Chapter 1

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Jeder Tag ist anders und doch gleich. Gleich, weil jeder Tag geprägt ist von Ängsten und nix tun. Anders, weil man nie voraus sehen kann wie die Ängste dein Verhalten und die Stimmung den Tag über lenken. Jeder Tag ist eine Herausforderung.

In die Schule gehe ich schon seit Wochen nicht mehr. Meine soziale Phobie macht es mir unfassbar schwer in den Kursen zu bleiben, geschweige denn überhaupt dort hinzugehen. Ich bekam Panikattacken und verließ jedes mal das Schulgelände. Die Pausen verbrachte ich auf dem Klo weil mir in den Pausenhallen zu viele Leute waren und ich nicht wirklich Freunde hatte. Ich meine kennt ihr das, wenn man Leute auf den Gängen grüßt und hin und wieder mal Small talk führt aber in den Pausen nicht zu ihnen gehören kann, da sie bereits ihre eigenen Gruppen haben.

Sobald ich wusste das in einem Kurs eine Gruppenarbeit oder eine Präsentation anstand, ging ich nicht hin. Die Angst das zu wenig Stühle im Raum sind, ein Tisch fehlt und ich dann mitten im Raum stehe während mich alle ansehen war gewaltig groß. Ich bekam jedes mal Kopfschmerzen im Unterricht, da ich Sätze auswendig lernte, falls ich unerwartet dran genommen wurde. Bevor die Kurse begannen, standen alle Schüler in Gruppen vor dem Raum, außer ich. Ich stand direkt neben der Tür, ganz alleine. Jedes mal.
Ich war unfassbar stolz auf mich wenn ich es tatsächlich schaffte mich nach der Pause aufzuringen, um zum nächsten Kurs zu gehen. Die meisten Pausen weinte ich und stellte mir die schlimmsten Szenarien im nächsten anstehenden Kurs vor.
Am Sportunterricht nahm ich schon seit einem halben Jahr nicht mehr teil. Meine ehemalige Psychiaterin schrieb mich davon frei, da ich diesen leider überhaupt nicht mehr bewältigen konnte. Zu groß war die Angst vor Mitschülern einen Fehler oder etwas peinliches zu machen.
Wenn Mitschüler fragten warum ich nicht teilnahm sagte ich, ich sei stark erkältet. Während die anderen Schüler also im normalen Sportunterricht waren, saß ich in einem Nebenraum und arbeitete deren Programm schriftlich nach.

Nun ja eines Tages habe ich den ganzen psychischen Druck nicht mehr ausgehalten. Der Leistungsdruck kam dann noch dazu, weil ich im letzten Jahr war, um mein Abitur zu machen. An einem Montag schaffte ich es eine Schulstunde zu gehen. Ich saß die erste Stunde im Mathe Kurs. Auf einmal traten starke Suizidgedanken auf. Ich konnte mich nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren. Meine Gedanken drehten sich nur noch darum, wie ich mir mein Leben nehmen kann. Ich sah meinen Collegeblock vor mir kaum noch. Vor mir bildeten sich Bilder wie ich mein Leben beenden kann. Ich überlegte wie ich gleich zum nächsten Bahnhof gehe oder ob ich mir lieber Klingen hole, um mir dann die Pulsadern aufzuschneiden.
Plötzlich holte mich eine Mitschülerin aus meinen Gedanken in dem sie sagte, dass wir Pause haben. Ich packte meine Sachen schnell in meine Taschen und lief vor die Schule. Ich fing an zu weinen und setzte mich auf den Boden.
Ich schaffte es gerade noch die Nummer meines Vaters zu wählen.

<Hey Lea, was ist los?>
<Papa du musst mich holen kommen.>
<Wieso?>
<Ich habe Suizidgedanken.>
<Ich komme.>

Mein Vater legte auf und ich fing noch stärker an zu weinen.

Mein Vater war es gewohnt morgens von mir angerufen zu werden, wenn ich Panikattacken hatte und er mich holen kommen musste. Aber mit diesem Anruf hatte er erstmal nicht gerechnet.

Die Fahrt über redeten wir kein Wort. Zuhause angekommen ging mein Vater erstmal eine rauchen. Ich setzte mich mit unseren zwei Hunden aufs Sofa und kuschelte mit ihnen. Es half mir etwas runterzukommen. Aber auch nur etwas.

Mein Vater kam ins Wohnzimmer.

<Und Lea, was machen wir jetzt? Ich meine ich kann das nicht verantworten, wenn du dir was antust.>
<Ich weiß.>
<Wir fahren jetzt in die nächst gelegene Klinik und fragen da mal nach. Okay?>
<Okay.>

Ich hielt mich ziemlich zurück. Ich war müde, ausgelaugt und traurig, aber auch leer. Ich wusste nicht wirklich was ich fühlte. Es war mir egal. Es war mir egal, dass ich jetzt vermutlich eingewiesen werde.

Mein Vater versuchte noch meine Mutter zu erreichen, mit der er seit zwei Monaten getrennt ist. Allerdings war sie nicht zu erreichen, was meinem Vater dann noch den letzten Nerv raubte.

<Nie ist deine Mutter zu erreichen. Die sitzt wahrscheinlich mit ihrem Trottel schön auf der Couch und guckt einen Film.>

Ja meine Mutter hatte ihn für einen anderen verlassen. Mein Vater hat das ganze immernoch nicht ganz verarbeitet. Zumindest versucht er seine Trauer in Wut umzuwandeln. Was vor allem für meine Schwester und mich nicht wirklich hilfreich ist.

Die Fahrt über zur Klinik redeten wir erneut nicht. Mein Vater fuhr viel zu schnell und ignorierte gelegentlich Verkehrsregeln. Aber mir war es wie erwartet, egal. Ich sah die ganze Zeit aus dem Fenster und wusste nicht was ich mit mir anfangen sollte.

An der Klinik angekommen mussten wir erstmal warten. Währenddessen musterte ich die Patienten. Es war nicht mein erster Klinikaufenthalt. Ich war bereits im Sommer letzten Jahres in einer Klinik für Angststörungen. Diese hatte mir allerdings nix gebracht. Weshalb meine Einstellung zu solchen Einrichtungen eher semi gut ist. In Therapie bin ich auch schon seit drei Jahren allerdings erfolglos. Ich meine klar hin und wieder habe ich gute Strategien gefunden mit der sozialen Phobie voran zu kommen allerdings ist das einzige was hilft momentan meine Tabletten. Ich nehme 15mg Escitalopram. Jedoch helfen die nicht bei den Depressionen, sondern nur bei der sozialen Phobie.

Die Patienten die dort rumliefen könnten verschiedener nicht sein. Eine etwas ältere Frau mit roten Haaren lief durch den Flur und sang ein Lied, dass ich nicht kannte. Neben mir in einer Sitzecke saßen mehrere ältere Männer und spielten ein Kartenspiel.
Das Problem, was ich habe ist das ich 19 Jahre alt bin. Somit kann ich nicht mehr in eine Kinder und Jugendklinik, sondern muss ab jetzt in eine Klinik für Erwachsene. Und dort sind meistens hauptsächlich Ü30 Personen.

<Sie können jetzt reinkommen>

Eine relativ junge Frau lächelte mich bemitleidend an. Sie hielt die Tür zur Anmeldung offen und bat uns herein. Mein Vater und ich setzten uns auf die zwei Stühle gegenüber einen jungen Mannes. Er sah bemitleidend zu mir rüber.

<So dann erzählen sie mal, warum sind sie hier?>

Ich erzählte dem Mann alles von heute morgen und meinen bereits bestehenden Diagnosen.
Die Frau die etwas weiter hinten im Raum am Telefon saß, hörte uns zu. Sie sah mehrmals traurig zu mir rüber.

<Welche Medikamente nehmen Sie?>

<Escitalopram 15mg.>

<Haben Sie manchmal das Gefühl von starken Stimmungsschwankungen? Also dass sie an manchen Tagen sehr gut drauf sind und an manchen sehr traurig?>

<Nein ich bin eher nur traurig oder fühle mich leer.>

Der Mann nickte verständnisvoll.

<Gut dann würde ich vorschlagen sie bleiben erstmal hier, bis sich ihre Situation beruhigt hat.>

Mein Vater sah kurz zu mir und dann zu dem Mann.

<Wie lange müsste sie dann hier bleiben?>

Der Mann sah zu meinem Vater.

<Nun ja meistens bleiben solche Patienten mindestens zwei Wochen.>

Mein Vater nickte.

<Sie können sich jetzt erstmal kurz von ihrem Vater verabschieden, damit er ihre Sachen holen kann. In der Zeit nehmen wir sie mit auf die Station und zeigen ihnen ihr Zimmer.>

Der junge Mann stand auf und nahm Blätter mit, die er kurz vorher mit meinen Personalien ausgefüllt hatte. Mein Vater umarmte mich kurz und fragte, ob er was bestimmtes einpacken sollte. Mir fiel nix besonderes ein und mein Vater fuhr nach hause. Der junge Mann lief vor in Richtung Station. Auf dem Weg dahin redete er ziemlich viel, aber ich hörte kaum zu. Es war für mich noch nicht realisierbar, dass ich plötzlich wegen Suizidgedanken eingewiesen wurde. Wie konnte mein Leben nur so einen lauf nehmen?



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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 02, 2019 ⏰

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