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5 Uhr Morgens.

Ich schlenderte weiter durch die Straßen.
Die wenigen Menschen auf der Straße, starrten mich merkwürdig an.
Ich hielt den mittlerweile warm gewordenen Kühlbeutel an mein schmerzendes Auge und ging in langsamen Schritten eine lange Hauptstraße entlang.

Ich habe kein Ziel.
Weder in meinem Spaziergang noch in mein Leben.

Das wichtigste für mich war, meine Familie zu ernähren.
Auf mehr oder weniger krimineller Weise, habe ich Geld verdient.
Als mein Vater starb, musste ich mich um die Familie kümmern.
Kochte, putzte und arbeitete in meiner Jugend statt für die Schule zu lernen.

Anfangs Zeitung austragen doch danach waren geklaute Beute und Drogengelder die Geldquelle.
Mit 16 Jahren bekam ich Kontakt zum Boss. Er war der Boss der ganzen Dealer des Viertels.
Kein Außenstehender weiß von seinem Standort oder Identität geschweige denn von seiner Existenz.
Die meisten fragen nur nie dahinter woher die ganzen Drogen kommen.

Er war noch jung. Vielleicht mitte zwanzig und er sah ziemlich gut aus.
Er verschanzte sich in eine Wohnung im dritten Block und wurde von seinen besten Männern beschützt.
Mehrere Dealer gingen zu ihm, bekamen die Ware und wurden dann für den Verkauf geschickt.
Je nachdem wie viel man verkauft, bekam man zehn Prozent der Einnahmen.

Dieser Boss benutzte die Verzweiflung junger Menschen um sein Geld zu kriegen.
Natürlich hatte dieser Boss einen noch höheren Boss, der warscheinlich im Ausland wie ein Millionär lebte.
Es gibt immer einen höheren Boss.

Doch dieser "kleine" Boss im Viertel lachte mich aus als er mein Geschlecht erkannte.
Ich wäre nur eine Frau.
Ja, ich bin eine Frau.
Trotz seiner Frauenfeindlichen Meinung, gab er mir eine Chance.
Ich kriegte ein Kilo Canabis und auch wenn es verdammt gefährlich war und ich nicht ernst genommen wurde, habe ich sie mit Mühe verkauft.

Zehn Prozent waren genug um meinen Geschwister etwas zu kaufen.
Ich verkaufte und gab es meinen Geschwistern oder meiner Mutter.
Natürlich wussten sie nicht woher das Geld stammte.
Ich verabscheute Drogen aber all dies war für meine Familie wert.

Ich würde alles tun damit meine Mutter lächelt weil sie sich keine Sorgen um die Miete machen muss.
Alles für ein Lächeln meiner Geschwister wenn sie nach langer Zeit neue Kleidung oder Schuhe bekamen. Wenn sie nicht mehr hungern müssen.

Eines Tages wurde es mit dem Dealen heikel. Die Polizei rückte an und es wurden viele gefasst.
Ich wollte aus dieser Sache so schnell wie möglich raus.
Wenn ich im Knast bin, wer soll sich um meine Familie kümmern?
Doch der Boss ließ mich nicht.
Einmal in dieser Sache drin und du kommst nie wieder raus.

Doch Vic, den ich damals durch Zufall traff, versprach mir zu helfen.
Und durch viel Glück schafften wir es diesen Typen los zu werden, halbwegs.
Bis heute kriegen wir immer wieder Probleme mit Banden.

Heute versorgte Vic uns.
Er ist nicht mein Freund.
Er ist wie meine zweite Hälfte.
Wie pflegten eine besondere Freundschaft aber keine romantische.
Wir liebten uns wie Geschwister.

Etwas an mein Oberschenkel vibrierte.
Ich zog mein Handy aus der Tasche.
Das Display zerbrochen und die Ränder abgenutzt doch es war das einzige Handy, was ich mir leisten konnte.
Ich musste meine Augen zusammen kneifen um den Namen lesen zu können.

Zu Hause.

Unser Haustelefon, warscheinlich meine Mutter.
,,Mama?", fragte ich leise.
,,Djamila, komm bitte her.", sagte sie sanft mit einem arabischen Akzent.
Ihre Stimme klang zerbrechlich.
,,Ja, Mama.", gehorchte ich und lag auf.
Wenn meine Mutter mich rief dann musste es wichtig sein.

Ich wusste nicht genau, wo ich war doch ich orientierte mich an den Geschäften und kam dann irgendwann an meinen bekannten Straßen an.
Nach zehn Minuten lief ich den Weg zügig zum Viertel und hielt am zweiten Block an.
Betrunkene und zwei Jugendliche sind vor dem zweiten Block.

Ich drängte mich an diesen Tunichtsguten vorbei und schloss die Vordertür auf, hüpfte die Treppen hinauf bis zum dritten Stock und schloss erneut die linke Tür auf.
Ich schlüpfte aus meinen Schuhen doch behielt die Jacke an.
Da fällt mir mein blaues Auge ein.
Meine Mutter durfte es nicht sehen sonst würde sie schnell dahinter kommen, was ich Nachts trieb.

Ich schnellte durch die dunkle Wohnung. Es war weitestgehend still, warscheinlich schliefen all meine Geschwister.
Da die Wohung sehr klein war, erreichte ich schnell das enge Badezimmer.
Im Spiegel betrachtete ich mein rechtes Auge.
Es war unterhalb schon lila.

Ich nahm die alte übrig gebliebene Abdeckschminke und schminkte die lilane Stelle ab.
Dann tappte ich zurück in das Wohnzimmer.
Was heißt Wohnzimmer.
Es war ein Zimmer wo Küche, Esszimmer und der Rest einem Wohnzimmer ähnelten.

Meine Mutter saß auf der alten Couch und hielt ein Blatt in der Hand.
Als sie mich sah, schnellte sie hoch und legte das Blatt auf den Esstisch.
,,Was ist los?", fragte ich.
Sie blickte mich misstrauisch an.
Unter ihren dunklen Augen zeichneten sich tiefe Augenringe und sie wirkte blass und krank.
Meine arme Mutter hat in ihrem Leben zu viel gesehen und erlebt.
Sie schläft kaum, wacht in der früh auf weil sie meint, sie müsse arbeiten.

,,Die Mieten sind gestiegen. Das können wir uns nicht mehr leisten.", brachte sie traurig hervor und zeigte auf das Blatt.
Ich nahm es und las.
Es war ein Brief der Verwaltung.
Der Staat müsse bedauerlicherweise die Mietpreise erhöhen, stand da.
Der Preis war wirklich hoch.

Ich raufte mir die Haare, lief auf und ab im Zimmer und überlegte einen Ausweg.
Normalerweise würde uns Vic helfen aber er hatte schon genug Probleme.
Also muss ich entweder das Geld jeden Monat zusammen kriegen oder eine andere Wohung suchen, wobei ich bezweifle, eine günstigere Wohnung zu finden.

,,Was machen wir jetzt, Mama?"
Zum ersten Mal klang ich richtig verzweifelt und hilflos.
Niemals würde ich so viel Geld kriegen.
,,Ich weiß es nicht, Djamila."
Ich legte den Brief auf den Tisch.
Sie murmelte etwas auf arabisch und sagte schließlich.
,,Geh dich ausruhen. Es ist noch früh.", nuschelte sie mit Blick auf die Uhr.

,,Nein, Mama. Du musst dich ausruhen."
Sie schüttelte den Kopf.
,,Deine Geschwister müssen rechtzeitig aufwachen und gut frühstücken können."
,,Mama, Aimen ist schon dreizehn Jahre alt. Er kann sich auch selber Frühstück machen und um Yara und Emina werde ich mich kümmern."

,,Aber-"
,,Kein aber. Geh jetzt schlafen. Du siehst fertig aus."
Sie seufzte und ging dann stumm aus dem Zimmer.
Ich räumte noch schnell den Brief weg damit Aimen ihn nicht sieht und sich dann Sorgen macht. Es reicht schon wenn zwei sich große Sorgen machten.

Bis 6:30 Uhr lag ich auf dem Sofa und starrte in die Dunkelheit.
Die Gardinen waren zu gezogen und der Winter brachte keine Sonne.

Rohdiamant || SamraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt