Ein letztes Mal sah ich mich in dem leeren Zimmer um.
Die kahle weiße Wand, die einst mit einem liebevoll bestückten Regal verkleidet war, schien mich zu erschlagen.
Der durchgesessene Ohrensessel der immer daneben gestanden hatte, befand sich schon auf der Müllhalde, genauso wie der Rest der Möbel.
Nur vereinzelte braune Kartons, gefüllt mit vielen unwichtigen Dingen, die doch so viel bedeuteten, standen noch herum.
Die salzigen Tränen, die mit dieser Erinnerung unwiderruflich über meine Wangen rannen, schienen tiefe Furchen in mein Gesicht zu graben.
„Sie kommt nicht wieder.“ Sprach Vater, der nun im Türrahmen stand. Schnell wischte ich die Tränen am roten Pulli meiner Mutter ab der noch immer nach ihrem Lieblingsparfüm roch und drehte mich zu ihm um.
„Müssen wir wirklich weg von hier?“ ließ ich mich mit kratzender Stimme verlauten, kaum hörbar, da ich seit der Beerdigung kaum gesprochen hatte.
„Es ist das Beste für die Familie, wir müssen damit abschließen, es ist das Beste für deinen Bruder, denk an deinen Bruder.“ Sagte er mit ruhiger Stimme, aus der unterschwellig jedoch die Bestimmtheit klar herauszuhören war.
Er sah ausgelaugt aus, so wie er da so stand, verlassen und Traurig. Vereinzelte Strähnen seines grauen Haares hingen ihm wirr in die Stirn, der Bart war seit Tagen nicht rasiert und tief schwarze Augenringe zeichneten sein ausgemergeltes Gesicht.
Ohne ein weiteres Wort nahm er einen Karton
„Denk doch bitte auch einmal an mich“ wimmerte ich leise, doch Vater hatte das Zimmer schon verlassen.
Ich schlurfte zum nächsten Karton und wollte ihn gerade anheben, als ich das Bild sah, das ganz oben lag.
Ich zögerte bevor ich es herausnahm.
Ein schöner Sommertag, Vater, der den kleinen Ben auf dem Arm hielt, daneben Mutter, die schützend die Hand auf meine Schulter legte.
Dieses Bild war schon alt, vor 5 Jahren, vor der Diagnose, wurde es aufgenommen.
Vor der Diagnose war alles besser gewesen.
Die letzten 4 Jahre waren ein Kampf gewesen. Hoffnung fassen, Hoffnung verlieren und wieder von vorn. Bis die Hoffnung eines Tages starb und einfach nicht mehr wiederkam. Bis das Glitzern in den Augen meiner Mutter und meines Vaters verschwand. Bis die Hand von meiner Schulter rutschte und Mutter sie nicht mehr erneut heben konnte.
Bis das große Haus, das einst so schön war nun verlassen, traurig und grau wirkte, als hätte Mutter alles Schöne mitgenommen als sie gegangen war.
Letztendlich nahm ich den Karton und schleppte ihn durch den verwucherten Vorgarten zum Auto.
Zu gern würde ich bleiben, den Glanz zurückbringen, in guter Erinnerung.
Doch das war nicht möglich. Es war nicht das Beste für die Familie.

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Stories.
Teen FictionHier werde ich eine kleine Sammlung von Kurzgeschichten erstellen:) Bitte seid euch im klaren was Kurzgeschichten sind, ich werde keine Fortsetzungen schreiben. Ich finde es toll wenn die einzelnen Geschichten für sich stehen:)