2. "Mel! Aaaaaah! Das kannst du doch nicht Machen! Ohgott, ist das kalt! Warte nur, ich krieg dich!" Unter lautem Gelächter der anderen Jungs sprang ich raus aus dem Bus, der klitschnasse Danny hinterher. Konrad hatte es anscheinend nicht so schlimm erwischt. "Wenn ich dich in die Finger bekomm!", schrie Danny, während wir über den kleinen Platz vor dem Bus sprinteten. Schließlich kam ich total außer Atem an einem Absperrgitter an. Ich rüttelte daran so fest ich nur konnte aber es ging nicht auf. Ich fing an, daran hochzuklettern, doch ich war zu langsam. Danny holte mich ein und zog mich an den Hüften runter. Ich schrie laut los, lachte aber gleichzeitig. Er fing an, mich fest zu umarmen, sodass ich kurze Zeit später selbst klitschnass war. Ich stieß ihn von mir weg. Immernoch völlig außer Atem lachte ich ihn an. "Quitt?", fragte ich. "Na gut", antwortete er, dann liefen wir langsam zum Bus zurück, um uns umzuziehen. Am Bus erwarteten uns Michbeck und Timur. Sie lachten, als sie uns sahen. Wir mussten wohl ziemlich armselig ausgesehen haben, denn Michbeck hüpfte in den Bus und kam mit zwei Handtüchern wieder zurück. "Schnell rein ins Trockene mit den Schäfchen. Sonst erkältet ihr euch noch!", witzelte Timur. Ich sah ihn so böse an, wie es nur ging, doch er lachte nur noch mehr. Ich tat als wäre ich beleidigt und stieg mit festen Schritten in den Bus ein, nachdem ich dem kichernden Michbeck ein Handtuch aus der Hand gerissen hatte.
3. Später, nachdem ich mich umgezogen und getrocknet hatte, ging ich durch den inzwischen fahrenden Bus zurück zu den Jungs. Sie saßen alle zusammen in dem Raum, den wir "Sofaraum" nannten und sahen sich Videos von der Tour an. "Ah, der Wecker ist wieder da. Und sogar komplett trocken", witzelte Ben. Ich schmiss mich auf eins der Sofas und warf ein Kissen nach ihm, welches er gekonnt mit dem Arm abwehrte. "Irgendjemand muss euch ja mal aus den Federn kriegen, sonst läuft hier ja gar nichts mehr!", sagte ich trotzig. Ich war auf dieser Tour sozusagen das Mädchen für alles. Eigentlich hatte ich einen Bachelor in Eventmanagement gemacht, doch als langjährige Freundin von der Band hatten sie mich gefragt, ob ich ihnen etwas unter die Arme greifen könnte. Ich war praktisch eine Unterstützung für Nino. Sie hatten aber nicht gesagt, dass meine Arbeit daraus bestehen würde, ihnen den lieben langen Tag hinterher zu räumen. Ich war sowohl für das Wohl der Band als auch für das Innenleben des Tourbusses und einen Teil der Terminplanung zuständig. Das hieß, ich räumte die meiste Zeit auf oder kochte. Doch ich hatte Spaß dabei. Die jungs waren für mich wie eine Familie geworden und ich genoss es, rund um die Uhr bei ihnen zu sein. Auch wenn das hieß, dass ich für lange Zeit von meinem Freund Tim getrennt war.
4. "So Jungs, wir haben so einiges vor. Tourabschluss. Riesige Show. Berlin." Ich ließ mir die Worte auf der Zunge zergehen. "Wir fahren heute den Tag durch. Dann sind wir heute Abend in Berlin. Es wird wahrscheinlich spät werden. Ich will, dass ihr dann schlafen geht." ("Ja, Mama", nuschelte es von Timur) "Denn morgen früh will ich euch um neun auf der Bühne zum Proben haben. Wie schon gesagt, es wird ein riesen Spektakel und deshalb will ich, dass alles tiptop funktioniert. Dann gibts Interviews und ne Autogrammstunde. Anschließend ein bisschen Zeit zum Ausruhen und dann geht um acht die Show los. Habt ihr das alle verstanden?" Ich blickte fragend in die Runde. Zustimmendes Gemurmel. "Echt Leute, das ist wichtig. Wenn nicht alles nach Plan funktioniert, dann..." Ben unterbrach mich. "Melli, komm runter. Das wird schon. Wir werden alle pünktlich da sein. Außer Michbeck vielleicht aber der ist nie pünktlich." Erneut flog ein Kissen in Richtung Ben. "Hör auf, dir Sorgen zu machen. Genieß es ein bisschen. Bald bist du uns los!" Er lächelte. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus. "Ja, du hast Recht. Entschuldigt, Leute. Ich bin nur so aufgeregt." Danny reichte mir eine Cola. "Komm, setz dich dazu. Wir sehen uns Tourvideos an. Es ist echt witzig!", sagte Timur. Ich rutschte auf dem Sofa weiter und setzte mich neben Ben. Während ich meine Cola trank, schaute ich mir mit den Jungs die Videos an, so lange, bis wir an einer Raststätte Pause machten, um etwas zu essen.
5. Es regnete gerade nicht, deshalb setzten wir uns draußen an einen Plastiktisch. Es waren noch vier Stunden fahrt. Ben, Timur und Konrad waren am Handy. Michbeck war im Bus geblieben, um nochmal etwas zu schlafen, deshalb unterhielt ich mich mit Danny. "Tz tz tz. Die Jugend von heute", sagte er mit einem Seitenblick auf die anderen. "Sitzen die ganze Zeit nur an ihren Kästchen. Nie genießen sie mal wie wunderschöne Natur." Er deutete mit einer Armbewegung auf unsere Umgebung: einen dreckigen Rastplatz am Rande einer großen Autobahn. Ich kicherte. "Ja, also zu meiner Zeit hätte es so etwas nicht gegeben!" Er lachte, dann stießen wir mit unseren halb leeren Kaffeebechern an. "Na, Mel, wie geht's dir so?", fragte er. Er war der einzige, der mich Mel nannte. Alle anderen sagten Melli, Melle oder Melanie zu mir. "Ach du, das Übliche. Ich fahr mit euch durch die Gegend. Mein Freund mag das nicht. Ich bin zwiegespalten. So wie immer eben." "Ärger im Paradies?", fragte Danny mit hochgezogener Augenbraue. "Im Moment geht's. Ich bin heute Abend daheim. Das macht's besser." Danny nickte abwesend.
6. "Wie läuft's mit Nina?", fragte ich. Nina war seine aktuelle Freundin. "Super. Sie ist klasse. Ich freu mich unfassbar drauf, sie heute wieder zu sehen." Ich hatte Nina noch nicht so oft gesehen. Sie hielt sich eher zurück, wenn es um die Band ging, mied den Trubel rund um die Jungs. "Freut mich", sagte ich lächelnd. "Lasst uns weiter fahren", schlug Ben vor, "sonst kommen wir ja nie an." Nacheinander stiegen wir in den Bus ein und fuhren schließlich los. Ich spielte eine Runde Mau Mau mit Timur, Michbeck und Konrad. Ich war grottenschlecht. Nach der -gefühlt- hunderdsten Niederlage gab ich auf und legte mich im Sofaraum auf eins der Sofas, um noch ein bisschen zu schlafen. Während ich einschlief, dachte ich über die letzten Tage und Wochen nach. Ein Konzert nach dem anderen, das bedeutete Stress ohne Ende. Doch betrachtete das Ende der Tour auch mit einem traurigen Auge. Die Zeiten, in denen wir unterwegs waren, waren immer etwas besonderes. Aus dem "Wohnraum" hörte man lautes Gelächter. Ich würde meine kleine Rasselbande schrecklich vermissen.