Rache ist süß

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„Ich erzähle Euch eine Geschichte!", sagte Finn und setzte sich aufrecht hin. Sein Rücken nahm ihm das gemütliche Anlehnen an den Baumstamm übel. Die Gesichter der Kinder verzogen sich.

„Das ist langweilig!", schimpfte Laura. Sie steckte ein Marshmallow auf ihren Stock und hielt ihn über das Feuer. Der Geruch von verbrennendem Zucker erfüllte die Luft, während es vor sich hinprasselte und die Nacht erhellte. Tom und Valentin brummten vor sich hin.

„Gibt es nichts Besseres?"

Finn lachte. „Wir sitzen an einem Lagerfeuer, mitten im Wald! Hier steht ein Baum neben dem anderen! Das schreit doch nach einer Geschichte!"

Sein dünnes Argument überzeugte die Kinder nicht. Die griffen wieder in die Tüte und steckten die nächsten Marshmallow auf ihre Stöcke. Finn folgte mit den Augen dem Rauch hinauf in den Himmel. Der Mond war fast voll, was ihn auf eine Idee brachte.

„Kennt ihr die Geschichte von Gabriel, dem Werwolf?"

Finn schob seine Brille nach oben, die Kinder starrten ihn an. Ihr Blick war fast irre. Sie zogen, ohne etwas zu sagen, die zweite Tüte Marshmallow aus dem Korb und rissen sie auf. Mehrere landeten im Dreck. Bemerkt hatten es die Kinder nicht.

„Hört zu! Gabriel ist ein ganz und gar netter junger Mann", erzählte Finn und die Kinder schauten ihn genervt an. Sie ließen sich die Marshmallows schmecken, während er die Geschichte weiterspann.

„Er hatte eine bildschöne blonde Freundin, die er überaus lieb hatte. Doch es gab ein Problem: In der Nacht zu Vollmond lief er hin und her, sein Herz pochte wie verrückt und er blieb nicht still sitzen. Die Haare wurden länger, sein Gehör schärfer. Er hörte Töne, die seine Freundin nicht wahrnahm. Da er wusste, was bald geschah, rannte er in dieser Nacht in den Wald. Hier war er sicher. Eine kleine Hütte hatte er sich gebaut, versteckt zwischen zwei alten Bäumen. Der Weg dorthin war verborgen, niemand wusste von ihm. Je voller der Mond wurde, desto länger wurden seine Haare, sein Wesen düster. Er verwandelte sich in einen Werwolf! Der Mond schien der Erde an diesem Tag der Erde nah, er war gigantisch!"

Finn hob die Arme, um zu zeigen, wie groß der Mond war. Die Kinder aßen unbeirrt ihre Marshmallows weiter. Er strebte etwas Neues an.

„Der Werwolf benahm sich wie ein Hund. Er rannte durch den Wald, schnüffelte wild umher und stand vor einem Abgrund. Plötzlich stieg ihm ein Geruch in die Nase, den er nicht kannte. Er legte den Kopf in den Nacken und fing an zu heulen."

Finn stieß ein Heulen aus, die Kinder erschraken, als es ertönte. Laura ließ ihren Stock fallen. Das Feuer verschlang ihn und das Marshmallow.

„Das war jetzt aber kein echter Werwolf, oder?", fragte Tom kleinlaut und schaute erst zu Valentin, dann in den dunklen Wald hinter sich. Finn schüttelte den Kopf.

„Nein. Aber ihr wünscht euch, nie einem Werwolf zu begegnen. Denn, das wusste Gabriel nicht, braucht ein Werwolf etwas zum Fressen. Er lief vom Abgrund weg und seine Nase führte ihn auf eine verlockende Spur. Nie hatte er es im Wald gerochen. Er folgte ihr, zielstrebig und schnell, bis er das Feuer roch. Dazwischen ein köstlicher Duft und das Knistern des Holzes war herrlich. Er zwängte sich durch den letzten Busch und stand vor einem Lagerfeuer. Mehrere Kinder saßen da und hatten weiße Stückchen in der Hand. Sie bemerkten ihn sofort und fingen an zu kreischen. Gabriel hielt sich die Ohren zu, es war ein hoher Ton. Er schlug mit der Pfote um sich herum, das Geschrei wurde lauter und er wusste nicht, was passierte. Er brüllte und ein Kind stand vor ihm, als er mit der Pfote erneut ausholte. Blut lief dem Kind aus der Wunde, die seine Krallen gezogenhatten. Es schrie und Gabriel wünschte sich, dass es still war. Beim nächsten Schlag lag es auf dem Boden und bewegte sich nicht mehr. So konnte er sich nach dem süßlichen Geruch umdrehen. Weiße Brockenlagen um das Feuer herum und er schnappte sich das erstbeste. Es schmeckte phänomenal."

„Seit wann essen Werwölfe Marshmallows?" Valentin runzelte die Stirn, während er Tom in seine Arme geschlossen hatte. Laura hatte sich unter ihrer Decke verkrochen. Nur ihr Kopf schaute heraus. Ihre Augen wanderten schnell zwischen den Jungs, dem Feuer und dem Wald hinter ihnen umher. Finn lachte.

„Bist du dir sicher? Manche essen Kinder! Und nachts, wenn es dunkel ist, kommen sie am liebsten hervor. Wer weiß, seht ihr schon seine gelben Augen in dem Busch da hinter euch?"

Die Kinder sprangen kreischend auf und rannten los. Sie drehten sich nicht um. Die Angst trieb sie in die Hütte. Finn lachte laut los. Die Tür fiel hinter ihnen zu. Kurz kam ihm der Gedanke, dass er zu weit gegangen war, doch er schob ihn schnell beiseite. Er nahm den Eimer Wasser und kippte ihn über das Feuer. Mit der Taschenlampe sammelte er die verstreuten Dinge ein. Er warf sie in den Korb oder in den Mülleimer. Dann schlenderte er zur Hütte. Im Innern brannte das Licht, die Kinder lagen in ihren Betten. Sie schliefen. Er zog Laura die Decke ordentlich hin, damit sie nicht fror in der Nacht. Die Jungs kuschelten, die Decke war über beide gezogen. Er streckte sich und zog sich schnell um. Die Tür hatte er schon abgeschlossen, trotzdem kontrollierte er es nochmal. Ein letzter Blick auf das Lagerfeuer, es war aus, keine Flamme zu sehen. Zufrieden legte er sich auf das Sofa, zog die Decke hoch, dachte über den Tag nach und schlief irgendwann ein.

Ein Geräusch weckte ihn. Zuerst hielt Finn es für unwichtig, doch es wiederholte sich. Beunruhigt stand er vom Sofa auf. Es ließ sich nicht einordnen. Sein Blick fiel auf den Baseballschläger. Valentin hatte ihn auf den Tisch gelegt. Im Dunkeln war ihm das nicht aufgefallen. Das Licht seiner Taschenlampe hatte ihn gestreift. Finn holte ihn sich und stellte überrascht fest, dass er angenehm in der Hand lag. Das Geräusch wiederholte sich erneut. Er umschloss denSchläger fest, lief langsam zur Tür. Der Wind ließ die Bäume rascheln. Vorsichtig schaute er durch das Schlüsselloch. Nichts, nur Dunkelheit war zu sehen. Er öffnete die Tür und spähte hinaus. Kleine Flammen stiegen vom Lagerplatz auf. Der Wind hatte das Feuer wieder entfacht.

Plötzlich huschte ein Schatten vorbei. Panik stieg in ihm auf, hielt ihn still. Doch etwas in ihm wollte herausfinden, was das war. Er nahm den Schläger hoch, so, dass er gleich zuschlagen konnte. Die Stufen knackten, als er die Treppe hinunterschlich. Bei jedem Schritt sah er sich um, sein Herz pochte wie wild. Die Flammen warfen Schatten, je nachdem, wie der Wind sich drehte. Er blieb an dem Stamm stehen, auf dem er abends gesessen hatte. Äste krachten hinter ihm. Er fuhr herum. Das Gebüsch bewegte sich, er nehm den Baseballschläger hoch. Angst schoss durch seinen Körper. Polternd ließ er den Schläger zu Boden fallen.

„Laura! Herr Gott, was tust du hier draußen?", schimpfte er und fasste sich ans Herz. Es pochte wie verrückt. „Ich dachte, hier schleicht ein Einbrecher oder ein Zombie herum!"

Das Mädchen grinste nur. Es hatte sich in eine Decke gehüllt und das Licht des Feuers warf wirre Schatten an die Bäume. Dicht hinter ihr tauchten Tom und Valentin auf. Sie hielten Stöcke in der Hand und fuchtelten wild mit ihnen herum. Ein leichtes Lächeln huschte über Finn's Gesicht. Nur seine Kinder, welch ein Glück.

„Nein, das waren wir!", kicherte sie. „Du hast uns voll Angst gemacht mit der Geschichte über den Werwolf! Jetzt haben wir dich erschreckt!"

„Ja, so ist es gerecht!" Tom lachte und schlug mit dem Stock auf den Boden. Valentin grinste zufrieden. Er brach seinen Stock, doch das hielt ihn nur kurz auf. Schneller als Finn schaute, flogen die kaputten Stücke ins Gebüsch. Kichernd liefen die Kinder zur Hütte. Die Tür ließen sie angelehnt. Finn hob den Schläger wieder auf und starrte auf die Flammen. Sie wurden kleiner, das Holz war verbrannt.

Als er einen Blick in den dunklen Himmel war, sah er eine Sternschnuppe. Er wünschte sich eine ruhige Nacht. Die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss, er lief auf Zehenspitzen durch den Raum. Seine Kinder lagen in ihren Betten und schliefen friedlich. Finn legte sich wieder auf das Sofa und schloss die Augen. Irgendwann schlief er ein ...

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