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Fasziniert starre ich auf das Schwertheft das aus meiner Brust ragt. Man sollte denken, das man sich nach 20 Jahren daran gewöhnt hat erstochen zu werden.

Ich bin mir nicht sicher ob ich mich jemals an den scharfen, übelkeiterregenden Schmerz gewöhnen werde. Meine alte Klinge hebt sich. Sie ist schartig und rostig und die Zeit war zu ihr nicht annähernd so gut wie zu mir. Ich sehe von der Hand am Schwertheft hoch in das Gesicht meines Angreifers - Erschrocken und ungläubig ist sein Blick. 

"Warum bist Du überrascht?" schüttel ich meinen Kopf enttäuscht. Die Armee der Untoten des König Rapaar war seit Jahren im Felde, es war unwahrscheinlich das dieser Landsknecht noch nichts von uns gehört hat. "Sie, die Priester sagten das Weihwasser auf der Klinge wirkt" stammelte er mit aufkeimender Hysterie in der Stimme 

"Warum sollte es denn funktionieren?" murmelte ich mehr zu mir als zu ihm. Mein Kopf ruckt zur Seite als mich etwas hartes in der Schläfe trifft. Einhundertsiebenundfünzigster Tod. Aus der Art wie mein Kopf herumgerissen wird schliesse ich das es ein Pfeil war der mich getroffen hat. Es reißt mich zur Seite, dadurch hebe ich mein Schwert. Es fährt durch den Mund des Mannes und läßt seinen Schrei durch Blasen von Blut herausgurgeln. Mir wird schlecht beim Anblick des Blutes das seine Rüstung heruntertropft. Er bricht stammelnd zusammen und stirbt langsam während das Blut aus seiner Wunde in den Boden sickert.

Ich bin nicht sehr gewalttätig. Eigentlich bin ich Schreiber. Ich taste meine Schläfe ab und breche den Pfeilschaft in meinem Kopf ab. Ich werde wohl nachher jemand bitten müssen den Rest herauszufischen. Das oder ich lass die Spitze drin, wie so manch anderes Andenken an längst vergangene Schlachten. Ich war nicht immer so. Als Schreiber stand ich oft am Pult und schrieb Briefe, Listen, Lieferscheine, Anfragen und arbeitete die Wintermonate in meinem Dorf als Lehrer. Ich war angesehen und verdiente gutes Geld. Meine Familie war versorgt. Die Entscheidungen die man trifft verfolgen einen. Ich erinnere mich als König Rapaar's Mannen in unser Dorf ritten und alle wehrfähigen Männer aufforderten sich zum Dienst am Königreich zu melden. Sie sagten was von einem Überfall auf das Königreich oder eine Beleidigung? Ich habs vergessen. Loyalität und meinen zwei Söhnen zu zeigen wie ein "richtiger" Mann sein Reich verteidigt trieben mich dazu meine Schreibutensilien gegen ein schon damals rostiges Schwert und einen hölzernen Schild einzutauschen. Wenn ich gewußt hätte was auf mich zukommt, ich wäre in den Wald gelaufen und hätte mich in einer Höhle versteckt. 

König Rapaar heuerte einen Nekromanten an. Ich habe den Namen dieses Arschlochs nie erfahren. Ich wünschte ich wüsste ihn, denn nur dann könnte ich ihn ins Nichts verfluchen. Aber sicher das Nichts hat  ihn sich schon längst geholt. Dennoch würde ich mich dann besser fühlen. Der Zauberspruch sollte eigentlich nie auf uns alle wirken. König Rapaar wollte eben nur Unsterblich sein und der Nekromant wollte einen Berg aus Gold damit verdienen. Als wir alle in diese dunkle, stinkende Wolke gehüllt wurden und die Schmerzen begannen, wußte ich das ich besser in den Wald gerannt wäre. Untot werden ist nicht einfach. Schmerz brandet in glühenden Wellen durch den Körper und zerreisst einen innerlich. Ich habe erst später verstanden, das sich in diesem Moment unsere Seelen vom Körper losrissen. 

Ein Pferd rennt in mich und schleudert mich zu Boden. Knochen krachen, splittern, brechen. Als ich aufschlage und die Augen hebe sehe ich eine Kornblume vor meinem Gesicht, noch nicht  niedergetrampelt oder vom Blut ertränkt. Einhundertachtundfünfzig. Als wir aus der Dunkelheit heraustraten fielen uns sofort die Haare aus, was mich wütend machte weil ich auf meine
langen, dunklen lockigen Haare stolz war und sie jeden Abend mit einem Holzkamm pflegte. So eine Verschwendung. Ich würde lügen wenn ich behaupten würde ich hätte nie daran gedacht
einfach aufzuhören zu kämpfen und wegzulaufen. Besonders nach der ersten Schlacht. Nicht zu sterben macht einem Angst. Wenn man zusehen muss wie die eigenen Gliedmassen abgehackt
oder die eigenen Eingeweide herausgeholt werden und alles wie durch Zauberei wieder anwächst. Das wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind. Ich beschloss jedoch das meine Familie
besser ohne mich dran wäre. ich bezweifle das meine Frau ihre Röcke für ein Monster wie mich gehoben hätte. Und meine Söhne? Entweder hätten sie sich gefürchtet oder - schlimmer noch -
so werden wollen wie ich. Es ist also besser, das sie denken ich sei tot. also tot-tot, richtig tot. Ich setze mich auf und merke am nachlassendem Schmerz das die Knochen sich richten

Ich bewundere die zarte Kornblume. Der Feind zieht sich wieder zurück. Ich bin immer noch überrascht davon das sie überhaupt soviel Widerstand geleistet haben. Zwanzig Jahre oder so -
Zeit hat irgendwann keine Bedeutung mehr wenn man nicht altert oder stirbt - sind wir von einem Kampf in den anderen gezogen um das Königreich zu verteidigen. Wir haben heroische Schlachten geschlagen und undenkbare Siege errungen, aber was soll ich denn sonst machen? 

Als Schreiber in einem Dorf arbeiten? "Guten Tag Herr Schreiber, wie geht es ihnen denn?"
"Guten Tag, Müller! Tot wie immer!" Nein! Weglaufen lohnt sich nicht. Jubelgeschrei der Soldaten meiner Seite erhebt sich. Ich hebe gerade mein Schwert auf als ich plötzlich einen Reiter aus den Reihen des Feindes sich lösen und mit gesenktem Speer auf uns zu preschen sehe. Ein verfickter Held. In seiner Hand glüht der Speer in einem Grün wie ich es noch nie gesehenhabe. Ich starre ihn an. Sein Speer streift einen meiner untoten Kameraden. Nur ganz leicht. Der Körper zuckt und zittert und fällt dann auseinander. Er zerfällt vor meinen Augen mit einem Lächeln auf den Lippen!

Ich bin starr vor erstaunen und stolpere auf den Mann zu. Mein untotes Herz hämmert vor Aufregung und Sehnsucht. Kann es sein? Nach dieser Zeit? Es hat jemand geschafft?

Es hat jemand eine Lösung gefunden? Ich stelle mir meine Schreibstube mit den Büchern vor. Das leise Kratzen der Feder über Pergament und der Geruch von Tinte, die Gefühle
wenn man einen Liebesbrief schreibt, wenn man mit jemand auf der anderen Seite der Welt kommuniziert oder etwas liest das vor Jahrhunderten niedergeschrieben wurde. Ein Pfeil hämmert sich in meine Brust. Einhundertneunundfünfzig. Ich sehe verzweifelt wie ein Kamerad sein Schwert hebt um den Mann in der Robe nieder zu schlagen. "Nein!" schrei ich und stürze mich vorwärts.

Schnell wie ein Blitz wendet sich der Mann zur Seite und blockt das Schwert bevor er den Speer in den Kameraden versenkt. Welcher augenblicklich beginnt sich aufzulösen. Er springt vom Pferd. Ich hebe mein Schwert um einen Scheinangriff zu machen. Dabei hole ich weit aus, wie ein unerfahrener Anfänger, damit er den Schwerthieb kommen sieht. Gleich kommt der Speer - Süße Erlösung.

Ich werde endlich dort hingeschickt wo ich hingehöre. Zwei Pfeile schlagen fast gleichzeitig in meinen Rücken, lassen mich stolpern und reissen mich um. Der Speer verfehlt mich um
Zentimeter. Einhundertsechzig. Aber mein Schwert wird rumgerissen und trifft ihn durch die Robe in den Oberschenkel. Ich starre versteinert vor Schreck auf das hellrote Blut auf der Robe
und das verdutzte, schmerzverzerrte Gesicht des Mannes. Er starrt auf mein Schwert. Nein! Nein! Nein! Ich greife nach seinem Speer als der Mann auf die Knie fällt, setze mir die Spitze ans Herz und werfe mich dem Speer entgegen. Der Mann fällt mit gebrochenen Augen in den Staub und nichts passiert. Einhunderteinundsechzig. Das grüne Glühen des Speers ist verschwunden. Welche Magie auch dort gewesen ist. Sie ist nun verschwunden. Hände klopfen mir auf die Schultern und der Jubel meiner Kameraden gratuliert mir zu. So nah. Ich sinke auf meine Knie und möchte am liebsten Weinen. aber Untote haben keine Tränen. Ich war so nah dran. Ich hebe meinen Blick gerade noch rechtzeitig um die Wolke aus Pfeilen zu sehen die sich auf uns 
niedersenkt. Der Feind will seinen Rückzug sichern. Einhundertzweiundsechzig.

156Where stories live. Discover now