Lass uns riden!

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Als sein Bike noch ganz neu war und seine Euphorie am allergrößten, hat er mich auch einmal gefragt, ob ich ihn auf einer Tour begleite. Und so fuhren wir zu zweit eine kleine Runde von vielleicht zwanzig Kilometern. Da ich hinter ihm saß, musste ich meinen Kopf zur Seite drehen, um die Landschaft an mir vorbeiziehen zu sehen. Ich konzentrierte mich auf Objekte, die sich weiter weg befanden, einen Hügel zum Beispiel. Einmal meinte ich sogar, einen ganzen Schwarm Graureiher auf einem Acker rasten zu sehen, doch bevor ich die Vögel näher betrachten konnte, waren wir auch schon an ihnen vorbeigefahren. So richtig glücklich war ich erst, als wir anhielten und ich den Boden unter den Füßen spürte. Natürlich heuchelte ich trotzdem Gefallen an der Sache, ich wusste ja, dass es ihm viel bedeutete. Und er schlug doch tatsächlich vor, mir ein eigenes Motorrad zu kaufen. So wie andere Paare gemeinsam Gesellschaftstänze lernen oder Kochkurse belegen, hatte er sich anscheinend vorgestellt, dass wir ein Motorrad-Pärchen werden würden.
„Wäre doch ganz cool, oder? Du willst doch sowieso andauernd etwas unternehmen. Dann suchst du eben die Routen aus und wir fahren zusammen los. Ich meine, warum nicht?"
„Gott, ich weiß doch gar nicht, wie man so ein Ding fährt!", rief ich etwas zu laut.
„Das lernst du schon. Ich zeig' es dir. Wir machen das gemeinsam."
„Dafür brauche ich doch einen extra Führerschein, oder?"
„Easy. Mit ein paar Übungsstunden ist die Sache gegessen, ehrlich!"
„Und dann kaufe ich mir für ein Heidengeld erst ein Motorrad und dann auch noch das ganze Equipment dazu, ja?"
„Muss ja kein so teures Bike sein wie meins."
Einen Moment lang war ich sprachlos, er meinte das tatsächlich ernst. Und allein dass er an die Umsetzbarkeit dieser skurrilen Idee glaubte, an mich glaubte, machte die Sache für mich irgendwie denkbar. Doch ich konnte nicht anders, als diesen Gedanken sofort ins Lächerliche zu ziehen: Wir beide, wie wir in Lederkluft auf unseren Bikes sitzend von Dorf zu Dorf knatterten, dort übelriechenden Dunst hinterließen, der die Lebenserwartung der armseligen Geschöpfe, deren Schicksal es war, in jenen Siedlungen zu hausen, peu à peu reduzierte, um einen in der Szene bekannten und ausschließlich von echten Rockern besuchten Biergarten anzusteuern, in welchem wir uns niederließen und hungrig ein paar Bratwürste verschlangen.
Kopfschütteln gab ich ihm den Helm zurück. „Da müsste mir echt was fehlen."
Ich meinte es nicht mal böse. Eigentlich wollte ich ihn nur necken. Doch er erwiderte nichts, und ich konnte förmlich hören, wie sich ein Türchen schloss. Jedenfalls fragte er kein zweites Mal, ob ich mit ihm kommen würde . Und ich bat ihn auch nicht darum. Warum auch.

Dafür fragte er immer mal jemand anders, je nachdem, wer gerade zu Besuch war. Einmal sogar seine Mutter, die seine Frage freudig bejahte, was mich angesichts ihres fortgeschrittenen Alters überraschte.
Im Frühsommer lud er seine Eltern zum Grillen ein. Da war das Bike zwar nicht mehr ganz frisch, aber weder Mutter noch Vater hatten es je zu Gesicht bekommen. Schließlich nutzten sie kein Instagram. Das gute Stück stand repräsentativ in unserer Einfahrt herum, damit jeder, der vorbeiging, es auch eingehend betrachten konnte. Seinen Eltern war es daher unmöglich, mit ihrem Auto auf unser Grundstück zu fahren und so parkten sie am Straßenrand. Ich schälte gerade Kartoffeln und empfand es als willkommene Abwechslung, sie dabei durchs Küchenfenster zu beobachten. Zunächst hielten sie einfach nur an, ein paar Minuten später stellten sie den Motor ab. Wieder vergingen fünf Minuten, bis sich die Beifahrer- und die Fahrertür öffneten und dann stiegen die beiden Herrschaften in Zeitlupe aus. Bis sie endlich in voller Größe neben ihrem Auto standen, die Türen waren noch geöffnet, und erwartungsvoll zu unserem Haus herüberspähten, als würde sich die Eingangstür schon deshalb öffnen, weil sie auf der Straße warteten. So schauten sie eine Weile und weil die Tür sich eben doch nicht wie von Wunderhand öffnete, wandten sie sich wieder ihrem Auto zu, aus dessen Kofferraum mein Schwiegervater nun Jacken für sich und seine Frau zauberte. Es glich einer Zeremonie, wie sie sich letztlich in ihre Jacken zwängten und langsamen Schrittes die Einfahrt hochliefen, wo sie das Motorrad von allen Seiten begutachteten und leise Bewunderungslaute von sich gaben.

Fatna.ked.daddyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt