilen bewahren, jeder Lehrer die Klassengemeinschaft beibehalten und die Schulleiterin auch keine traurigen Schüler, die sich dann noch unfair behandelt gefühlt hätten. Und so hatte die Diskussion über vier Stunden gedauert. Letztendlich hatte es dann die Sportklasse getroffen, was eigentlich nur logisch war, denn diese war nicht nur die kleinste Klasse gewesen, sondern auch die mit den meisten Problemschülern. Eigentlich war ich ziemlich froh gewesen, das es nicht unsere Klasse getroffen hatte, aber trotzdem verspürte ich auch Mitleid, da ich mir nicht mal im Traum vorstellen könnte von meiner Klasse getrennt zu werden. Jedenfalls hatten die Lehrer es für sinnvoller gehalten, nicht zu sagen, wen wir neues bekommen würden. Das Einzige was wir alle mit Sicherheit wussten war, das es sechs Jungs waren. Ich hatte nie viel mit meinen Parallelklassen zutun gehabt, besonders mit der Sportklasse nicht. Jedoch hoffte ich das in der nächsten Zeit zu ändern. Ich hoffte meine neuen Mitschüler besser kennenzulernen, ja vielleicht sogar Freundschaft mit ihnen zu schließen. "Du hast schon wieder diesen abweisenden, verträumten Gesichtsausdruck aufgesetzt... Alles okay?", wieder war es Tobi, der mich aus den Gedanken riss. "Ja... ich denke nur an den bevorstehenden Tag. Wir haben Mathe in den letzten beiden Stunden", antwortete ich und rollte seufzend mit den Augen. Als wir endlich das Treppenhaus verließen, atmete ich die frische Frühlingsluft ein und blickte auf den mit jeweils zwei Rosenbüschen gesäumten Kiesweg vor uns. Dieser kleine Pfad, der zu unserem Wohnblock mit sechs, jeweils 3-Zimmer Wohnungen führte, hatte mich immer an ein Märchenschloss erinnert. Wir überquerten die Straße und gingen durch ein kleines Waldstück bis wir schließlich nur noch einer Einbahnstraße bus zum Gymnasium folgen mussten. Schon von weitem waren lärmende Motoren, das Quietschen irgendwelcher Bremsen und Kindergeschrei zu hören. Als wir auf den nicht sehr kreativ gestalteten Schulhof bogen, der wirklich nur ein Klettergerüst und zwei Holzbänke enthielt, verabschiedete ich mich von meinem Bruder und lief auf den Nordeingang des großen Gebäudes zu. Gerade wollte ich die schwere Stahltür öffnen, als ich jemanden meinen Namen rufen hörte. Langsam drehte ich mich um. Dann rannte ich kreischend auf sie zu und umarmte sie stürmisch. "Hailey! Wie geht's? Oh mein Gott, ich bin sooo aufgeregt, das glaubst du gar nicht...", begrüßte ich meine beste Freundin. "Ja, ich freue mich natürlich auch... ein bisschen weningstens...", lachte sie. Hand in Hand liefen wir die Treppe bis in den ersten Stock hoch und betraten unseren neuen Englisch-Fachraum. Meine Freundin steuerte gerade auf einen Fensterplatz in der ersten Reihe zu, woraufhin ich ihr anbot doch lieber einen der Seitenplätze zu nehmen. "Komm schon! Das ist viel besser... vor allem wegen dem guten Ausblick... you know", flüsterte ich ihr beinahe verschwörerisch zu. "Nagut...", grinsend setzten wir uns in den noch ziemlich leeren Raum. Außer uns waren nur noch ein paar Jungs auf der gegenüberliegenden Seite zu sehen, die sich dem lauten Geschrei nach zu urteilen die lustigsten Witze erzählten. Plötzlich bemerkte ich wie zwei strahlend hellgrüne Augen mein Sichtfeld streiften. Sofort wollte ich meinen Blick senken, doch diese stechenden Augen hielten meine fest wie Nägel ein Blatt an einer Styrophorwand. Als ich endlich in der Lage war wegzuschauen, zitterte ich am ganzen Körper. "Alles gut?", fragte Hailey mich stirnrunzelnd. Ja... ja wo bleiben die anderen?", suchend schaute ich zur Tür. "Josy hat mir gerade geschrieben... Sie kommen wohl gleich... Naja du weißt doch wie das in diesem Dorf ist", erklärte sie und schaute von ihrem Handy auf. "Jap... der Bus hat immer mindestens 10 Minuten Verspätung!", lachte ich und wagte einen vorsichtigen Seitenblick auf den Typen dem diese krassen Augen gehörten. Er hatte schwarz gelockte Haare, trug einen roten Kapuzenpulli, eine weiß-graue Hose und weiße Nike Sneaker. Ich schüttelte leicht den Kopf, bei dem Gedanken jetzt einen Pullover an zu haben. Bei diesem ausnahmsweise schönem Frühlingswetter! Doch das war nicht das Einzige komische an ihm. Denn im Gegensatz zu den anderen Jungs stand er völlig allein da und schien auch nicht recht interessiert an dem Geschehen um ihn herum. Ich wandte mich wieder Hailey zu, die mittlerweile in ein angeregtes Gespräch mit Melissa, auch eine meiner besten Freundinnen, vertieft war. "...dieser Idiot! Nicht mal einen Tag in unserer Klasse und schon beleidigt er! Soll er doch einfach die Schule wechseln, wenn es hier so scheiße ist.", beendete Hailey gerade ihren Satz. "Wer denn?", mischte ich mich überrascht ein. "Jason, auch genannt Jace. Er soll die Klasse beleidigt haben und insgesamt ein ziemliches Arschloch sein... dahinten steht er übrigens! Der, mit dem roten Hoodie.", antwortete Melissa und zeigte auf den geheimnissvollen Typen mit den hellgrünen Augen. Ich erstarrte. Das konnte doch nicht sein...

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