Kapitel Drei (Jisung)

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Die ganze Nacht lag ich noch wach und musste an Minho denken. Die Gedanken wurden nur manchmal von meiner Sorge um Changbin und die Frage wie es denn überhaupt zu diesem Unfall kommen konnte, sodass er jetzt sogar im Koma lag und Chris' Fastunfall vor der Schule am Morgen, unterbrochen. Aber Minho nahm momentan am Meisten meine Gedanken ein. Ich fühlte mich so unsagbar schlecht. Es war zum verrückt werden. Man musste es Minho hoch anrechnen, dass er so verständnisvoll reagiert hat. Ich hatte es nun einmal nicht eingesehen ihm etwas vorzumachen; gerade, wenn er wirklich so sehr in mich verliebt ist wie es den Anschein machte. Nach wie vor konnte ich nicht fassen wie ich es einfach nicht habe bemerken können.

Klar, fand ich Minho attraktiv, aber wirklich Gefühle für ihn hatte ich nicht. Leider. Ich wünschte mir so sehr es wäre anders. Aber momentan fühlte ich für Minho bloß das Gleiche wie für jeden anderen attraktiven Kerl, der mir über den Weg lief und erstaunlicherweise hatte unsere Schule ziemlich viele davon. Die einzigen Typen für die ich mal etwas mehr empfunden hatte als das, waren meine beiden besten Freunde Changbin und Chris gewesen. Gleichzeitig. Ich seufzte. Jedes Mal, wenn ich daran zurückdachte, musste ich lachen. Genau wie jetzt. Nun ja, in Chris war ich verliebt gewesen, weil er mich sofort aufgenommen hatte und ich mich direkt wohl in seiner Nähe gefühlt hatte und in Changbin war ich verliebt gewesen, weil er genau das Gegenteil gewesen war. Zumindest am Anfang. Es mag vielleicht schräg klingen, aber dass er mich zunächst so abgewiesen hatte, hatte mein Herz schon schneller schlagen lassen. Was absolut dämlich gewesen ist. Und wie immer, wenn mir das einfiel, schüttelte ich den Kopf über mich selbst. Jedenfalls sind irgendwann die Gefühle in dieser Hinsicht für die Beiden verschwunden, was auch ganz gut war, denn ich war mir sicher, dass alles andere, was über Freundschaft hinausgehen würde, mit den Beiden nicht ganz so gut funktioniert hätte.

Wieder zurück zu Minho. Es ist nun einmal so, dass ich meine Gefühle nicht von jetzt auf gleich ändern konnte. Zumindest, wenn ich ehrlich zu Minho und vor allem zu mir sein wollte. Ich konnte mir schon vorstellen, dass Minho und ich ein echt süßes Paar abgeben könnten. Er der gutaussehende Sportler und ich der schlaue Streber. Wie in so einer kitschigen Teenieserie. Ich grinste. Zu Minho hatte ich gesagt, dass ich Zeit brauchte und auch erstmal etwas mehr Zeit so mit ihm verbringen möchte; ohne, dass unnötige Schulbücher zwischen uns standen. Minho hatte zu mir gemeint, dass er das natürlich verstehen kann und einfach nur froh wäre, dass ich ihn nicht komplett abgewiesen habe, was aber nicht seinen verbitterten und enttäuschten Unterton verdecken konnte. Aber wie sollte ich mich denn auch in ihn verlieben. Ich dachte schließlich auch die ganze Zeit, dass er Probleme in der Schule hätte. Und sich in jemanden zu verlieben beziehungsweise eine Beziehung anzufangen, die auf einer Lüge basiert, ist jetzt nicht wirklich der beste Start. Klar, war es schon irgendwie süß von ihm, aber ein bisschen wütend deswegen war ich schon. Auch, wenn man das nicht wirklich wütend nennen konnte. Vielleicht war es auch eine Reaktion meinerseits, um zu entschuldigen, weshalb ich nicht in ihn verliebt war. Wieder seufzte ich und beschloss es erst einmal sein zu lassen und schlafen. Das letzte woran ich mich vor dem Schlaf erinnerte, waren Minhos traurig blickende Augen, die von diesen wunderschönen langen Wimpern umrahmt wurden.




Nach Sage und Schreibe zwei Stunden Schlaf dann auf dem Weg zur Schule am nächsten Morgen dachte ich die ganze Zeit an Minho und an die Worte, die er gesagt hatte. Als Jimin mich fragte, woran ich dachte, konnte ich ihr irgendwie nicht sofort eine Antwort liefern und wurde stattdessen nur rot im Gesicht, was sie mit einer hochgezogenen Augenbraue kommentierte.

Erst nachdem Miss James bereits den Unterricht schon seit zehn Minuten angefangen hatte, fiel mir etwas auf. Minhos Stuhl war leer. Es war nicht ungewöhnlich, dass er das ein oder andere Mal zu spät kam. Aber wenn, dann kamen immer er und Hyunjin zusammen zu spät und Hyunjin? Nun ja... der saß auf seinem Platz. In der ersten fünfzehn Minutenpause wollte ich Hyunjin zwar fragen, was mit Minho ist, aber Jimin erzählte gerade von ihrem Date mit Seungmin und sie schien so begeistert davon zu sein, dass ich sie nicht enttäuschen wollte, indem ich sie unterbreche und einfach zu Hyunjin ging. Das würde sie verletzen. Dass Hyunjin mir dann auch noch mehrmals Blicke zuwarf, die ich nicht zuordnen konnte, machte es auch nicht unbedingt besser. Also beließ ich es zunächst dabei und schrieb Minho eine Nachricht auf Whatsapp. Aber er war auch seit gestern nicht mehr online gewesen. Meine letzte Nachricht, in der ich fragte, ob er sicher zu Hause angekommen sei, blieb ungelesen.

Mir fiel fast ein Stein vom Herzen, als es dann endlich zur großen Pause klingelte. Bevor Chris und Jimin noch etwas sagen konnten, huschte ich schnell nach vorne zu Hyunjin.

„Ey, sag mal. Wo ist Minho? Was ist mit ihm?", platzte es aus mir heraus, sobald ich an seinem Tisch stand.

Hyunjin biss sich auf die Unterlippe und ich musste zugeben, dass es ungeheuer heiß aussah. Falscher Zeitpunkt, Jisung!, ermahnte ich mich und sah zurück in Hyunjins Augen. Normalerweise war Hyunjin so gepolt, dass er meine Reaktion sofort bemerkt hätte und sich bestimmt darüber lustig gemacht oder mit mir geflirtet hätte. Aber diesmal nicht. Seine Stirn war in Sorgenfalten gezogen und er seufzte.

„Ich weiß es nicht. Sag' du es mir. Du warst der letzte, der ihn gesehen hat..."

Mir blieb die Luft weg.

„W-was? Er ist verschwunden?", stieß ich dann doch aus, aber Hyunjin schüttelte den Kopf.

„Ich war noch nicht fertig mit meinem Satz. Ich wollte sagen, dass du der letzte gewesen bist, der ihn gesehen hat, bevor es passiert ist."

„Bevor was passiert ist?", erwiderte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme gefühlt um einige Oktaven anstieg, vor lauter Panik. Das konnte doch nicht wahr sein. Da stimmte doch bestimmt etwas nicht mit mir. Erst hat Changbin einen Unfall, sodass er jetzt im Koma liegt, dann Chris einen Fastunfall und jetzt auch noch Minho? Und das alles innerhalb von drei Tagen?

Anstatt mir eine vernünftige Antwort zu geben, schüttelte Hyunjin nur den Kopf. Will der Kerl mich eigentlich verarschen?

„Am Besten du machst dir selbst ein Bild davon und gehst ihn heute Nachmittag besuchen." und mit den Worten stand Hyunjin auf, schulterte seine Schultasche und wollte anscheinend gehen. Dieser Mistkerl.

„Ja- wäre nett, wenn du mir dann auch seine Addresse nennen könntest, denn die kenne ich zufälligerweise nicht.", fauchte ich, woraufhin Hyunjin, das Arschloch wie eh und je, nur die Augen verdrehte.

„Meine Eltern holen mich heute nach der Schule ab. Wir nehmen dich dann einfach mit, okay?" und als wäre damit wirklich alles gesagt, ging er und ich sah ihm wütend hinterher.

„Alles okay?", fragte Chris mich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ich schüttelte den Kopf.

„Was ist denn mit dir los?", fragte ich ihn stattdessen zurück.

„Ach, nur leichte Kopfschmerzen.", antwortete er zurück und winkte leichtfertig ab, „Lass uns jetzt erst einmal etwas essen gehen." und so wie ich Chris jetzt ansah, musste ich mich innerlich selbst beruhigen, um nicht anzufangen zu hyperventilieren. Mittlerweile hatte ich wirklich das Gefühl, dass den Leuten, die mir wichtig waren, etwas passiert und ich der Grund dafür war. Mir war bewusst, dass es ein total dämlicher Gedanke war eigentlich. Nur war es schon extrem merkwürdig.

verloren im nichts || minsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt