Die Sonne scheint schon am frühen Morgen unerbittlich vom hellblauen, wolkenfreien Himmel. Ich laufe am Strand der großen Bucht entlang und halte Ausschau nach Simon. „Reena, ich bin hier" Mein bester Freund steht in den Dünen und winkt zu mir herüber. „Und wie war der Fang heute?" Frage ich und lasse mich neben ihn in den heißen Sand fallen. „Es hätte besser sein können. Wir haben nicht einmal annähernd die Menge zusammen." Wütend reißt Simon einen Büschel Gras aus dem lockeren Sand und wirft ihn Richtung Meer. Heute wird, wie jede Woche, die Fänge abgeholt und hoffentlich neue Vorräte für unser Dorf gebracht. Der Sommerkönig erwartet zunehmend größere Mengen an Fisch, welchen die Männer des Dorfes, wegen den vielen defekten Booten und zerrissenen Netzen, nicht erbringen können. „Die Eiskeller des Dorfes sind nicht einmal halb gefüllt. Sie werden wieder Kinder mitnehmen." Er sieht niedergeschlagen zu Boden. Eine Eigenart von Simon war es schon immer, sich die Schuld anderer aufzubürden. Doch er selber kann am wenigsten für die Probleme des Dorfes, erst seit wenigen Wochen fährt es mit auf See zum Fischen. „Sie haben bereits vor kurzem Christy mitgenommen, sie werden dieses Mal Güte walten lassen, ich bin mir sicher." Ich war mir ganz und gar nicht sicher und trotzdem will ich Simon aufmuntern. Niemand wusste was passiert, wenn die Wachen des Sommerkönigs hierherkam und nicht die Menge Meerestiere bekamen, nach der sie verlangten. Ich lege einen Arm um Simon und wir sitzen eine Weile nur da und sehen der Sonne zu, wie sie an Kraft gewinnt. Das Meer zu unseren Füßen wiegt ruhig umher und am Horizont kann man die Berge auf der anderen Seite der riesigen Bucht sehen. Wenn man genau hinsieht und die Luft klar ist erkennt man die Spitze des Sommerschlosses in der Hauptstadt von Eredale glitzern. Nach einigen Minuten ist die Hitze ungeschützt kaum zu ertragen und wir sind gezwungen schatten zu suchen, also laufen wir Richtung Dorf zurück. Noch bevor wir den Dorfplatz erreichen hören wir die Stimmen der Soldaten. Sie sind bereits eingetroffen, eher als sie es sonst taten.
Auf dem Platz stehen die Dorfbewohner im großen Kreis um zwei duzend Soldaten. Die Spannung ist beinahe greifbar. Wir haben bei weitem nicht die geforderte Menge Fisch gefangen und das ist ein Verstoß gegen die Königlichen Gesetze in diesem Land.
Die Gesetze gelten für alle Dörfer im Reich des Sommerkönigs. Jedes Dorf erbringt Güter, welche von den Soldaten regelmäßig abgeholt werden und zum König in die Hauptstadt gebracht werden. Bei uns werden die Fische übers Meer zur Stadt gebracht. Wenn die Bewohner in der geforderten Zeit nicht genügend geerntet, hergestellt oder gefischt haben folgen Konsequenzen. Diese bestehen meist darin, dass wir weniger Nahrung bekommen, doch je nach Bedarf in der Hauptstadt Arvos werden auch Kinder der Dorfbewohner mitgenommen. Sie landen dann als Dienstboten oder Soldaten eingesetzt im Schloss.
Die Soldaten des Sommerkönig kommen alle drei Tage zu uns, um den frischen Fisch abzuholen. Die letzten Wochen konnten wir nicht mal ansatzweise genügend fangen, was unteranderem an der jahrelangen Überfischung der Bucht liegt und an der Tatsache, dass wir mit unseren kaputten und schlecht ausgerüsteten Booten nicht weiter auf Meer rausfahren können.
Simons Vater, des Vorsprecher des Dorfes versucht bei jedem ankommen der Soldaten mit ihnen zu sprechen und für mehr Ausrüstung zu bitten. Vor wenigen Wochen haben sie ein junges Mädchen Namens Christy mitgenommen. Bisher haben wir noch keins der entführten Kinder eh wiedergesehen. Meistens kommt nach einigen Jahre die Nachricht das sie verstorben sind, bei dem Versuch zu Flüchten oder Ehrenhaft im Kampf für das Reich gefallen sind. Auch dieses Mal steht Marius vor den Soldaten und bemüht sich ihnen die Lage zu erklären.
„Wir können nicht genügend fangen, solange die Boote nicht repariert wurden." Erklärt Marius ruhig dem Soldaten in seiner glänzenden Goldenen Rüstung mit dem roten Siegel der Sonne auf der Brust. Der Soldat macht einen bedrohlichen Schritt aus Marius zu. „Es interessiert mich nicht im geringsten wie ihr euren Fisch fang, holt sie mit den bloßen Händen heraus oder tut sonst was, das ist nicht mein Problem." Seine Stimme ist herausfordernd, doch Simons Vater lässt sich darauf nicht ein. Er sieht dem Soldaten mutig ins Gesicht, obwohl dieser nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt steht. „Nun, mehr haben wir nicht und mehr wird es auch nicht werden, solange wir keine bessere Ausrüstung bekommen." Das Gesicht des Soldaten färbt sich rot und seine Geduld scheint am Ende. Er zieht sein Schwert aus der Scheide und hält es an Marius Kehle. Simon stürmt in den los, ich laufe hinter ihm her und versuche noch sein Hemd zu erwische, um ihn aufzuhalten, doch er ist zu schnell. „Lasst meinen Vater in Ruhe, er gibt sein bestes." Schreit Simon über den Dorfplatz. Der Soldaten sieht zu uns rüber. Er grinst gehässig zu uns und dann wieder zu Marius. „Ist das dein Sohn?" Fragt er den Mund zu einem lächeln verzehrt. Marius tut das einzig richtige und sieht auf den Boden. Der Soldat wartet die Antwort nicht ab, steckt sein Schwert zurück und dreht sich zu seinen Leuten um. „Wir fahren zurück, nehmt den Jungen mit."
Ich schreie und renne zu Simon, doch bevor ich ihn erreiche greifen mich zwei starke Arme um die Taille und halten mich zurück. Marius versucht mit aller Macht den Soldaten zu packen, damit er ihm zuhört und er ihn umstimmen kann. Doch der Soldat holt aus und schlägt Marius in Gesicht, der sofort zu Boden geht und sich nicht mehr rührt. Simon wehrt sich und schlägt um sich. Die Soldaten packen ihn, als würde er kaum etwas wiegen und schleppen ihm zurück zum Strand, die Rampe herauf auf ihr Schiff. Ich schreie noch bis das Boot in Richtung Sommerschloss davon fährt.
Als ich mich beruhige und mich umdrehe, um zu sehen wer mich festgehalten hat, sehe ich meinen Vater. Er weiß wie viel mir Simon bedeutet, ich habe mein ganzes Leben mit ihm verbracht. Also sehe ich in seinen Augen meinen Schmerz.
Ich halte es nicht aus hier zu stehen und das Schiff verschwinden zu sehen mit samt meinem besten Freund darauf. Schon als kleine Kinder haben wir uns geschworen uns in so einem Fall nicht im Stich zu lassen. Ich renne nach Hause, noch völlig panisch und aufgeregt von dem gerade geschehenen. Ich packe meinen Beutel und fülle ihn mit allem Lebensnotwenigen Dingen. Ich werde auf meiner Reise zur Hauptstadt so viel Nahrung benötigen wie ich finden kann, um Simon zurück zu holen.
