Der Tag neigte sich dem Ende zu.
Die Sonne versank hinter den Bäumen und ließ einen tiefblauen Himmel zurück.
Die Grillen hatten zu zirpen begonnen. In der Luft lag noch der Duft des gemähten Rasens, gemischt mit dem der unzähligen Blumen auf der Weide hinterm Haus.Es war das erste Mal dass die Kleine solange wach bleiben durfte. Sie war müde, keine Frage, aber sie wollte den Sternenhimmel endlich einmal im Sommer sehen. In ihrem kurzen Kleid unter diesem Zelt aus Lichtern stehen, und nicht in ihrem dicken Wintermantel, mit kaltem Gesicht und frierenden Händen.
Gespannt beobachtete sie wie das letzte Sonnenlicht langsam verschwand, und dafür immer mehr Lichter am Himmel auftauchten.
Sie zählte jeden aufblitzenden Punkt am Himmel. Eins... Zwei... Drei... Vier... Weiter konnte sie noch nicht zählen also machte sie einfach mit den Zahlen weiter von denen sie schon gehört hatte.
Aber auch diese reichten schon bald nicht mehr. Also sprang sie von ihrem Stuhl, da ihre Beine von der Sitzfläche noch nicht bis an den Boden reichten, und lief über die Terrasse und das gemähte Gras auf die große Wiese hinter dem kleinen Garten zu. Tagsüber versteckte sie sich gern dort im Gras, wenn sie mit ihrem Papa oder ihren Großeltern verstecken spielte und im Herbst ließen sie dort immer einen Drachen steigen. Oder sie ging mit ihrer Puppe und Mama dort spazieren und fragte sie bei jeder Blume, an welcher sie vorbei kamen, wie denn der Name sei. Mama kannte fast jede Blume, und wenn nicht, dann machte sie mit ihrer Kamera ein Foto von ihr und zuhause suchten sie dann, in ihrem alten Pflanzenlexikon, nach der passenden Bezeichnung.
So wie auch bei diesen Erkundungstouren lief sie langsam über die Wiese, den Blick jedoch stehts gehn Himmel gerichtet. An diesem Abend interessierte sie sich nicht im Geringsten für die Blumen um sie herum und das Gras unter ihren Füßen. In dieser Nacht gehörte ihre Aufmerksamkeit ganz den Sternen.Auf Einmal hörte die Kleine Schritte hinter sich. Sie hatte es nicht nötig sich um zudrehen. Es war niemand hier, außer ihr und ihrer Familie. Und selbst wenn es so wäre, war sie noch zu jung, um sich wegen so etwas Gedanken oder gar Sorgen zu machen.
Ein paar Momente später war der Boden unter ihren Füßen verschwunden.
"Opa !", rief sie lachend und hielt sich an ihm fest, sobald er sie auf die richtigen Höhe gehoben hatte. Danach sah sie wieder in den Himmel.
Ihr Opa tat es ihr gleich.
Eine Eule schrie und noch immer zirpten die Grillen um sie herum, gut versteckt im hohen Gras.
"Wie heißen sie ?", fragte sie irgendwann in die sonstige Stille. "Wer ?", fragte ihr Opa leicht verdutzt. "Die Sterne" "Welche denn ?" "Na alle" "Es gibt unzählige Sterne. Es wäre unmöglich ihnen allen Namen zu geben", antwortete er seiner Enkelin daraufhin. "Aber all die Blumen haben doch auch Namen. Warum die Sterne nicht ?" Sie fand es ungerecht. Die Sterne waren genauso schön wie die Blumen auf der Wiese. Warum also besaß jede Blume einen Namen, aber nicht jeder Stern. "Schau mal", fuhr ihr Opa fort. "Jeder Stern hat einen Namen allerdings sind die wenigsten davon richtige Namen..." "Kennst du viele Sterne mit Sternnamen ?" "Einige", bestätigte ihr Opa die Frage. "Dann zeig sie mir", forderte die Kleine. "Also gut", stimmte er zu. "Siehst du den ganz hellen Stern dort ?", meinte er und deutete auf einen bestimmten. "Das ist der Polarstern. Und wenn du vom Polarstern den Kopf ein Stück nach rechts drehst, kannst du das Sternbild des Großen Wagens sehen" "Was ist ein Sternbild ?", fragte sie dazwischen. "Früher haben die Menschen Bilder in den Sternen gesehen. Objekte und vor allen Dingen Tiere. Wenn du dir diese Sieben Sterne dort genau ansiehst. Kannst du dann einen Wagen erkennen ? So einen, wie der Handwagen, den wir ihn immer mit zum picknicken nehmen ?" Er sah wie seine Enkelin sich konzentrierte. "Ja!", rief sie auf Einmal begeistert. "Da ist ein Wagen am Himmel!", eine Weile sah sie ihn fasziniert an. Dann sah sie wieder zu ihrem Opa. "Zeig mir mehr Sternbilder!" forderte sie.
In diesem Moment hörte sie die Stimme ihres Papa's, der die Beiden zu sich rief. "Ein andern Mal", meinte ihr Opa mit einem Lächeln und setzte sie wieder auf den Boden. Dann nahm er seine leicht enttäuschte Enkelin an die Hand und führte sie zurück zu seinem Sohn, welcher am Gartenzaun auf sie wartete.
Der Blick der Kleinen wanderte noch einige Male zu dem Sternbild über ihr, welches sie erst vor wenigen Augenblicken kennengelernt hatte.
"Jetzt ist es aber Zeit fürs Bett", meinte Papa als die Beiden bei ihm angekommen waren.
Gemeinsam gingen sie zurück zum Haus. Auch Mama und Oma saßen nicht mehr auf der Terrasse. Beide waren vermutlich auch schon müde.
An der Treppe verabschiedete sich Opa von ihnen. Papa ging schon hoch während das Mädchen noch am Fuß der Treppe stehen blieb. "Träum was schönes meine Kleine", sagte ihr Opa zu ihr. "Was wenn ich wieder Albträume habe ?", fragte das kleine Mädchen plötzlich verunsichert. Sie hatte in letzter Zeit oft welche. Sie mochte keine Albträume, besonders nicht den, wo ihr Cousin, welchen sie eigentlich sehr gern hatte, sich in einen Tiger verwandelte und ihr über die Weide hinterher jagte, um sie aufzufressen. Diese Träume machten ihr Angst. Ihr Opa kniete sich vor sie. Dadurch, dass sie auf der Zweiten Stufe der Treppe stand waren sie so sogar fast gleich groß. "Wenn du einen Albtraum hast, dann denk an den Großen Wagen. Er ist immer da und passt immer auf dich auf. Auch wenn du ihn gerade nicht sehen kannst okay ?", meinte er zu ihr. "Okay", meinte sie und musste Lächeln. Ihr Opa drückte ihr noch einen Kuss auf die Stirn. "Bis Morgen", meinte er noch und ging dann durch die Tür neben der Treppe, vermutlich zu Oma. Die Kleine machte sich schnell daran die Stufen hoch zu klettern. Oben im Flur stieß sie wieder auf ihren Papa, der sie in ihr Zimmer begleitete. Schnell krabbelte sie auf ihr Bett, wo Papa ihr beim umziehen half. Sobald er ihr das Nachthemd über den Kopf gezogen hatte, kroch sie unter ihre Bettdecke. "Warum so zackig heute ?", fragte Papa sie. Er wusste von ihrer Angst vor Albträumen. Die letzten Wochen über hatte sie nie schlafen gehen wollen und stand nach spätestens Zwei Stunden weinend bei ihm und Mama im Schlafzimmer, wo sie dann auch den Rest der Nacht verbracht hatte.
"Heute Nacht habe ich bestimmt keine Albträume", antwortete seine Tochter gewissenhaft. "Hat das einen Grund ?", wollte er neugierig wissen. "Der Große Wagen passt auf mich auf", ein Gähnen stahl sich auf ihr Gesicht. "Hat Opa gesagt", meinte sie mit einem bestätigenden Nicken. "Na wenn Opa das gesagt hat muss es ja stimmen.", meinte ihr Papa, gab ihr noch einen Gute-Nacht-Kuss und löschte noch das Licht bevor er die Tür schloss.Die Kleine blickte noch einmal aus dem Fenster und sah den Großen Wagen am Himmel leuchten.
In Gedanken wünschte sie auch ihm eine Gute Nacht, bevor sie mit einem Lächeln auf den Lippen einschlief. Und sie schlief wirklich gut, denn sie hatte in dieser Nacht keinen Albtraum.
Von dieser Nacht an, war sie davon überzeugt, dass der Große Wagen auf sie aufpasste. Und das tat er auch. Bei Tag und Bei Nacht. Egal ob sie ihn sehen konnte oder nicht.
Denn Sterne sind immer da.
Vielleicht brauchte ein anderer Mensch ihr Licht manchmal einfach dringender als man selbst.
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Dem Großen Wagen so nah ✨
RandomFür Opa❤️ Der mir damals den Großen Wagen gezeigt hat und der mich seither immer ein Stück weit Zuhause fühlen lässt✨ und die einzige gedruckte Ausgabe besaß. Außerdem danke an Knox, welcher mir die Idee gab, diese Geschichte zu schreiben. Viel Spaß...