Kriegstage

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Langsam öffnete ich meine Augen und schloss sie sogleich wieder, nachdem mich das helle, grelle Licht erreichte. Dann schoss plötzlich, wie ein Blitz, ein unerträglicher Schmerz durch meinen Kopf. Meine Hand schnellte zur pochenden Stelle und erfühlte, wie etwas stoffiges um meinen Kopf gewickelt war. Vermutlich ein Verband.
Erneut versuchte ich meine Augen zu öffnen, was mir allerdings nur zaghaft und blinzelnd gelang. Es kostete Mühe und Kraft mich an dieses Licht zu gewöhnen. Scheinbar befand ich mich in einem, sogar recht gemütlichen, Bett. Da ich lag, richtete ich mich auf, wobei mir die Decke vom Oberkörper rutschte. Ich war bis auf die Boxershorts entblößt. So sah ich, dass mein Oberkörper einbandagiert war. Aber warum? Warum war ich verletzt?
Krampfhaft versuchte ich mich zu erinnern, was geschah, bevor ich erwachte. Ich trug meine Ausrüstung und meinen Klotzer, eine Waffe der Oktolinge, trug ich auch bei mir. Ich war auf einem Schlachtzug. Wir hatten vorgehabt die letzte Bastion der Inklinge, diesem egoistischen, verräterischen Volk, anzugreifen. Alles lief wie geplant. Wir schlichen uns ran. Die Vorhut zuerst. Doch der Feind war schnell besiegt. Der Sieg schien unser, doch wurden wir in eine Falle gelockt. Wir waren umzingelt. Wir versuchten durch den Gegnerwall zu preschen, doch vergebens. Einer nach dem anderen meiner Kameraden, meiner Freunde, meiner Familie, fielen. Und ich sah machtlos zu. Ich sah ihre schmerzverzerrten Gesichter, ihre Angst in den Augen, das Blut, das zu Boden floss, den Tod. Und dann hatte es mivh erwischt. Ein Schuss durch den Bauch. Der Schmerz war unerträglich. Ich sackte auf die Knie. Sah mein eigenes Blut aus mir heraus quellen. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Alles wurde verschwommener, mein Kopf vernebelter. Ich verlor das Bewusstsein. Und wachte schließlich hier auf. Aber müsste ich nicht tot sein? Warum wachte ich verarztet in einem Bett wieder auf?
Während ich meine rote Oktosträhne richtete, blickte ich mich im Zimmer um. Es war nicht sonderlich groß und eher minimalistisch eingerichtet. Es standen das Bett, ein Nachtschrank, ein Tisch und zwei Stühle in diesem Zimmer. Auf einer dieser Stühle lag meine Uniform, aber von meinem Klotzer fehlte jede Spur. Ansonsten gab es nur eine Türe, welche verschlossen war.
Ich schob die Decke beiseite, drehte meine Beine aus dem Bett und hievte mich vorsichtig von der Matratze. Als ich jedoch stand durchfuhr ein starker Schmerz mein Bauch. Alles verkrampfte sich. Während ich mit der einen Hand meinen Bauch hielt, stützte meine andere meinen Körper am Nachtschrank. Ich sollte alles wohl etwas langsamer angehen lassen, wenn ich mich nicht wieder schlafen legen wollte.
Langsam tapste ich zum Stuhl, auf dem meine Uniform lag. Ich nahm meine schwarze Hose und schlüpfte rein. Dann mein ärmelloses Oberteil mit langem Kragen und der Nummer meiner Oktoeinheit. Das Oberteil anzuziehen war ein langer, schmerzvoller Prozess. Da ich allerdings noch nicht vor hatte zu gehen ließ ich meinen Mantel noch Hängen. Ich betrachtete mein Oberteil. Dort, wo der Einschuss sein sollte, war nur noch eine Naht. Jemand hatte sich die Mühe gemacht mein Oberteil zu flicken. Aber warum sollte sich jemand diese Mühe machen? Vor allem an Tagen, die der Krieg bestimmte. Mein Blick schwiff ab und blieb am Tisch hängen, auf dem ich meine Octobrille liegen sah. Sie war eine Spezialanfertigung und war demnach recht praktisch. Es half dabei weit entfernte Ziele besser erkennen und anvisieren zu können. Ich war nunmal durch und durch Sniper. Auch wenn ich in der letzten Mission die Front mit einer anderen Waffe anführen musste.
Ich erschrak, als sich ganz plötzlich die Tür öffnete und - das hatte mir jetzt wirklich noch gefehlt - ein Inkling herein spazierte.
Mit scharf eingezogener Luft hob ich den Stuhl. Wenn es sein müsste würde ich mich hiermit bis zum Tod verteidigen und kämpfen.
»Wooha! Nimm den Stuhl runter, ich bin nicht hier um zu kämpfen.« Er hob seine Hände vor die Brust und gestikulierte mit ihnen, dass ich mich beruhigen solle. Ich traute ihm nicht. Bestimmt zückte er, sobald ich meine Verteidigung schweifen ließe, ein Messer und und erdolcht mich von hinten. So sind Inklinge nunmal. Gemein und hinterhältig.
»Gut, wenn du mit dem Stuhl unbedingt tanzen willst, dann zu dir keinen Zwang an. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Der Inkling nahm seine Hände runter und steckte diese in die Tasche seines Hoodies. Seine Körperhaltung war lässig. So ging er auch auf den Tisch zu und setzte sich unbekümmert auf den zweiten Stuhl. Entweder war dieser Inkling naiv, oder echt dumm. Oder vielleicht beides. Er kommt rein und fürchtete nicht mal, dass ich ihn umbringen könnte.
Seine Grünen Tentakel waren zu einem Zopf zusammen gesteckt und seine Haut braun gebrannt. Lila Augen starrten mich leblos an und über dem rechten zog sich eine Narbe. Dunkle Augenringe verstärkten diese Leblosigkeit. Und vom rechten, spizlichen Ohr fehlte ein Stück. Wahrscheinlich war dies bei einer der Schlachten geschehen. Er schien generell vom Krieg sehr mitgenommen. Wahrscheinlich war er nicht mal dumm, sondern lebensmüde. Und zwar wortwörtlich: des Lebens müde.
»Hat dir mein Aussehen etwa die Sprache verschlagen, Octa?«
Irritiert ließ ich den Stuhl sinken.
»Woher-«
»Woher ich deinen Namen kenne? Hast du mich etwa vergessen? Die ruhige Zeit vor dem Krieg? Nun gut, ich verübel es dir nicht einmal, solange wie der Krieg herrschte. Ich selbst habe meinen Namen vergessen. Ich wurde von allen nur Agent Thirteen genannt. Falls du dich irgendwann erinnern solltest, bitte nenne mir meinen Namen.«
Ich konnte mich nur wage erinnern. Der Krieg dauerte lange an. Die Koexistenz und Freundschaft zwischen Inkling und Oktoling schien wie ein ferner Traum, doch gab es solche Zeiten einst wirklich.
»Magst du dich nun endlich setzen, Octa?« Der Inkling deutete auf den Stuhl, den ich zuvor hab senken lassen. Er hatte tatsächlich meine Neugier geweckt, was aber nicht hieß, dass ich meine Vorsicht verlor. Ich setzte mich.
»Scheint, als hättest du auch schon einiges durch gemacht. Dein weichlicher Blick und freundliches Gesicht hat sich zu dem eines Killers gewandelt.« Der Inkling lächelte mich an. Ein Hauch von Bedauern schwang in seiner Stimme.
»Das selbe gilt dir. Narben und Trägheit. Wie hast du die am Ohr und Auge bekommen?«
»Herje, auch das hast du vergessen? Octa, wir standen vor zwei Jahre im Schlachtfeld gegenüber. Dein Antlitz war so voller Furcht. Tränen überflutet standest du da und sahst mich bluten. Du wolltest nie jemanden verletzen oder gar töten. Dennoch hattest du geschossen, wenn auch auf Befehl. Nur weiß ich nicht, ob deine Tränen mir oder deinen gefallenen Kameraden galten.«
»Ich erinnere mich nicht. Mein Kopf schmerzt, wenn ich es versuche. Aber sag mir, Agent Thirteen, wieso bin ich hier? Wieso bin ich nicht tot?«
»Ich mag mich zwar nicht mehr an meinen Namen erinnern, aber nenn mich bitte Thirteen.
Warum du hier bist? Nun, das ist leicht zu beantworten. Mitleid und Erinnerungen. Nachdem ihr eingedrungen seid, wurden alle restlos nieder geschossen. Alle, die früh genug erkannt haben, dass das, was ihr tatet, ein Himmelfahrtskommando war, flohen und gaben auf. Kurzum: Wir haben den Krieg gewonnen. Er ist vorbei. Wir brauchen aneinander nicht mehr zu töten.
Als ich dich dann im Matsch, verwundet und dem Tod nahe, vorfand, konnte ich nicht anders als dich mit zu nehmen und ich zu verartzten und Gesund zu pflegen.«
»Wie nobel von dir. Und wie viele meiner Kameraden hast du in Dreck verrotten lassen?!«
»Das gleiche würde auch auf dich zutreffen, findest du nicht?« Thirteen lächelte müde. »Wir haben beide unsere Leichen im Keller. Leb damit. Wichtig ist, wir sind am Leben.«
»Und wie kann ich sicher gehen, dass das auch so bleibt? Du könntest mich einfach rücklings beseitigen.«
»Gar nicht. Ich geh davon aus, dass du hungrig bist. Ich werde bald zurück sein.« Er stand auf und verließ den Raum. Er war wirklich unbefangen.
Unter Pein stand ich ebenfalls auf und zog scharf die Luft ein. Diese Schmerzen hatten es echt in sich. Im langsamen Trott schritt ich zum Bett und ließ mich vorsichtig auf jenes fallen.
So wie es aussah würde ich nicht so schnell von hier verschwinden können. Verletzt und unbewaffnet war ich diesem Inkling ausgeliefert. Wer weiß, was er wirklich mit mir vor hatte.
Ich legte mich zurück und schloss meine Augen. Abrupt schoss mir nach kurzer Zeit des einfachen Daliegens ein Bild in den Kopf. Fliederfarbende, lebensfreudige Augen. Grüne Tentakel zum Bob geschnitten. Thirteen vor dem Krieg, ganz sicher. Ich wühlte weiter in meinem Gedächtnis. Ich kannte ihn wirklich vor der Kriegszeit. Und ich wollte mehr wissen. Mehr über unsere vergangene Freundschaft. Mein Kopf schmerzte stechend. Es war unerträglich, dennoch wollte - nein, konnte nicht aufgeben! Dann schließlich eine kurze Sequenz. Ich erinnerte mich daran, dass verletzt und relativ jung war. Drei Inkling Junge und ein Oktoling Junge schienen ihre Wut an mir ausgelassen zu haben. Wahrscheinlich waren sie Mobber oder sehr beliebte Schüler, die auf cool tun mussten. Und ich erinnerte mich daran, wir Thirteen dazwischen sprang. Dadurch hatte es sich zu einer heftigen Schlägerei entwickelt. Zu Gunsten Thirteens. Er war stark, flink und schnell. Trotzdessen bekam er ein paar schlimme Schläge ab. Dennoch rich er mir die Hand. Sein Lächeln war so unbekümmert, als wäre nie was geschehen, und wohlwollend. Ich griff nach ihr. So hatte unsere Freundschaft scheinbar Fahrt aufgenommen. Dann plötzlich eine andere Sequenz, an die sich nicht nur mein Geist, sondern auch mein Körper zu erinnern vermochte. Ein Gefühl der Begierde und der Lust. Berührungen, die erregend waren. Heiße Küsse. Schweißperlen, die vor Hitze des Gefechts dem Körper herab rinnten. Mein Herz sprang schneller in meiner Brust. Wie konnte ich nur meinen Partner vergessen? Diese Liebe zwischen uns war tief. Doch war auch diese kurze Sequenz schnell beendet und mein Gedächtnis rief die Nächste auf. Ein mit Leid und Schmerz erfülltes Lächeln blickte in meine silbernen Augen. Der letzte Tag.  Und ich erinnerte mich an seine Worte: »Stirb nicht. Sobald der Krieg vorbei ist werde ich dich finden und wir werden auf ewig zusammen bleiben.« Zuletzt drückte er mir einen Kuss auf die Lippen.
Mir schürte es den Hals zu. All diese Erinnerung und viele mehr, an die ich mich noch nicht erinnern konnte, hatte ich vergessen. Wie konnte das nur geschehen?
Dann eine letzte Erinnerung: Ich schoss. Blut spritzte. Thirteens Körper ging zu Boden. Er rührte sich nicht mehr. Ich glaubte ihn getötet zu haben.
Tränen rannen meinem Gesicht entlang. Lag es daran, dass ich ihn unabsichtlich verdrängt hatte? Weil ich glaubte ich hätte ihn ermordet? Weil mein Unterbewusstsein mich beschützen wollte? Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, doch flossen sofort weitere nach. Nicht einmal merkte ich, wie Thirteen das Zimmer betrat, das Essen auf den Tisch abstellte und sich zu mir begab. Er nahm mich in den Arm. Unter Tränen blickte ich ihm in die Augen und fand Verständnis und Liebe wieder.
»Es tut mir so Leid...«, hauchte ich mit gebrochener Stimme. Doch Thirteen lächelte nur.
»Da ist er ja, dein naivlicher Blick. Ich lass dich nie wieder gehen.« Damit legte er erneut seine Lippen auf die meine und küsste mich innig und leidenschaftlich.

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