1. Kapitel

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Jedes mal ertönt ein lautes Knarren, wenn die schweren Stiefel auf den Planken des gekenterten Schiffes aufkommen. Wasser tropft von den Stiefeln und vermischt sich mit dem Blut, das einige Lachen auf den Brettern bildet und vermutlich durch die Spalten zwischen den Planken ins untere Deck tropft. Langsam schiebt der Stiefel mit der Schuhspitze einen leblosen Kopf beiseite. Man spürt einen kalten Luftzug, als die Gestalt ihren langen Mantel zurückstreift, der die erbärmliche Öllampe erlöschen lässt. Nun liegt das Wrack im Dunkeln. Einzig etwas entfernt kann man ein kleines Leuchten erkennen. Der Regen peitscht weiter über das Deck, als würde er die Planken dafür bezahlen lassen, was die Menschen getan haben, die sich auf ihnen bewegten. Ein leises Wimmern durchbricht, abgesehen vom Regen, die Stille. Auf dem Deck kauern einige Gestalten. Es sind vier Männer. Das Schluchtzen stammt von einem alten Mann, mit grauen, fast weißen Haaren. Eine große Schnittwunde verläuft quer über sein Gesicht und er wimmert ununterbrochen. Neben ihm schickt ein schlaksiger Mann mittleren Alters Stoßgebete gehn Himmel. Seine blutigen Hände umklammern eine Holzperlenkette, an der ein Kreuz mit einem kleinen Jesus hängt. Das Wasser läuft ihm übers Gesicht, ebenso wie dem Mann neben ihm. Als Mann kann er jedoch kaum bezeichnet werden, da er höchstens 13 Jahre alt sein kann. Im Gegensatz zu seinen Leidensgenossen jammert und fleht er nicht. Er sitzt nur still da, wischt sich hin und wieder den Regen aus dem runden Gesicht und blickt abwartend zu der schwarzen Gestalt hinauf. Der Letzte im Bunde ist praktisch kein Überlebender mehr. Er liegt röchelnd auf den kalten Planken und sein Bauch ist von einem Holzstück, der Größe eines Ruders durchbohrt. Langsam macht die Gestalt einen letzten Schritt auf die kleine Gruppe zu, welche links und rechts von zwei finsterdreinblickenden, von oben bis unten tätowieren Männern flankiert wird. Die Gestalt zieht ihren Säbel aus der Seite und setzt ihn dem Halbtoten an die Kehle. Die Klinge ist pechschwarz und im gleichen Augenblick schon nass. Alle starren entsetzt auf den am Boden liegenden Mann. Die Gestalt bewegt kurz die behandschuhte Hand und sofort tritt eine der Wachen hinter den jungen Burschen und legt ihm die Hände auf die Augen, dann, in Sekundenschnelle schneidet die Gestalt der armen Seele die Kehle durch und erlöst ihn so von seinen Schmerzen. Augenblicklich löst der Wächter seine Hände von den Augen des Jungen, der erschrocken umherblickt. Die Gestalt bewegt sich nun auf den Greis zu, der während seinem Gejammer immer wieder von starken Hustenanfällen geschüttelt wird. Die Gestalt kniet sich genau vor ihn. Der schwarze Hut, mit allerlei Metallstücken, Federn und Knochen daran, verdeckt ihr Gesicht vollkommen. Doch nun schiebt sie den Hut zurück und spricht mit einer rauchigen, allerdings überaus weiblichen Stimme: "Sagt mir Meister: fürchtet ihr den Tod?"
Die Gebete an unseren lieben Vater verstummen und der Mann reißt seinen Kopf herum: "Eine Frau?!" Die junge Frau mit den rabenschwarzen Haaren beachtet seinen Einwand nicht und fragt noch einmal: "Sagt mir Meister: fürchtet ihr den Tod?"
Dieser zittert zwar, war aber Jahrzehnte lang zur See gefahren, hatte Gefahren getrotzt und war nun alt und krank. Also schüttelt er, gegen jede Erwartung seinen Kopf. "Meister?" Die Stimme der jungen Frau bebt: "Ihr fürchtet nicht den Tod? So sagt mir: was fürchtet ihr denn?" Mit einem Ruck schneidet sie ihm die Kehle durch und widmet sich nun dem dritten Mann. "Sagt mir Pater: fürchtet ihr den Tod?" Ihre Stimme wird von den Überresten der einst so stolzen Galeone aufgenommen und hallt sachte wieder. Der Regen prasselt immernoch auf sie herab und tropft von der Krempe ihres Hutes. "Nun Pater. Ich frage euch noch einmal: fürchtet ihr... den Tod?" "Meine Tochter..." Noch bevor er den Satz zu Ende sprechen kann, war seine Kehle schon durchtrennt. "Glaube... was für eine lächerliche Illusion!", zischt sie und steht auf. Nun kauert nur noch der Bursche vor ihr. Sie streckt ihm ihre Hand entgegen. "Komm mit mir. Bei mir bist du sicher." Zögernd blickt er sich um. Sein Blick schweift über die Leichen der Männer, mit denen er vor einigen Stunden noch gemeinsam gesegelt war. Doch er weiß, dass er nicht hier bleiben kann. Also versucht er sich zu erheben, dies gelingt ihm jedoch nicht und er lässt einen Schmerzensschrei hören. Sein Bein ist seltsam verdreht, vermutlich gebrochen. Die junge Frau bedeutet ihren beiden Begleitern, dass diese das Boot zum Ablegen bereitmachen sollen. Währenddessen zieht sie ihren schweren schwarzen Mantel aus und wickelt den Jungen behutsam darin ein. Vorsichtig hebt sie seinen schwachen Körper hoch und bringt ihn zum Beiboot, dass am Wrack der Galeone vertäut im Wasser tanzt und in dem bereits die beiden Männer sitzen. Sie reicht einem der beiden den Knaben und steigt dann selbst ins Boot. Kaum hat ihr Fuß die Planken verlassen, kracht und knirscht das Schiff und versinkt nach einem letzen Aufheulen in der tiefschwarzen See. Die junge Frau setzt sich auf eine Bank des Bootes und nimmt das Kind von dem Mann entgegen. Sie wärmt ihn und schützt ihn vor dem peitschenden Regen so gut sie kann, während die beiden Männer sich in die Riemen legen und das kleine Boot scheinbar ins Nichts hineinsteuern. Doch dort, nicht weit entfernt ist wieder dieses kleine Licht zu sehen. Ob es ein Irrlicht oder möglicherweise etwas ähnlich gefährliches ist? Man erzählt von weißen Frauen, die mit Laternen in den Händen übers Wasser tanzen und so manchen Seemann anlocken, doch kommt man ihnen zu nah, ist man des Todes und sie ziehen auch den Stärksten mit hinab in die Tiefe. Schon manchen Händlern, Adligen und auch erfahrenen Piraten und Seeleuten haben sie den Tod gebracht.
Doch das Licht ist keinesfalls eine dieser mystischen Begebenheiten. Nein, dieses Licht ist die Signallaterne eines Schiffes. Eines pechschwarzen Rahseglers mit blutroten Segeln. Der Name am Bug verkündet, dass die Bloody Mary hier im Wasser liegt. Gut 40 Meter lang und 18 Meter breit. Mit drei Masten und 5 Decks. Schnell bewegt sich das Beiboot auf die Mary zu und wird, als es sie erreicht, gleich an starken Tauen von 5 Armen nach oben gezogen. Als die vier Insassen austeigen können, eilt die junge Frau sogleich mit schweren Schritten nach Achtern, die Treppe zur Kapitains-Kajüte hinauf und verschwindet hinter der schweren Eichenholztür. Der erste Offizier, der Geschützoffizier, Quatiermeister, die das Boot nach oben gezogen haben, blicken die beiden Rudergänger fragend an. Der eine eilt schnell der Frau nach, um ihr mit dem Burschen zu helfen, der andere verdreht nur das Auge, welches ihm geblieben ist und antwortet genervt: "Wieder einer von den Streunern."

(1086 Wörter)

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 26, 2021 ⏰

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The Captain with red eyes - Die See vergisst nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt