Regenschauer

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Die Nacht war schwarz, schwarz und dunkel wie ein Keller ohne Beleuchtung in einer Neumondnacht. Der Regen fiel wie der Vorhang nach einer Theateraufführung und das Aufklatschen der Tropfen bildete den Applaus. Sie stand da, die Arme ausgebreitet als würde sie jeden Moment abheben und drehte sich im Kreis. Der Regen fiel ihr ins Gesicht und rollte wie Tränen über ihre Wangen bis in ihre Mundwinkel, die zu einem Lächeln nach oben gebogen waren. Sie liebte Regen. Ihre dunklen Haare waren schwarz vor Nässe, ihre Jeans und ihr dunkles T-shirt klebten an ihr, doch es war ihr egal. Sie war glücklich, so wie sie jetzt war sollte die Welt für immer bleiben. Der Regen klang wie Musik in ihren Ohren, die verschwommene Welt um sie herum war ein impressionistisches Gemälde. Sie tanzte durch den Regen, einfach nur weil sie es konnte und wollte. Ihr Glück entlud sich in einem fröhlichen Lachen. Sie drehte sich, bis sie kaum noch stehen konnte und taumelnd auf den Boden fiel. Immer noch lachend sah sie in den regenverschwommenen Himmel hinauf und ließ den vergangenen Tag, der wohl der schönste ihres bisherigen Lebens gewesen war, Revue passieren. Er hatte begonnen wie jeder andere auch, seit sie vor knapp vier Jahren aus der großen Stadt in das vergleichsweise kleine Dorf mit nur 200 Einwohnern gezogen war, wo jeder jeden kannte und es keine Geheimnisse gab. Der Neustart dort war für sie nicht leicht gewesen. Die Leute in der Schule kannten sich alle schon seit der Kita und hatten ihre Freunde und Cliquen. Kaum jemand hatte von sich aus versucht auf sie zuzugehenoder sich gar die Mühe gemacht sie aufzunehmen. Da sie von Natur aus eher schüchtern und zurückhaltend war und weder die Gabe auf Menschen zuzugehen noch besonders viel Offenheit sie kennzeichneten, war sie schon bald im allgemeinen Getümmel verloren gegangen. Sie hatte ihr altes Leben und ihre Freunde sehr vermisst, vor allem die Gespräche, da sie nun niemanden in der Nähe hatte mit dem sie hätte reden  können. Aus diesem Grund auch hatte sie sich immer tiefer in sich selbst zurück gezogen und versucht möglichst wenig aufzufallen. Sie hatte viel Zeit in der Schulbibliothek verbracht, wo sie inzwischen so gut wie jedes Buch in und auswendig kannte. Dies war ihr Leben gewesen, mit Büchern als einzigen Freunden und mit viel Stille, bis zu dem heutigen Tag, der so vieles ändern würde. In der großen Pause hatte sie mal wieder in der Bibliothek gesessen und aus dem Fenster gesehen, als sie plötzlich jemand angetippt hatte. Vor ihr hatte ein großes rothaariges Mädchen gestanden. Es hatte so viele Sommersprossen auf der kleinen, spitzen Nase gehabt, dass sein Gesicht gebräunt schien, obwohl die Haut darunter sehr blass war. Das Mädchen war neu an der Schule, heute erst war sie in ihre Klasse gekommen. Sie hatte die vor ihr Stehende fragend angesehen. „Entschuldigung, wenn ich störe", hatte das Mädchen leise begonnen, „Aber du siehst genauso alleine aus wie ich mich fühle und ich weiß nicht wen ich sonst fragen soll, die anderen sind alle schon woanders. Würdest du mit mir Essen gehen? Ich weiß den Weg zur Mensa noch nicht." Überrascht hatte sie zugestimmt und das Mädchen in die laute, überfüllte Mensa, ein Ort den sie normalerweise mied, auch wenn das Essen nicht schlecht war, geführt. Die beiden Mädchen hatten sich gemeinsam Essen geholt und dieses verspeist. An diesem Tag hatte es Kartoffeln mit Quark gegeben. Beim Essen hatte sich heraus gestellt, dass sich die beiden stark ähnelten. Sie hatten ähnliche Vorlieben und lachten über die gleichen Dinge. Beide liebten sie die Literatur und zeichneten gerne. Das Mädchen war ihr sehr sympathisch gewesen und als es vorgeschlagen hatte, sich am Nachmittag mit ihr, zu Zweit, zu treffen hatte sie gerne zugesagt. Die Beiden hatten einen wunderbaren Tag gemeinsam im Park verbracht und sie hatte es genossen mit jemandem reden zu können, der genauso alt war wie sie. Das Mädchen war scheinbar sehr offen, was es leicht gemacht hatte mit ihm zu reden. Irgendwann hatte es nach Hause gemusst und sie hatten sich bis zum nächsten Tag verabschiedet. Sie war noch etwas im Park geblieben, denn zu Hause gab es selten etwas anderes als leere Räume, da ihre Eltern beide vollzeit und somt meistens lange arbeiten mussten. Gegen Abend waren dunkle, schwere Wolken aufgezogen und es hatte zu regnen begonnen. Immer noch von Glück über den schönen Nachmittag erfüllt hatte sie sich auf den Heimweg gemacht. Zum ersten Mal seit langem hatte sie sich richtig frei und leicht gefühlt, so leicht, dass sie hätte fliegen können, wenn sie gewollt und Flügel besessen hätte. Sie war singend durch die Straßen getanzt, hatte sich gedreht, und dabei vor Freude gelacht. Mittlerweile war es Dunkel geworden. Der  Regen hatte die Musik zu ihrem Tanz gespielt, ihrem Freudentanz ohne Regeln und Gesetze. Und jetzt lag sie hier im nassen Gras, im strömenden Regen und war glücklich. Vielleicht würden sie und das Mädchen keine Freunde werden oder sie würde zu den "Coolen" , den Beliebten und Schönen, wechseln. Doch derartige dunkle Zukunftsvisionen schien weit weg in ferner, unwahrscheinlicher Zukunft zu liegen, ja fast unmöglich zu seien. Denn jetzt war sie glücklich, lag hier im Regen und war glücklich und so sollte es bleiben. Der Regen fiel und sie lächelte den dunklen Himmel an, der ihr vorkam als wäre er von tausenden und abertausenden Sternen erleuchtet, glitzernden, wie Sternschnuppen fallenden Sternen.  So lag sie da im Sternschnuppenregen und war glücklich, so unfassbar glücklich, als wäre sie grade erst geboren worden und hätte noch keine Idee von den dunklen Seiten der Welt. Das Leben konnte kommen, sie würde glücklich sein, egal was passierte, denn diesen Tag konnte ihr keiner mehr wegnehmen. Er war ihre kostbarste Erinnerung, die sie hüten würde wie ein Pirat seinen Schatz und bewachen wie ein Wächter das Tor zu einem Palazzo der Königin. Sie lächelte erneut in den Himmel hinauf, erfüllt vom Hochgefühl des Glückes. Dann stand sie auf und verschwand in der Nacht, mit einem fröhlichen, ausgelassenen Herzen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Und das Glück hielt für sie an.

Danke an alle, die sich diese Geschichte durchgelesen haben, ich freue mich jedesmal über jeden einzelnen Read / Kommentar / Vote. Ich hoffe es hat euch wenigstens ein bisschen gefallen. Danke auch an alle, die mir beim Entwickeln der Geschichte helfen und mir Feedback geben, sie wissen wer sie sind. Ich würde mich sehr über Feedback / Meinungen freuen! Man liest sich vielleicht Mal irgendwo noch einmal!

Eure LillyBarry

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