Nach dem Abend das Licht

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Die Zikaden waren wieder da. Das Summen der so schön klingenden Käfer klang auch abends noch durch die Stadt. Doch das Summen über der Stadt kam eindeutig nicht von Zikaden. Zuerst war es leise, kaum hörbar für ein Kind, der Alte von nebenan nahm es gar nicht war. Auf den Strassen hatten die Kinder Krieg gespielt und so getan als wären sie Soldaten, die die Amerikanischen Teufel niedermetzelten.

Dann war das Summen gekommen und die Kinder hatten ihr Spiel unterbrochen und gen Himmel geschaut. Nichts war zu sehen. Das Summen schwoll zu einem Brausen an und die Kinder rannten nach ihren Eltern rufend zurück in ihre Häuser. Sirenen fingen an zu heulen und kündigten den Stadtbewohnern das Nahen des Bomber an. Eilig verliessen die Menschen ihre Häuser. Einige hatten Beutel mit Reis dabei, den sie für eine schnelle Flucht gepackt hatten. Reis war knapp und teuer geworden und wurde streng rationiert, doch einige Haushalte konnten ihn sich noch immer leisten. Die Bomber kamen näher. Amerikanische B-29, die nun schon den Stadtrand erreicht hatten. Die Menschen eilten in die Bunker, die sich schnell füllten und drängten sich dort aneinander. Verängstigte Frauen, die beteten, Männer, die diese Amerikanischen Teufel verfluchten und Kinder, die weinten. Dann einen Moment der Stille. das Brausen der Flugzeuge war zwar durch die dicken Wände des Bunkers gedämpft, aber dennoch deutlich hörbar. Dann ein Pfeifen und ein Knall, der die Wände zittern liess. Die erste Bombe war detoniert. Was folgte, war ein Hagel aus Bomben, die sich immer auf die gleiche Weise ankündigten. Pfeiff... Knall! Vielleicht war das die Brücke gewesen. Pfeif... Knall! Das könnte die Schule gewesen sein. Die Leute wussten es nicht. Sie konnten lediglich Vermutungen anstellen und hoffen, dass es nicht das eigene Haus war. Die Luft im Bunker wurde langsam stickig und die Raumtemperatur stieg angesichts der vielen aneinandergedrängten Körper an, bis sich der Gestank von Schweiss mit der modrigen Luft des Bunkers vermischte. Wie verängstigtes Vieh standen sie aneinandergedrängt. Nur ein paar schafften es, sich hinzusetzen. Wer höflich war, überliess seinen Sitzplatz den Älteren, die es kaum mehr schafften zu stehen. Die Wände schienen langsam näher zu rücken und die Menschen noch mehr einzuengen. Einige bekamen es langsam mit der Panik zu tun und ihre Atmung ging schneller und flacher, bis sie regelrecht hyperventilierten. Einige schrien voller Angst, andere beteten stumm. Mütter versuchten, ihre Kinder zu beruhigen, während in ihnen selbst langsam die Panik hochkroch und ihnen die Brust zuschnürte. Die Angst war wie ein Dämon der sich in den Köpfen und Herzen der Menschen eingenistet hatte und nun an ihren Kräften und ihrem Verstand zehrte. Die Angst konnte einen schnell und plötzlich überfallen oder aber schleichend durch die Glieder kriechen. So oder so lähmte sie einen und schnitt einem die Atemwege ab, bis das Gesicht zu einer Maske des Grauens und des blanken Horrors verzerrt war und die Augen aus den Höhlen traten. Der Bombenschauer schien nicht enden zu wollen. Immer wieder liessen die Detonationen die Wände erzittern. Aber der Bunker würde standhalten. Hier waren sie sicher. Es würde ihnen nichts passieren. Nach einer Weile, die eine Ewigkeit gedauert zu haben schien, hörte der Bombenhagel auf. Das Brausen wurde zu einem Brummen, dann einem Summen und verebbte schliesslich ganz. Die Amerikaner waren wieder weg. Endlich konnten die Menschen den Pferch, zu dem der Bunker geworden war, verlassen und den Schaden begutachten. Es entstand ein Gedränge, dass man fast von seinem Hintermann zertrampelt wurde und die Leute strömten hinaus ins Freie. Es war noch immer Abend und die Sonne war fast vollständig untergegangen. Die meisten Häuser standen noch, doch es gab einige, die von den Bomben getroffen worden waren. Die gepflasterten Strassen waren zum Teil aufgerissen Trümmerteile säumten die Landschaft und hier und da waren brennende und qualmende Ruinen zu sehen. Die Menschen kehrten zu ihren Häusern zurück. Viele standen noch, andere waren von den Bomben zerstört worden. Wer keine Verluste erlitten hatte, räumte auf. Die Frauen kochten, die Kinder gingen auf die Strassen, um vielleicht ein Stück Pflasterstein oder sogar einen Splitter einer Bombe zu ergattern. und die Männer machten sich ans Aufräumen der Strassen. Die bedrückte Stimmung hob sich nur langsam, als der Abend zur Nacht wurde und die Menschen fingen wieder an, miteinander zu reden. Sie fingen an, die Amerikanischen Teufel zu verfluchen und die Britischen Hunde zu verwünschen und ihren Gott, den Kaiser, zu preisen. Man ass zu Abend, wenn man denn etwas zu Essen hatte und ging zu Bett. So mancher wälzte sich noch auf seinem Futon, das Pfeifen der Bomben noch immer in den Ohren und vielleicht schreckte der Eine oder Andere aus einem Alptraum hoch.

Aus der Nacht wurde wieder Morgen und die Vögel zwitscherten, als wäre nie etwas gewesen. Die Leute kehrten zu ihrem normalen Alltag zurück, soweit man ihn als normal bezeichnen konnte. Nur die Trümmer und Ruinen wiesen auf den Angriff des vergangenen Tages hin. Die Sonne schien an einem wolkenlosen Himmel. Heute würde es sehr warm werden. Die Kinder verabschiedeten sich von ihren Eltern und gingen zur Schule. Die Bauern bestellten ihre Felder und die Handwerker machten sich an die Arbeit. Die Stadt summte wieder vor Leben. Dann kam ein Summen. Erschrockene und verängstigte Blicke richteten sich gen Himmel. Doch die Sirenen blieben aus. Erleichterung machte sich breit, denn die Leute dachten, es wäre bloss ein ganz gewöhnliches Flugzeug, das über den Fluss, der die Stadt teilte, flog. Diejenigen, die etwas länger in den Himmel blickten konnten sehen, dass das Flugzeug etwas fallen liess und weiter in Richtung Pazifik flog. Ein Pfeifen war zu hören, dann explodierte die Welt in einem gleissenden Licht...

Am 6. August 1945 um 08:16 Uhr blieb in Hiroshima die Zeit stehen.

Nach dem Abend das LichtWhere stories live. Discover now