Schlaflos

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POV: Eliza

Ich schloß die Tür hinter mir. Ich war wieder zuhause. An dem Ort, den ich eigentlich nie wieder betreten wollte. Der Ort, an dem ich so viel Schmerz und Leid erfahren musste. Ein Ort den ich eigentlich nicht Zuhause nennen sollte.
Ohne auch nur ein Wort zu sagen, ging ich die alte Treppe nach oben.
Ich schloß mich in meinem Zimmer ein und zog hastig meine Jacke aus. Ich warf sie auf den Boden, vor dem Bücherregal. Dann durchsuchte ich die Schubladen meines Schreibtisches.
Sie waren nicht mehr da. Wo sind meine Tabletten?

Wütend stürmte ich die Treppe wieder hinunter und platzte ins Wohnzimmer um meine Eltern zur Rede zu stellen.

"Wo zum Teufel sind meine Tabletten!?"

Meine Mutter stand regungslos am Bügeleisen und mein Vater saß mit einer Bierflasche am Tisch und sah mich genervt an.

"Äh, hallo!? Eine Antwort??"

Ich hatte mich in meinen Eltern wohl doch getäuscht. Sie hatten sich kein bisschen verändert.
Nachdem ich keine Antwort bekam, drehte ich mich um und ging stumm und immer noch wutentbrannt zurück in mein Zimmer.

"Die haben wir entsorgt, damit du nicht wieder auf dumme Gedanken kommst!"

hörte ich meinen Vater agressiv die Treppe herauf rufen.

In Panik mit Tränen in den Augen knallte ich die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss um.
Was sollte ich jetzt tun?! Ich bin verzweifelt und laufe in meinem Zimmer auf und ab bis ich mich schließlich neben meinem Bett zu Boden sinken ließ.

Ich schrie innerlich, war aber von außen völlig stumm. Meine Augen brannten von dem vielen Salzwasser. Würde ich Make Up tragen, wäre es jetzt über mein ganzes Gesicht verschmiert. Mein Kopf versank langsam in meinem Schoß. Ich bekam Atemnot. Ich hatte wieder dieses ehlendige Gefühl zu ersticken. Einige Minuten verharrte ich in dieser Position. Doch es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit.
Als meine Tränen getrocknet waren und ich meinen Atem wieder halbwegs kontrollieren konnte, hob ich meinen Kopf und sah zum Bücherregal hinüber.
Vielleicht haben meine Eltern das Versteck nicht gefunden.
Schnell stand ich auf und ging zu dem großen Regal.

"Wo ist es?"

murmelte ich, während ich das ehemalige Lieblingsbuch meines Bruders suchte.

"Das ist es ja."

Ich zog es langsam aus dem Regal und öffnete es. Ich blättere erwartungsvoll auf Seite 211.
Erleichtert atmete ich auf. Sie hatten es nicht gefunden. In der Einkerbung, die ich in das Buch schnitt, lagen immer noch eine Hand voll Rassierklingen.

Ich nahm mir eine heraus und verstaute das Buch wieder bei den anderen. Wie in Trance ging ich zu meinem Bett hinüber und setzte mich auf die Bettkante. Ich hielt einen Moment inne und krempelte mir dann meinen Ärmel hoch. Mein Arm war von Narben übersät. Ich fragte mich einen Moment lang, warum ich mir nicht einfach die Pulsader aufschnitt. Doch dann sagte ich mir, dass ich hier keinen zweiten Selbstmordversuch starten würde, da ich beim ersten Mal schon versagt habe. Ich würde es Morgen tun, am besten am Bahnhof oder auf einer hohen Brücke.

Mit Tränen in den Augen atmete ich tief durch und setzte die Klinge an meinem Unterarm an. Langsam zog ich den ersten Schnitt quer über meinen Arm.
Ein ziehende Schmerz kam in mir auf. Doch das war mir egal. Ich begrüßte den Schmerz sogar. Denn er war das einzige, was mich lebendig fühlen ließ.
Ich beobachtete, wie sich der Schnitt rot färbte und Blut über meinen Arm floß.
Ich setzte zum zweiten Schnitt an, dann zum dritten, dann zum vierten.
Immer mehr Blut entwich meinem Körper. Einzelne Tropfen landeten auf meiner Jeans und verfärben sie.

Als meine Tränen getrocknet waren, legte ich die mittlerweile blutverschmierte Rasierklinge neben mir aufs Bett und wischte mir übers Gesicht. Noch immer brannten meine Augen wie Feuer.
Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass sie sich auf Grund der salzigen Tränen rot gefärbt hatten. Das konnte ich sogar aus Entfernung erkennen. Nach einem kurzen Moment stand ich auf und verstaute die Klinge wieder in meinem Versteck. Dann ging ich zum Fenster und zog die Vorhänge zu.
Mein Zimmer war zwar im zweiten Stock, aber dennoch konnten unsere Nachbarn hinein schauen.
Ich zog sie also zu. Sie waren hellgrau und halb transparent. So konnten die Nachbarn mich nicht beobachten und der Halbmond konnte mein Zimmer noch etwas beleuchten.

Ich schaltete das Licht aus, ohne mich daran zu erinnern, es angeschaltet zu haben.
Meine Augen mussten sich ert noch an die Dunkelheit gewöhnen, doch durch das Mondlicht konnte ich die Umrisse meiner Möbel erkennen. Ich zog meine Jeans aus und warf sie neben meiner Jacke auf den Boden. Aus meinem Kleiderschrank kramte ich leise eine gemütliche Hotpants heraus und schlüpfte hinein. Da ich nur einen dünnen Pullover trug und ich zu faul war mich umzuziehen, beschloss ich kurzerhand mit meinem Pulli schlafen zu gehen.
Mir war klar, dass ich jetzt nicht schlafen könnte und ich war auch nicht müde. Aber was sollte ich denn jetzt noch großartiges tun? Also zog ich meine Ärmel wieder herunter. Der Stoff auf meinem Arm verursachte einen brennenden Schmerz, doch diesen ignorierte ich gekonnt und legte mich ins Bett.

Es war still. Ich hörte nur gelegentlich ein Auto vorbeifahren. Wortlos lag ich da und starrte an die Decke. Sie leuchtete blau-gelb, erleuchtet von dem Mond und der Straßenlaternen. Es war ein schwaches Licht. Trotzdem konnte ich mein Zimmer klar erkennen, da sich meine Augen schon an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Für einen Moment schloß ich die Augen und erinnerte mich an letzte Woche. Als ich hier mein Leben beenden wollte. Die Szene spielte sich mehrfach in meinem Kopf ab. Wie ein Film wiederholte sie sich klar vor meinen Augen.
Wie ich panisch im Zimmer auf und ab ging. Mit blutüberströmten Armen. Mit einem verzweifelten Blick. Das Make Up von den vielen Tränen verschmiert. Wie ich nach den Tabletten griff und eine ganze Hand voll mit einem großen Schluck Wasser hinunter würgte. Wie ich langsam ruhiger wurde, meine Hände begannen zu zittern und mir die Wasserflasche aus der Hand viel. Dann raste mein Puls plötzlich und mir fuhr ein Stechen durch den Hinterkopf. Meine Kniee wurden weich und ich sank - nein, viel zu Boden. Meine Augen füllten sich mit Tränen, ich bekam Atemnot.
Ich sah, wie ich panisch nach Luft schnappte. Wie ich versuchte nach Hilfe zu schreihen und es nicht schaffte. Ich weiß noch ganz genau, wie es sich anfühlte, als ich dort allein auf dem kalten Boden lag, wie mein Puls immer weiter in die Höhe schoß, ich atemlos und zitternd da lag und wegen der Tränen meine Sicht verschwamm. Es waren nur ein paar Minuten, doch es fühlte sich an wie Stunden.
Einige Zeit lag ich noch zitternd und voller Panik da, bis schließlich mein Herzschlag aussetzte und mich die Dunkelheit umschloß.

Schnell öffnete ich meine Augen. Das Licht an der Zimmerdecke schien jetzt deutlich heller. Doch es war immer noch totenstill. Ich spürte, dass mein Herz wieder raste. Ich versuchte mich zu beruhigen und drehte mich auf die Seite.
Jetzt war ich mir sicher. Gleich morgen früh würde ich zu der großen Brücke am Fluss fahren und es beenden. Sie war nicht weit vom meinem Haus und hoch genug, dass niemand einen Sprung aus dieser Höhe überleben würde. Sie war ideal.

Together vs. DeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt