Zweiter Teil vom Ende

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Ich schlug die Augen auf. Langsam spürte ich die Zellen in meinem Körper aufwachen. Ich stöhnte und rollte mich auf die andere Seite. Nun hatte direkten Blick auf die Wand an meinem Bett. Seufzend drückte ich meine Nase an die kalte Tapete.

Luis.

Eine Art Stromschlag durchzuckte meinen Körper. Und alles war wieder da. Die Bilder. Die Gedanken. Der Schmerz. Instinktiv presste ich die Augen zusammen und versuchte, wieder einzuschlafen. Schlafen ist schön. Man ist für eine Weile woanders und vergisst alles andere. Aber ich konnte nicht mehr einschlafen. Ich lag also einfach da und starrte die Wand an. Starke, kalte Wand. Ich strich mit der Hand über die das blendende Weiß, das mein ganzes Zimmer zum Strahlen brachte. Widerwillig warf ich einen Blick auf die Uhr.
09:21 Uhr.
Vor 40 Stunden und 11 Minuten war mein bester Freund gestorben. Er hatte sogar einen Abschiedsbrief geschrieben. Aber nicht für mich. Er hatte allen etwas zurückgelassen. Nur mir nicht. Er war gegangen, für immer. Für immer. Für immer. Für immer. Es hallte in meinem Kopf wieder. Man weiß oft nicht, was "für immer" bedeutet, bis man es nicht am eigenen Leib erlebt. Es klopfte an meine Tür. Jemand drückte die Klinke herunter und trat in mein Zimmer.
"Guten Morgen, Kleines. Wie geht's dir?", fragte meine Mutter.
"Hm.", machte ich. Vorsichtig streichelte sie über meinen Kopf. Ruckartig zog ich diese unter ihrer Hand weg.
"Mia, du musst was essen."
"Geh' weg."
Sie schnaubte und drehte sich um. Nachdem die Tür wieder zu war, schlug ich die Decke zurück und setzte mich im Bett auf. Langsam umgriff ich meine Beine mit den Händen. Wie ein Geisteskranker wippte ich auf und ab. Es ist so schwer, Gedanken zu ignorieren. Es fühlte sich so an, als hätte jemand Luis' Namen in mein Hirn gebrannt - ich konnte an nichts anderes denken. Während ich mich anzog, begann ich wieder, zu weinen. Kleine runde Tränen tropften auf mein T-Shirt. Er war weg, weg, weg. Einfach weg. Und ich kam nicht darauf klar. Es ist verdammt schwer, etwas so derart Heftiges überhaupt zu realisieren. Irgendwann versiegeten meine Tränen wieder, doch die Verzweiflung blieb wie ein anhänglicher Freund, der einfach nicht gehen will. Mechanisch zog ich meine Klamotten an und tappte die Treppe herunter. Ich wollte einfach weg. Sterben. Zu Luis. Plötzlich zuckte ich zusammen. Wie von der Tarantel gestochen raste ich aus dem Haus, schleifte mein Fahrrad aus dem Flur und fuhr los. Mir war ganz schummrig vor den Augen und ich nahm nur die holprige Straße wahr. Da rummste es. Ich fand mich auf dem Boden wieder. Keuchend setzte ich mich auf und betastete das entstandene Loch in meiner Hose. Mein Knie blutete ein wenig, aber das merkte ich gar nicht. Ich war schnell gefahren und mein Atem ging wie ein Presslufthammer. Wieder auf dem Fahrrad strampelte ich weiter. Ich wusste nicht wo ich war, aber ich wusste, wo ich hinwollte. Wieder hörte ich einen dumpfen Aufprall und fand mich ein weiteres Mal im Rollsplit der Straße wieder. Trotz aufgeschürfter Arme und Beine schaffte ich es zu dem Hügel. Zu unserem Hügel. Ich kraxelte den Hang hinauf, so gut es ging und klammerte mich an den großen Steinen fest. Mit dem letzten bisschen Sauerstoff in meinen brennenden Lungen hiefte ich mich auf die Spitze des steinigen Hügels, von dem ich eine grandiose Aussicht auf unsere Kleinstadt hatte. Wie oft hatten Luis und ich hier gesessen. 

"Komm zurück!", brüllte ich in den Wind.

"Ich weiß, dass du mich hörst! Du warst zu schwach, Luis, das wussten wir alle, nur du nicht. Zu schwach! Hast du gehört, Arschloch? Zu schwach! Du warst nicht mal stark genug, dich von mir zu verabschieden!", schrie ich so laut ich konnte. 

Tränenüberströmt sackte ich schließlich in mir zusammen.

"Komm' zurück...", flüsterte ich schluchzend.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 19, 2014 ⏰

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