Alenas Iced Caramel Flavoured Mocha Latte Macchiato Frappe

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"Und Leute? Wo seid ihr jetzt?" Bereits das fünfte Mal hatte Jeanne versucht, ein Gespräch in der WhatsApp-Gruppe zu starten. Bereits das fünfte Mal war sie grandios gescheitert. 'Jajaja, vermutlich alle unterwegs und beschäftigt', dachte sie frustriert und starrte dabei die schlafende Vivien neben sich an. Es gibt Menschen, die automatisch müde werden, wenn sie eine Bahn auch nur ansehen. Dabei waren sie doch extra zusammen gefahren, damit sie ein wenig Gesellschaft hatten. Und außerdem hatte sich das zufällig ergeben. 'Aber egal', dachte sie sich. Auch ein Blick nach draußen lohnte sich nicht: Bäume, Büsche, Wiesen... 'Deutschland, du Kaff', seufzte Jeanne innerlich. 'Da doch lieber beschränkten Bauern beim ersten Paarungsversuch nach der Jahrtausendwende zusehen, schön unterlegt mit kitschiger Musik und liebevoll unterstrichen durch die Verwendung alberner Alliterationen in der Anmoderation!'

Aus dem  Augenwinkel nahm sie wahr, dass Vivien sich langsam rührte. Doch bevor überhaupt irgendeine Art von Hoffnung entstehen konnte, musste sie feststellen, dass ihre Mitreisende wohl nur im Schlaf eine bequemere Position gesucht hatte.

Niici hatte sich erbarmt, Julias Koffer zu übernehmen und war nun dabei, diesen in einer bereits überfüllten S-Bahn zu verstauen. Mehrmals war sie gezwungen, sich bei anderen Fahrgästen zu entschuldigen, die auf unangenehme Art und Weise Bekanntschaft mit dem Gepäckstück machen mussten. "Wat soll'n ditte jetz' ?", wurden sie von einem Herren angeschnauzt, der wohl das Wort 'Spießer' höchstpersönlich erfunden hatte. "Äh 'tschuldigung!", erwiederte Niici schrill, während sie gerade noch einem geschockten Kind den Tod ersparte. Schließlich ist 'von Koffer in siffiger Berliner S-Bahn erschlagen' keine besonders erstrebenswerte Todesursache. Zumindest für sie nicht. Beide empfanden pure Erleichterung, als sie die Bahn endlich wieder verlassen durften. Und vermutlich waren sie da nicht die einzigen. "Was ist eigentlich der aktuelle Stand der Dinge? Also; wer ist jetzt alles schon hier? Ich hatte so viel Stress, ich hab echt nichts mitbekommen die letzten Tage", fragte Julia, während sie die letzten Meter zu ihrem 'Hotel' zu Fuß gingen.

"Ähm...", nach kurzem überlegen antwortete Niici ihr: "Ja, Alena, Natalie, du, ich... Die holen jetzt noch Jeanne und Vivien ab, die kommen beide mit dem Zug... Darleen kommt morgen mit irgendeinem Fernbus und Nora kann irgendwie gar nicht!" Julia war verwirrt: "Häh? Wieso kann die plötzlich nicht mehr?" "Das kann ich dir echt nicht sagen, 'aus Gründen', oder so", antwortete sie. Doch im nächsten Moment war das beiden egal, als sie ihr sogenanntes 'Hotel' erblickten.

Natalie war das Stadtleben nicht unbekannt, ihre heimliche zweite Heimat war die Reeperbahn und auch sonst konnte man in Hamburg ganz gut rumkommen. Das einzige ansatzweise spektakuläre, was Alena dagegen vorzuweisen hatte, war ein schwuler Bauer-sucht-Frau-Star aus ihrem Nachbardorf. So zogen beide durch die Berliner Straßen, um schon mal potentielle Orte auszukundschaften, an denen sie die nächsten Abende verbringen konnten. Nicht umsonst hatten sie - schlau wie sie waren - ein bisschen bei ihrem Hotel gespart, da schlafen sie ja eh nur, also kann man das ja mal machen. Dachten sie. "Ey, das sieht doch nett da aus!", sagte Alena und zeigte auf ein Restaurant auf der anderen Straßenseite. Natalie sah es sich einen Moment an, überlegte kurz und sagte dann: "Ne, das sieht total schnarchig aus. Und wenn wir da dann zu sechst oder so ankommen... groß ist das nicht!"

Alena war davon reichlich wenig beeindruckt und setzte das Restaurant trotzdem auf ihre Liste. Man könnte ja immernoch darauf zurückkommen, wenn es sein musste, kann doch sein! Nach einigen Metern erblickten beide eines der unzähligen Berliner Starbucks'. In stiller Übereinkunft war das nächste Ziel festgelegt. Der innere Hipster nahm doch von Zeit zu Zeit überhand. So war das mit dem Hipstertum, kaum betritt man eine Starbucksfiliale, werden alle anderen Kunden belächelt, dieser elende Gruppenzwang immer. Wie jeder Kaffee, Frappuccino, Donut und Muffin gleich mit facebook auf instagram getwittert wird. Wie jeder Bagel, Iced Latte und Tea nur danach ausgesucht wird, was wohl zum Outfit passt, denn das gibt natürlich die meisten likes, klar. Kaum hat man sich einen Iced Chai Tea Latte bestellt (bei dessen Name sämtliche Pakistanis, Inder etc. wahlweise in Ohnmacht fallen oder Amok laufen), fängt man an, sich vor sich selbst zu rechtfertigen: 'ICH kauf das ja, weil ich das voll lecker find, ok, nicht wie die anderen!' Auch Alena und Natalie versuchten, jede dieser indirekten Starbucks-Regeln zu erfüllen. "Guck mal, dieser pseudo-individuelle Hipster-Character mit seinem iPad!", während Alena mit ihrem iPhone ein Foto für die Snapchat-story knipste und sich überlegte, für welches Iced Caramel Flavoured Mocha Latte Macchiato Frappe sie sich entscheiden sollte.

Jeanne war noch immer gelangweilter, als bei einem besonders spannenden Artikel über Hämorrhoiden in der Apothekenumschau. Tatsächlich würde sie dies als nette Abwechslung empfinden. Internetempfang gab es in diesem Zug allein aus Prinzip nicht, und wenn, dann benötigte eine Nachricht fünf Minuten um versendet zu werden. In der Zeit hätte sie eine ganze Familie Brieftauben in Viviens Haaren züchten können. Neben ihr gab es auch noch andere, die diese Zugfahrt dezent langweilig fanden. Eine Familie mit zwei Kindern saß einige Reihen vor ihr. Beziehungsweise, die Eltern saßen. Die zwei Jungs rannten den Gang auf und ab, hüpften auf ihren Sitzen und fragten alle zwei Minuten, wann sie denn endlich da wären. Dass ihnen dieses Verhalten durchgehend böse Blicke und stille Morddrohungen einbrachte, schien sie nicht zu stören. Ebenso wenig ließen sie sich von den zunehmend aggressiver werdenden Maßregelungen ihrer Eltern beeindrucken. 'Immerhin erschlagen die nicht ihren Sitznachbar mit einer Wochenzeitung', dachte Jeanne, während sie einen weiteren Fahrgast im Blick hatte, der nicht vor den anderen Mitfahrenden verbergen wollte, wie gebildet und interessiert er doch war, schließlich las er die "ZEIT"! 'Bestimmt Philosophie-Student...', fügte sie noch gedanklich hinzu. Erleichtert konnte sie schließlich feststellen, dass sie Berlin in einer Viertelstunde erreichen würden. Ja, wenn das kein Grund wäre um Vivien zu wecken? Sie stuppste die Schlafende leicht an, was glücklicherweise reichte, um sie aus den sonderbaren Welten ihrer Träume zu reißen. Vivien blinzelte, versuchte sich zu orientieren und fragte dann verwirrt: "Michbeck?" "Nee, Jeanne!"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 03, 2014 ⏰

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