"Naiv ist nicht, wer an das Gute in Menschen glaubt, sondern wer das Schlechte in ihnen ignoriert."
____________________________________________"Prima, Kiara. Die beste Note in der Arbeit - mal wieder." Herr Akay lächelte mir zu und legte meine Matheklausur vor mir ab. Eine große Eins Minus prangte unten auf der letzten Seite, als ich sie durchblätterte. Ich sah zu Charlie, meiner besten Freundin, die traurig auf ihre Klausur starrte. "Carlota, nicht so doll diesmal. Da muss noch mehr kommen, damit es für den Dreier im Zeugnis reicht." Herr Akay lief weiter.
"Scheiße", murmelte Charlie und stopfte die getackerten Blätter in ihre Mappe. "Was ist es geworden?", flüsterte ich ihr zu und schob auch meine Klausur in meine Mappe. " 'ne Vier Minus. Ich bin wieder schlechter geworden." Mitfühlend legte ich meine Hand auf ihren Arm. "Nächstes Mal lernst du einfach mit mir, so wie ichs dir angeboten hab. Und zum Trost zahl ich dir heute dein Mittagessen, in Ordnung?"Als der Gong nach der letzten Stunde Englisch ertönte, beeilten Charlie und ich uns, um den Bus noch zu erwischen. Beinahe wäre er abgefahren, hätte ein großer, gutaussehender Junge ihn nicht auf uns hingewiesen. "Danke", keuchte ich und lächelte ihn an, während Charlie schon den Gang entlang lief. "He, Mädels eure Fahrkarten!", rief der Busfahtrer uns hinterher, doch wir rutschten schon auf unseren Platz in der fünften Reihe. "Mensch, Al, mittlerweile kennen Sie unsere hübschen Gesichter doch, oder?", fragte Charlie grinsend. Alfred drehte sich nur kopfschüttelnd um, doch ich sah, dass er schmunzeln musste.
Seufzend sprangen wir aus dem Bus, nachdem er am Marktplatz angehalten hatte. "Bis später, Al", riefen wir und schlugen den Weg zu unserem Lieblingsrestaurant ein, der zufällig auch Carlotas Eltern gehörte. Wir mussten dennoch bezahlen, bekamen es aber billiger. Ich drückte die Hintertür zur Küche auf und legte meinen Rucksack auf eine Bank in der Ecke. "Hola, Papá!", rief Charlie und drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. Im la ola gab es einen Mix aus spanischen und mexikanischen Spezialitäten, da Charlies Papa Spanier und ihre Mama Mexikanerin war.
"Hallo Lorenzo", begrüßte auch ich ihren Vater und folgte dann Charlie hinter die Theke. Ihre große Schwester war gerade dabei, ein paar Getränke abzuzapfen und lächelte uns zu, als wir uns jeweils ein Glas nahmen und sie füllten. "Hi, María.", begrüßten wir sie und gingen in die Küche zurück.
"Chicas, was wollt ihr essen? Lota, du wieder Tapas? Und Kiki, vegetarische Tacos, ja?" Genervt knallte Charlie ihr Glas auf den Tisch. "Dios mío, Papa, wie oft hab ich dir gesagt, du sollst mich nicht Lota nennen." Genervt verdrehte sie die Augen und stapfte in den Gastraum hinaus. Ich sah ihren Vater schulterzuckend an und eilte hinter meiner Freundin her. Ich wurde ein wenig sauer, schließlich konnte keiner etwas für ihre schlechte Laune. Vor allem ihr Papa tat mir Leid, denn ich mochte ihn sehr; bei der Familie war ich immerhin schon immer willkommen gewesen.Den Mund voll mit Tapas stieß Charlie schmerzhaft ihren Fuß gegen meinen. "Aua, spinnst du? Was soll das denn?", schnauzte ich sie an. Mit weit aufgerissenen Augen nickte sie mit dem Kopf hinter mich und schluckte hektisch ihren Bissen hinunter. "Aah, dios, war das heiß. Kiki, der heiße Typ dahinten starrt dich schon die ganze Zeit an. Ist das nicht dieser Leo aus der Zwölften. Mensch, jetzt schau doch mal." Vorsichtig wagte ich einen Blick über meine Schulter und tatsächlich - ein großer, dunkelhaariger Typ lächelte mich freundlich an und zwinkerte mir zu, bevor er sich wieder seinem Essen zuwandte. Ich erkannte ihn als den Jungen wieder, der uns im Bus die Tür aufgehalten hatte. Ich spürte, wie ich rot wurde und wandte mich wieder meiner Freundin zu. "Bist du jetzt wieder besser drauf?", fragte ich sie, obwohl ich ganz genau wusste, dass Essen ihre Laune immer hob. "Lenk nicht so ab", grinste sie und leckte einen Krümel von ihrer Lippe. "Ich hab genau gesehen, wie rot du geworden bist." Ich versuchte vergeblich, mich hinter meinem Taco zu verstecken und grinste ertappt. "Stimmt doch gar nicht", murmelte ich, biss ein Stück von meinem Essen ab und wagte einen erneuten Blick über meine Schulter. Zufällig sah auch Leo wieder zu mir und lächelte, als er meinen Blick bemerkte. Ich versuchte ein schiefes Grinsen, bemerkte jedoch, dass mein ganzer Mund voll war mit vegetarischem Taco und verschluckte mich erstmal. Hustend drehte ich mich um und schickte Charlie, die prustend und lachend vor mir saß, einen giftigen Todesblick. "He, Latina, krieg dich wieder ein, sonst hab ich dir zum letzten Mal dein Essen gezahlt." Charlie versuchte stark, sich zusammenzureißen, aber es gelang ihr nur halb. Immernoch kichernd stopfte sie den letzten Bissen ihrer Tapas in sich hinein und stand dann auf, um sich noch ein weiteres Getränk zu holen.
Ich fuhr ungestört mit Essen fort und checkte währenddessen ein bisschen die Hauptseite von Instagram, als sich plötzlich ein Schatten über mich legte, weil sich jemand mir gegenüber gesetzt hatte. Erst dachte ich, Charlie sei zurück, aber eine wesentlich tiefere Stimme begann zu sprechen. "Hey" sagte ein ziemlich sehr gut aussehender Junge vor mir und ich wäre beinahe schon wieder an meinem Taco erstickt, als ich sah, dass Leo vor mir saß und mich, nach vorne gelehnt, angrinste. "Äh, hey" krächzte ich und nahm schnell einen Schluck von meinem Eistee. Leo vor mir grinste. "Mit dem Schlucken hast du's wohl nicht so, was?" Er lachte leise und ich verschluckte mich zum dritten Mal, diesmal an meinem Eistee. Ich wollte eben etwas s-u-p-e-r schlagfertiges erwidern, als Charlie gottseidank wieder auftauchte. "Kannst du mit meiner Freundin vielleicht auch normal flirten?" haute sie raus, setzte sich auf den Stuhl neben ihm und schlürfte genüsslich ihren Kaffee aus ihrem Strohhalm, der mehr einem Silikonschlauch glich als einem Trinkhalm. Leo lachte nur und nahm sich unverfroren mein Handy, was immernoch vor mir auf dem Tisch lag. "Ähm, hallo, geht's noch?" fragte ich empört und versuchte, mir mein Handy zurückzuschnappen, doch er lehnte sich weit auf seinem Stuhl zurück, sodass ich es nicht erreichen konnte. "Meine Güte, dieser komische Android-Scheiß hier...", murmelte er leise, während er weiter auf dem Gerät herumtippte. Schließlich gab er es mir zurück und grinste schelmisch. Eilig grapschte ich danach und sah, dass das Tastenfeld geöffnet war und er eine Nummer eingetippt hatte. "Das ist meine Nummer." "Nein, sag bloß, wäre mir gar nicht aufgefallen." antwortete ich. "Hast ja auch nicht groß und fett Leo mit Herz-Emoji drüber geschrieben." Leo lachte auf, während er aufstand. "Ruf mich mal an" sagte er über die Schulter. "Du bist ziemlich süß, vorallem wenn du dich aufregst." Dann legte er einen Schein auf den Tresen, rief Charlies Schwester ein 'Passt so' zu und verschwand durch die Tür. Entgeistert sah ich ihm nach, bevor ich meinen Blick wieder Carlota zuwandte, die mich über beide Ohren angrinste und aufgeregt auf ihrem Stuhl herumwippte. "Dios mío, Kiki, bist du ein G-l-ü-c-k-s-p-i-l-z!"