„Und du bist dir ganz sicher?“, fragt mich meine neue Zimmerkollegin Paula.
Unsicher steht sie mit der Haarfarbe aus dem Drogeriemarkt hinter mir. Es ist für uns beide das erste Mal, dass uns der Ammoniak Duft umspielt. Ein bisschen beißt er in der Nase und meine Augen werden ganz wässrig.
„Zu 100%. Ich möchte nicht mehr von alten Damen schief angesehen werden.“, antworte ich.
Mein Name ist Nicole, ich bin 18 Jahre alte, fange dieses Jahr in Stanford an und meine Haare sind braun mit blauen Strähnen. Warum das wichtig ist? Naja, an der Haar- und Augenfarbe erkennen wir unsere Seelenverwandten, so heißt es zumindest. Mir ist aber noch nie ein Mensch begegnet der sowohl ein blaues als auch ein braunes Auge hat. Mein Leben lang wurde ich auf meine blauen Strähnen angesprochen, von älteren Personen bekam ich immer wieder verachtende Blicke. In einer Welt, in der es nur darum geht seinen Seelenverwandten zu finden wird es nicht gerne gesehen, wenn man seine Haare färbt und blaue Strähnen sind alles andere als natürlich. Sagt zumindest die Gesellschaft. Oh die Ironie.
Paula setzt die Flasche mit der Farbmischung an. Die ersten Tropfen brennen etwas, aber es ist kein Schmerz, den ich nicht aushalten kann.„Hey das ist ja ganz einfach“, freut sich Paula.
Ich habe sie erst vor ein paar Tagen kennen gelernt. Ich wohne am Campus von Stanford in einem Studentenheim und sie ist meine neue Zimmergenossin. Paula hat graue Haare und schwarze Augen. Sie war natürlich von Anfang an von meinen Haaren fasziniert. Ihre erste Frage war klarerweise ob ich sie mir gefärbt habe um gegen das System zu rebellieren. Mit einem Augenrollen habe ich ihr erklärt, dass ich kein Punk bin sondern meine Haare von Natur aus so sind und ich nichts dafür kann. Es muss doch einfach sein meinen Seelenverwandten zu finden mit so einmaligen Merkmalen, meinte sie. Laut ihr gibt es viel zu viele Menschen mit schwarzen Haaren auf dieser Welt.
Dieses Schuljahr werde ich einmal auch normal sein, so wie die anderen. An die Geschichte mit dem Seelenverwandten habe ich nie wirklich geglaubt. Warum darf ich nicht lieben wen ich liebe? Warum wird mir vorgeschrieben in wen ich mich zu verlieben habe?
Paulas Hauptfach ist Psychologie, in circa zwei Jahren werde ich ihr diese Fragen stellen und wenn sie mir keine Antwort geben kann erkläre ich ihr Studium für unnötig.
Nach fast 25 Minuten ist die Haarfarbe auf meinen Haaren aufgetragen.„Was machst du eigentlich, wenn du doch deinen Seelenverwandten findest?“, fragt mich meine Freundin.
Ich antworte ihr „Paula, 1. Wer sagt, dass mein Seelenverwandter nicht eine Frau ist? Und 2. Weißt du, dass ich davon eigentlich nichts halte? Ich möchte selber entscheiden mit wem ich mein Leben verbringe, und nachdem mein Seelenverwandter zwei Augenfarben hat, existiert er oder sie sowieso nicht. Hast du schon jemanden mit zwei verschiedenen Augenfarben gesehen?“
„Nein, allerdings habe ich auch noch nie jemanden mit zwei Haarfarben gesehen. Es gibt für alles ein erstes Mal“
Ich zucke mit den Schultern und nehme meinen Stundenplan vom Schreibtisch. Unser Zimmer ist nicht groß aber es passen zwei Betten ein Schreibtisch und sogar eine kleine Couch hinein.
Ich habe mich dazu entschlossen meinen Traum zu folgen und Musik zu studieren. Was ich genau mit einem Bachelor in Musik mache, weiß ich noch nicht, aber andere Fächer haben mich kaum interessiert und meine Eltern wollten mich unbedingt auf eine Uni schicken. Paula überlegt ob sie einen Theologie Kurs belegt. Was man damit anfängt kann ich mir noch weniger vorstellen.
Nach 30 Minuten Sachen einräumen, ich habe noch ein paar Kisten von zu Hause die eingeräumt gehören, läuft der Timer ab und es ist Zeit die Farbe auszuwaschen. Ich kann es kaum abwarten mein neues ich zu sehen, mein normales ich, die normale Nicole.
Und vor mir steht sie, im angeschlagenen Spiegel sehe ich keine blauen Strähnen, sondern durchgehend braunes Haar.
Paula wartet geduldig vor der Dusche, „Wow, ist toll geworden. Hätte nicht gedacht, dass ich so etwas kann. Jeden Tag überrasche ich mich selber, vielleicht studiere ich doch das Falsche“
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Farben finden
Teen FictionEin Sneakpeek in mein erstes komplettes Buch :-) Kann man verstecken, dass man anders ist und trotzdem seinem Schicksal folgen?