Ruth

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Eadlyn stand am Fenster in ihrem Vorzimmer. Sie hatte mich noch nicht bemerkt, aber ich beobachtete sie schon eine kleine Weile von meinem Posten am Türrahmen. Die weißen Möbel leuchteten sanft im Licht des späten Nachmittags und sie sah unglaublich friedlich aus, wie sie da so aus dem Fenster starrte mit einem wehmütigen Gesichtsausdruck. Es schien ein Tag wie jeder andere zu werden, an dem die Sonne lachend ihre Strahlen durchs Fenster schickte und die Staubkörner in der Luft zum tanzen brachte! Für sie war der Tag für heute schon zu Ende und ich beneidete sie um ihr Geschick sich aus diesen Versammlungen rauszuhalten. Meine Schwestern und ich mussten hingegen noch für ungefähr eine Stunde an der Ratssitzung teilnehmen; ich war froh mich dieser Mühseligen Versammlung für Fünf Minuten entzogen zu haben. Es wurde immer zu das Gleiche von Mund zu Mund weitergegeben und so lange besprochen, bis sich die Wörter zu schwer anfühlten, um sie auszusprechen. Es war immer dasselbe und heute war es nicht anders; Eadlyn war schlau genug, das vorher zu erkennen. Ihr Blick viel auf das prachtvolle Piano in der Mitte des Raumes mit seinen edlen goldenen Verzierungen und ich sah in ihrem Gesicht, wie sie überlegte, ob sie nicht spielen sollte. Dann ließ sie ihren Blick weiter wandern und als sie bei mir angekommen war, stutzte sie. ,,Was tust du hier, Ruth?" fragte sie mit ihrer leisen, angenehmen Stimme. Früher hatte sie mir noch vorgelesen, bis ich eingeschlafen war, aber mittlerweile waren wir wohl beide zu alt dafür. Ich seufzte kurz, ermahnte mich dann aber, mich zusammenzureißen,,Ich wollte gerade im Hofgarten spazieren gehen, das Wetter ist so schön! Aber ich habe keine Lust mich jetzt wieder umzuziehen!" fuhr sie sanft fort, als ich nichts sagte. Es war echt eine Kunst, die Stirn so stark zu runzeln und trotzdem so zu reden, als wäre alles in bester Ordnung. ,,Nun, ich denke du hast Recht, wenn du sagst, du kannst so nicht rausgehen" lächelte ich und musterte sie. Meine große Schwester trug nur ein dünnes weißes Kleid, das am Rücken geschnürt wurde und um ihre Taille lag ein mit funkelnden Perlen besetzter Gürtel. Ihre Brust wurde von feiner Spitzenarbeit versteckt und es war eigentlicheine Schande, dass sie dieses Kleid nur in ihren Gemächern tragen durfte. Meiner Meinung nach, musste sie dringend etwas rebellischer werden, denn bis auf den dünnen Stoff und das gewagte Dekollte , war das Kleid sehr ausgehfähig! Vor zwei Jahren hatte ich auch endlich durchgesetzt, dass ich mit kurzen Kleidern rausging und nach dem anfänglichen Schock, interessierte es jetzt niemanden mehr, ob mein Kleid bis zum Boden oder bis kurz über die Knie ging.

Eine Bewegung holte mich wieder ins Hier und Jetzt zurück und ich beobachtete Eadlyn, wie sie sich ans Piano setzte und erfurchtsvoll über das glatt polierte weiße Holz strich. . Die Noten lagen schon bereit, doch Eadlyn schien sich nicht für die berühmte Komposition zu interessieren. Verwirrt runzelte ich die Stirn und sah zu wie sie die Tasten nacheinander hinunter drückte und eine Melodie entstand. Das Stück war wunderschön, die sanften Klänge schwebten wie Schmetterlinge durch den Raum, wurden zu einem Lufthauch und verwandelten sich in summende Bienen, deren Musik immer weiter anschwoll. Als sie geendet hatte, blickte sie mich unsicher an und lächelte nervös. Gerade als ich sie danach fragen wollte, öffnete sich jedoch die doppel-flügige Tür mit einem leisen Quietschen und ein schnaufender Sir William stolperte herein. Ich konnte nicht anders als die Augen zu verdrehen. Eadlyn sprang sofort auf, um ihn in Empfang zu nehmen und blickte unseren Butler erwartungsvoll an. ,,Ruth" schnaufte er und sah mich stirnrunzelnd an ,,Sie müssten doch in der Versammlung sein!" . Ich sah bedauernd zu Eadlyn, da ich ahnte, dass er mich gleich zurück schicken wird. ,,Was machst du also hier, William?" fragte Eadlyn und legte den Kopf leicht schief. ,,Der König hat mir aufgetragen , etwas von seinem Schreibtisch zu holen" erklärte er und ich wandte im jetzt meine komplette Aufmerksamkeit zu. Meine Stirn legte sich in Falten und ich wurde ein wenig misstrauisch. Mein Blick huschte kurz zu Eadlyn, die auch näher gekommen war und ein Abbild meines eigenen Gesichtsausdrucks hatte. ,,Also was machst du hier bei Eadlyn, wenn du doch etwas von Vaters Schreibtisch holen sollst, der wohlgemerkt nicht in diesem Flügel des Schlosses ist!?" sagte ich zu ihm und verengte die Augen.

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