2 | Entschuldigung

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„So schlimm war es doch gar nicht. Du hast ja nur das ausgesprochen, was wir alle gedacht haben! Spätestens morgen erinnert sich eh niemand mehr daran."

Stöhnend vergrabe ich das Gesicht in meinen Händen.

„Das war so furchtbar peinlich. Ich hätte mir doch denken können, dass er irgendwo in der Nähe ist und mich hören kann. Ich habe total schlecht über ihn geredet! Und ich habe ihn vor all seinen Gästen zurechtgewiesen..."

Hannah zieht mir die Hände vom Gesicht und zwingt mich dazu, sie anzusehen. „Sky, jetzt mach mal halblang. Es ist vielleicht nicht das netteste, was man bei einer ersten Begegnung sagen kann, aber ich bin sicher, dass er sich deswegen heute nicht in den Schlaf weinen wird. Außerdem hast du nicht ihn, sondern das Mädchen zurechtgewiesen, und sie hat sich davor ja auch ziemlich blöd verhalten. Also hör auf zu jammern, entschuldige dich später und das Thema ist vom Tisch. Okay?"

Seufzend fahre ich mir durch die Haare und nicke. Sie hat recht. Was würde ich nur ohne ihre Ratschläge tun?

Sie erhebt sich und zieht mich anschließend an den Händen nach oben. Nach der peinlichen Stille im Wohnzimmer bin ich schnurstracks ins Badezimmer geflohen, das ich glücklicherweise auf den ersten Anhieb gefunden habe. Keinen Moment später kam Hannah mir hinterher und hat sich neben mir auf dem Badewannenrand niedergelassen. Wie viel Zeit vergangen ist, kann ich nicht sagen, allerdings hat der Bass schon bald wieder eingesetzt und von der Stille, die vorhin noch herrschte, ist nichts mehr übrig geblieben.

Gemeinsam kehren wir zurück ins Wohnzimmer. Die schrägen Blicke, die ich erwartet habe, bleiben überraschenderweise aus; stattdessen scheint es niemanden zu interessieren, dass wir zurückgekommen sind. Oder überhaupt weg waren. Hannah zieht eine Augenbraue nach oben und sieht mich mit einem herausfordernden Blick an. Erleichtert schmunzele ich und boxe ihr gegen die Schulter. Ja, sie hatte recht. Niemand interessiert sich hier für mich.

„Wo wart ihr beiden denn?" Aprils vorwurfsvolle Stimme veranlasst mich dazu, mich umzudrehen und ihr in ihr fragendes Gesicht zu blicken. Ihr Mascara ist bereits ein wenig verschmiert und auch ihr Lippenstift leuchtet nicht mehr so, wie noch vor einer Stunde, aber davon abgesehen sieht sie immer noch super aus. Natürlich tut sie das. Wie könnte sie auch anders?

Knapp fasst Hannah die Geschehnisse, seit wir einander nicht mehr gesehen haben, zusammen. Fassungslos wechselt Aprils Blick zwischen uns hin und her, bis er letzten Endes an mir hängen bleibt. „Bist du wahnsinnig? Weißt du, wie schwierig es war, an diese Einladung zu kommen? Jetzt werden wir nie wieder herkommen dürfen!" Zerknirscht schaue ich auf den Boden. „Es tut mir leid. Ich werde das wieder gut machen, versprochen." April nickt langsam, dann hellt sich plötzlich ihre Miene auf. „Okay, du regelst das schon. Der Grund, warum ich euch eigentlich gesucht habe: Im Billardraum wird gleich eine neue Runde Bierpong angefangen und sie brauchen noch Spieler. Habt ihr Lust, mitzuspielen?"

Dankbar für die Ablenkung und mit einem kurzen Seitenblick zu Hannah stimme ich zu. Vielleicht ist der Abend ja doch noch nicht im Eimer. Schließlich ist die Nacht noch jung.

***

Etliche Liter Bier und entsprechende Promillezahlen später sitzen wir auf der Treppe und kichern über irgendeinen Witz, den Sidney gerade erzählt hat. Ich bin betrunken, allerdings nicht so sehr wie meine Freundinnen. Ich kann es nicht leiden, vollständig die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren. Deswegen halte ich mich immer zurück, trinke kleine Schlucke und vergesse nicht, zwischendurch jede Menge Wasser zu trinken. So kann ich mir immer ein Mindestmaß an Durchsicht bewahren und für meine Freundinnen da sein, wenn es ihnen nicht gut geht.

„Habt ihr schonmal nachgedacht, dass es voll sinnlos ist, dass ein einziger Mensch in einem so großen Haus lebt, während andere Menschen gar kein Zuhause haben? Das finde ich total unfair. Dylan sollte das Haus teilen und Leute darin aufnehmen, die sonst keinen haben, der für sie da sein kann." Ich muss schmunzeln. Hannah möchte immer die Welt retten, wenn sie betrunken ist. Sie lebt dafür, Menschen zu helfen und für andere da zu sein. Sie ist der Typ Mensch, der Obdachlosen etwas zu essen kauft, kein Fleisch isst, weil sie keine Tiere für sich sterben lassen möchte, und an Wochenenden das Altersheim besucht, um einen Kuchen vorbeizubringen und dort ein paar Stunden mit Schach, Tratsch und Kaffee zu verbringen. So ist sie eben und dafür liebe ich sie. Ich habe noch nie zuvor einen so selbstlosen Menschen getroffen.

Lone BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt