Die letzte Autofahrt

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Ich war mir sicher es würde nicht mehr allzu lange dauern, bis ich dieses Gerät neben mir, das ständig piep piep machte, umschmeißen und zerstören würde. Die Ärzte in dem Krankenhaus, in das ich gebracht wurde, hatten mein Leben gerettet. Aber ich wollte nur sterben. Zu einem anderen Zeitpunkt, unter anderen Umständen wäre ich dankbar gewesen, dass mich die Ärzte am Leben erhalten. Darum kämpfen, dass ich am Leben bleibe. Sollte ich das hier überstehen, würde ich sowieso nur in einem Gefängnis landen. Für sehr lange Zeit. Heute hatte ich mal wieder einen Streit mit meiner Ehefrau. Wieder mal, bin ich länger im Büro geblieben, als ich eigentlich müsste. Ich bin Anwalt und momentan läuft es bei der Arbeit nicht so gut. Keine neuen Mandate kamen mehr rein und die, welche ich im Moment habe ist viel zu wenig und nur Mist, wo man nichts dran verdient. Immer wieder trank ich abends im Büro, wenn niemand mehr da war und die Putzfrau nach Hause gegangen war. Manchmal wurde es dann nach 24 Uhr. Genau heute war einer dieser Tage, an dem ich keine Lust hatte, mit der U-Bahn nach Hause zu fahren. Deswegen stieg ich in meinen Wagen mit einer Flasche Rotwein intus. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, dass Freitagabend wahrscheinlich eine Menge Menschen in der Stadt unterwegs waren. Es war schon kurz vor 1 Uhr, als mir während des Fahrens auf der Straße die müden Augen zugefallen waren. Genau in diesem Moment hatte ich das Lenkrad verrissen und bin mitten in eine Gruppe Teenager hineingefahren und dann an einer Wand zum Stehen gekommen. Mein Wagen ist ein Totalschaden. Mit dem Kopf auf dem Lenkrad liegend, hatte ich mitbekommen, wie die Teenager schrien. Es waren Hilferufe und Schmerzensschreie. Träge hatte ich meinen Kopf gehoben um zu sehen, wie schwer ich verletzt wurde. Der Airbag meines Wagens war nicht aufgegangen. Irgendwo aus meinem Kopf ist eine Menge Blut geflossen, dass mir die Sicht vernebelte. Meine rechte Hand war unter dem Lenkrad eingeklemmt und ich habe meine Beine nicht mehr gespürt. Sie waren auch eingeklemmt. Mehrfach hatte ich versucht, aus dem Auto rauszukommen oder wenigstens an mein Handy zu kommen, dass im Fußbereich des Beifahrersitzes lag. Keine Chance. Ich bin nicht hingekommen. Ein paar Mal hatte ich versucht, mit irgendeinem von den Kids Kontakt aufzunehmen. Mich hatte leider niemand gehört. Ich war mir zu dem Zeitpunkt nicht mal sicher, ob die Kids überhaupt noch da waren, weil ich keinen von ihnen mehr hörte. Aus weiter Ferne hatte ich Sirenen gehört. Das Blaulicht erhellt das innere des Autos. Ich erschrak heftig, als ich den Jungen auf meiner Motorhaube gesehen habe. Er starrte mich mit weit aufgerissenem Mund und Augen an. Er war blutüberströmt und tot. Wegen meiner Dummheit noch Auto zu fahren, musste dieser Junge sterben. Ich hatte meinen Kopf zurückfallen lassen. Der Schmerz, der dabei ausgelöst wurde, war mir egal. Dieser Junge ist Tot und ich hatte ihn getötet. Sanitäter sind wild umhergelaufen um alle zu versorgen. Immer wieder hatte ich zu den Sanitätern gesagt, sie sollen sich erst um die Kinder kümmern, nicht um mich. Einer der Sanitäter hatte mich nur ausdruckslos angesehen und meinte zu mir, dass es niemanden mehr zum Versorgen gäbe. Das war das letzte gewesen, was ich gehört habe. Ich hatte aufgrund seiner Worte das Bewusstsein verloren. Im Krankenhaus kam ich wieder zu mir und habe erfahren, dass alle Teenager aus der Gruppe, in die ich hinein gefahren war, Tot sind. Es sind sechs Jugendliche gewesen. Alle Tot. Wegen meiner Dummheit und meiner Trinkerei. Einfach Tot. Neben mir nahm ich meine Frau und meine beiden Töchter wahr. Meine Töchter hätten genauso gut in dieser Gruppe stehen können. Ob sie wussten, dass ich sechs Jugendliche getötet hatte? Als einen normalen Unfall ging das hier nicht durch. Ich hatte getrunken und das nicht gerade wenig. Es war Mord. Ich war ein Mörder. Ich hielt meine Augen geschlossen, weil ich nicht in die vorwurfsvollen Gesichter meiner Familie blicken wollte. Vor dem Zimmer, in dem ich lag, nahm ich lautes Gebrüll war.

»Dieser Mann muss sterben«, schrie eine Männerstimme. Damit war ich gemeint. Dieser Mann war sicher ein Vater, der um sein Kind trauerte, welches ich ermordet hatte.

»Bitte beruhigen Sie sich«, sprach eine sanfte autoritäre Frauenstimme. Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Ärztin oder eine Polizistin. Ich hörte, wie meine jüngste Tochter schluchzte.

»Es wird alles wieder gut«, sagte meine Frau mit zitternder Stimme.

»Wird Papa jetzt in ein Gefängnis müssen«, fragte meine jüngste Tochter.

»Quatsch. Es war ein Unfall. Niemand kann etwas dafür«, erwiderte sie. Meine Frau wusste genau, dass ich wieder getrunken hatte und es nicht nur ein Unfall war und auch nicht wieder alles gut werden würde. Nichts würde gut werden. Auf ewig werde ich mit diesem schrecklichen Gefühl leben müssen, dass ich sechs Jugendlichen auf grausame Weise das Leben genommen hatte, während ich am Leben bin und auch am Leben bleiben würde. Ich war zwar verletzt, aber nicht so stark, dass ich nicht durchkommen würde. Die Schuldgefühle und das schlechte Gewissen quälten mich. Es würde vor Gericht gehen und ich konnte diesen Familienangehörigen nicht in die Augen sehen. In die verweinten Augen mit hasserfüllten Blicken. Das sie mich hassten, ist wohl klar. Sie wollen meinen Tod. Auch ich wollte meinen Tod. Ich wollte nicht mehr länger leben und ich wünschte mir, dass ich so stark verletzt war, dass auch ich sterben musste. Oder jemand soll mich umbringen. Die sollen diesen Mann, der meinen Tod fordert, einfach zu mir reinlassen, damit er das tun konnte, was ich und all die anderen Menschen sich wünschten. Das wäre das Beste für alle. Meine Töchter verdienen keinen Vater, der im Gefängnis sitzt. Was sollen sie denn ihren Kindern, meinen Enkelkindern erzählen, warum ihr Opa im Gefängnis sitzt und sie ihn nie sehen konnten. Meine Frau verdient ein schönes Leben und keines, wo sie ihren Ehemann regelmäßig im Gefängnis besuchen kommt. Meine Töchter und meine Frau standen auf und verließen das Zimmer. Als die Tür hinter ihnen wieder einrastete, öffnete ich vorsichtig die Augen. Niemand war im Raum. Endlich war ich alleine. So wie es sein sollte. Ich sah an mir herunter und bemerkte, dass meine beiden Beine in Gips eingebunden waren, ebenso wie meine rechte Hand. Ich versuchte mich aufzusetzen, was mir aber nicht gelang. Sofort schmerzten meine Rippen. Sicher waren sie gebrochen. Auf dem Tisch neben mir sah ich mehrere Medikamente, die ich nicht zuordnen konnte. Mit meiner gesunden Hand griff ich zu diesen Medikamenten und schluckte sie alle auf einmal. Vielleicht halfen sie ja, nichts zu spüren und einfach einzuschlafen.

Draußen vor meinem Krankenhaus nahm ich sehr viel Lärm wahr. Mehrere Personen stritten mit der Frau vor meiner Tür. Es hörte sich an, wie eine Schlägerei. Plötzlich wurde die Zimmertür aufgerissen und vier große Männer stürmten mit wütenden Gesichtern herein und direkt auf mein Bett zu. Vor der Tür auf dem Boden sah ich eine junge Frau in Polizeiuniform liegen. Sie schien bewusstlos. Jemand sagte etwas unverständliches und schon hatte ich eine Faust im Gesicht. Sofort strömte Blut aus meiner Nase und ich konnte nichts mehr sehen. Jemand anderes drehte meinen verletzten Arm um. Ich schrie nicht um Hilfe. Sollten sie machen, was sie wollten. Es ist schon zu spät. Immer wieder schlugen sie auf mich ein. In den Bauch, ins Gesicht, in meine Weichteile. Alles ließ ich stumm über mich ergehen. Mehrere Polizisten stürmten in den Raum und zogen die vier Männer zu Boden. Diese wehrten sich heftig gegen die Beamten. Verständlich. Ich ließ mich erschöpft zurück auf meine Kissen fallen. Mein Magen zog sich zusammen und ich spuckte plötzlich Blut. Sofort war ein Arzt da und untersuchte mich. Ich spuckte immer mehr Blut. Mit meiner gesunden Hand versuchte ich schwach, den Arzt von mir wegzuschieben. Natürlich war er viel stärker als ich. Überall sah ich grelle Blitze und mir wurde unwohl und schwindelig. Ich übergab meinen Mageninhalt. Es roch fürchterlich in diesem Zimmer und ich war voller Blut. Angepisst hatte ich mich auch vor Angst. Das Atmen fiel mir immer schwerer. Ich verweigerte die Beatmungsmaske, die mir ein Arzt über das Gesicht ziehen wollte. Ich wollte keine Hilfe von den Ärzten. Geschweige denn von irgendjemand anderen haben. Ich wollte das es vorbei ist. Ich wollte, dass alle den Raum verließen und mich alleine ließen.

»Hören Sie auf, mir zu helfen«, flüsterte ich zu dem Arzt.

»Ich bin Arzt und es ist mein Job Menschen zu retten. Auch solche wie Sie«, antwortete er bitter.

»Ich verweigere jede Behandlung und jede Hilfe«, flüsterte ich schwach.

»Das können Sie nicht bestimmen«, sagte ich und plötzlich spuckte ich wieder eine Menge Blut aus. Mein Magen zog sich zusammen und es kam immer mehr Blut aus meinem Mund, bis sich alles um mich herumdrehte und ich nichts mehr anderes wahrnahm als die schrecklichen Schmerzen in meinem Bauch und Brust. Ich konnte nicht mehr atmen und erstickte an meinem erbrochenen Blut. Alles um mich herum wurde schwarz und kalt...

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⏰ Last updated: Oct 11, 2021 ⏰

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Weg in die HölleWhere stories live. Discover now