In the cold

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Sie sah gut aus. Wunderschön. Ich lenkte meine Konzentration wieder auf das Essen vor mir.
Die Nudeln waren warm und kalt zu gleich. Die Gabel machte sich selbstständig und fiel in den Teller. Ein leiser Seufzer verließ meinen Mund. Ich drehte mich zu meinem Bruder und sagte, dass ich kurz aufs Klo müsste. Das Geräusch meiner Absätze beim Gehen war klar und deutlich zu hören.

Ich stand vor dem Spiegel konnte mich aber nicht anschauen, blickte an mir vorbei. Die 1000 Gespräche die gleichzeitig geführt wurden, erklangen dumpf im Bad wieder. Mit kurzen Handgriffen drehte ich meine relativ langen, weiß gefärbten Haare zu einem Dutt, löste meinen Haargummi von meinem Handgelenk und befestigte damit den Dutt. Dann bückte ich mich und kühlte mein Gesicht mit dem Leitungswasser. Noch einmal tief durchgeatmet und abgetrocknet, betrat ich den Hauptbereich des Restaurantes. Die stickige Luft lastete genauso auf mir wie die riesige Menschenmenge in die ich mich begab. Das Geräusch meiner Absätze beim Gehen war klar und deutlich zu hören

Die jämmerliche Gabel lag unberührt in dem Mischmasch aus Ekel, Nudeln und Gänsehaut. Nicht, dass es in diesem 4-Sterne Lokal nicht schmeckte, aber mein Appetit war schon weg, als ich sie mit ihr gesehen hatte. „Soll ich's essen?" Erschrocken blickte ich in das makellose Gesicht meines Bruders. Ich nickte. Ich drehte mich in die andere Richtung und blickte in ihre waldgrünen Augen, sie glitzerten. Wortlos ging auf den Ausgang zu. Man konnte sehr gut meine Absätze auf den Boden aufkommen hören.

Die kalte Luft drückte sich an meinen Körper. In dieser Zeit war es abends noch zu kalt um draußen angenehm sitzen zu können, aber es tat gut. Ich merkte wie ich automatisch meine Arme vor meiner Brust verschränkt habe. Ich lehnte mich an eine Säule und blickte in den dunkelblauen Himmel, der mehr dunkel als blau war. Es war ein schönes Fest, bis zu dem Zeitpunkt an dem ich sie mit ihr gesehen hatte. Ich hatte sie gut verdrängt und hatte gedacht ich wäre über sie hinweg. Falsch gedacht. Aber sie sah glücklich aus und das machte mich glücklich, auch wenn nicht ich der Grund war. Nur den Blick bevor ich rausgegangen bin, blieb in meinem Gehirn und setzte sich fest. Sie kämpfte mit den Tränen, das sah ich ihr an, dafür kannte ich sie noch zu gut. Viel hatte sie sich nicht verändert, ich konnte noch einige Gesten deuten die sie gemacht hatte und die man nur erklären kann, wenn man sie kennt. Für Außenstehende sind es lapidare Dinge. Wie wenn sie mit ihrem rechten Zeigefinger auf ihren Linken klopft, daran erkennt man ihre Unsicherheit.
Während ich so darüber nachdachte, wirkte sie auf einmal nicht mehr glücklich, sondern wie ein kleines Wrack, das von anderen geformt und gestaltet wurde. Als hätte sie ihre Mauern wachsen lassen, die ich damals versucht habe so gut es ging einzureißen.

„Mel?", eine leise, vorsichtige Stimme erklang und es bildete sich an meinem Nacken eine Gänsehaut, die nur sie hinbekam. Ich regte mich nicht. Äußerlich zumindest. Meinen Kopf lehnte ich an die Säule und in Stille forderte ich sie auf weiter zu reden. „Es... Wir müssen reden", ohne hin gesehen zu haben, wusste ich, dass sie ihren Kopf senkte. Ich widerstand der Versuchung mich umzudrehen, stellte mich aber aufrecht hin. Meine Kraft irgendwas zu sagen, verschwand von Sekunde zu Sekunde mehr ins Nirvana. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht dieses „Gespräch" beendete, wird meine Maske, die ich in den letzten vier Jahren relativ gut aufgebaut hatte, bröckeln.

Aber ich würde sie verletzten, wenn ich jetzt gehe und eigentlich will ich das nicht. Ich will nicht wissen wie viel Überwindung es sie gekostet haben muss mir nach draußen zu folgen. Ich will diese Situation nicht. Die letzten Jahre hatte ich so viele Vorstellungen und Simulation falls wir jemals wieder auf einander treffen sollten. Ich will nicht mit der Situation überfordert ein. Ich will nicht gleich durchdrehen. Ich will nicht, dass sie der Grund dafür ist.
„Es ist wichtig", versucht sie es nochmal. Sie ist deutlich nähergekommen. Sie soll einfach weiterreden. Stille. Ich will einfach nur weg. „Es...es...tutmirleid", ihre Stimme bricht weg. Was soll ihr denn bitte leid tut? „Was?", frage ich in die Nacht. Sie scheint kurz leicht irritiert. „So wie es geendet hat." Ich sammle mich und drehe mich um. Konstant den Augenkontakt haltend, spreche ich mit bedachter Stimme: „Damals sah es nicht aus als würde es dir leid tun und jetzt nach vier Jahren tauchst du wieder auf und willst dich entschuldigen?" Sie will was erwidern, aber ich achte nicht drauf. Ich weiß, ich dreh sonst durch und breche zusammen und ich glaube sie weiß das auch. „Weißt du, es gibt nicht die eine, die die Schuld trägt, wir sind beide dafür verantwortlich. Wie es gelaufen ist. Und sind wir mal ehrlich, insgeheim willst du nur ein besseres Gewissen." Immerhin bist du mir nicht fremdgegangen, denke ich kurz spreche dann aber unbeirrt weiter. „Ich muss dann mal wieder rein.", sage ich ohne eine Erklärung. Ich löse den Augenkontakt und gehe an ihr vorbei hinein in das stinkende von Menschen verseuchte Gebäude. Das Geräusch meiner Absätze beim Gehen war klar und deutlich zu hören

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⏰ Last updated: Feb 16, 2020 ⏰

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