„Du bist wirklich der unromantischste Mensch auf diesem Planeten Abby", stöhnte Josh und lies sich rückwärts auf mein Bett fallen. Ich warf mich bäuchlings neben ihn. Ich liebte diese gemütlichen Nachmittage mit meinem Nachbar. Wir hörten gute Musik, redeten über alles mögliche oder schwiegen einfach nur gemeinsam. Im Moment lief im Hintergrund Don't Stop Believin' von Journey und Josh versuchte mir klarzumachen warum meine Denkweise falsch war. „Ich bin nicht unromantisch, ich bin realistisch", murmelte ich.
Ich wusste von meiner Urgroßmutter, deren Geschichten ich als kleines Mädchen fasziniert gelauscht hatte, dass das System, welches ich heute kannte, in ihrer Jugend noch nicht existiert hatte. Das hochkomplexe technische System, von dem keiner so genau wusste wie es funktionierte. Alles was ich wusste, war, dass es mithilfe der Mikrochips in unseren Unterarmen und einer riesigen Datenbank, jeden potenziellen Partner, mit dem wir in Kontakt kamen, auswertete und, sollte es sich um den perfekten Partner handeln mit dem man den Rest seines Lebens verbringen würde, uns ein Signal geben würde. Das System hatte sich noch nie geirrt. Voller Ehrfurcht dachte ich an die Rede des Entwicklers des Systems, die uns Jugendlichen jedes Jahr auf der großen Versammlung vorgespielt wurde.
„Ihr seid jung und eure Hormone spielen verrückt, das ist normal und ein Teil des Erwachsenwerdens, aber auch wenn ihr euch Hals über Kopf verliebt, muss euch bewusst sein, das System täuscht sich nie. Es gab schon viele vor euch und es wird sicherlich noch einige geben, die der irrigen und sehr naiven Annahme waren und sein werden, dass ihre Liebe das System besiegen kann. Tut wonach euch der Sinn steht, mach Fehler, aber macht euch bewusst, dass eine Beziehung mit dem falschen Partner eine unnötige Verschwendung eurer Zeit und eurer Emotionen ist und zwangsläufig mit einem gebrochenen Herzen enden wird" Genau diesem Leitfaden folgte ich nun seit 6 Jahren, seit ich mit 10 die Rede zum ersten Mal gehört hatte.
Und im Gegensatz zu meinen Freunden, die meine Regel „Keine romantischen Gefühle für niemanden außer dem richtigen Partner" kopfschüttelnd abtaten und sich reihenweise das Herz brechen ließen, ging es mir äußerst gut damit. Es war einfach nur unnötig, jemanden in mein Leben zu lassen, mit ihn Gefühle, Geheimnisse und Erlebnisse zu teilen nur um dann enttäuscht zu werden. Wir würden uns gegenseitig verletzten und überhaupt, was hatte es für einen Sinn mich einer Person zu öffnen, wenn ich genau wusste, dass aus uns nie etwas werden würde. „Aber das ist doch nicht wichtig, dass man für immer zusammenbleibt du Stein" ,verteidigte Josh, der hoffnungslose Romantiker seine Meinung. „ Ihr werdet doch trotzdem eine schöne Zeit haben, du wirst glücklich sein, er wird glücklich sein, ich meine, alles ist vergänglich, ja, aber es ist doch furchtbar diese ganzen schönen Erfahrungen gar nicht erst zu machen, einfach weil danach schlechte folgen werden. Das ist ziemlich traurig um ehrlich zu sein. Und ich glaube du hast einfach nur Angst." neckisch grinste er mich an. „Entschuldige mal" mit gespielter Beleidigung sah ich an, doch nach einer Sekunde musste ich lachen, so wie Josh zu mir aufsah, mit seinen verwuschelten Haaren und seinen glitzernden blauen Augen war er einfach zu süß. Warte was? Süß? Oh nein, ich wusste genau in welche Richtung sich diese Gedanken entwickeln würden, aber das würde ich nicht zulassen. Um mich von diesem Gedanken abzulenken, warf ich ihm ein Kissen an den Kopf, was sich schnell zu einer wilden Kissenschlacht entwickelte. Als wir uns Minuten später nebeneinander auf den Boden fallen ließen, umgeben von den unzähligen Kissen die sonst in meinem großen Bett lagen, und Josh mich außer Atem angrinste, spürte ich, wieder dieses warme Gefühl in mir aufsteigen.
Und später, als er gegangen war, setzte ich mich sofort an meinen Schreibtisch und schnappte mir entschlossen einen Stift und ein Blatt Papier. Ich musste dringend verhindern, dass ich mich in Josh Miller verliebte. Und dafür würde ich den besten 3-Phasen-Anti-Verliebtheits-Plan entwerfen, den die Welt je gesehen hatte, todsicher und unter allen Umständen wirksam.
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Mein grandioser 3-Phasen-Anti-Verliebtheits-Plan war gnadenlos gescheitert. Nach einem Monat musste ich das jetzt wohl einsehen. Jedes Mal wenn ich Josh sah, spürte ich dieses aufgeregte Kribbeln im Bauch und ich dachte an so unsinnige Dinge, wie ihn zu küssen. Da half jetzt nur noch eins. Ich zog mir meine Jacke über, schnappte mir meinen Schlüssel und rief eine kurze Verabschiedung in Richtung Küche, wo ich meine Mutter vermutete. „Wo gehst du hin?" Sie steckte kurz ihren Kopf in den Flur. „Zu Geraldine" Dann musste mir meine Urgroßmutter jetzt eben erzählen, was für ein Chaos das damals war, wenn einfach alle falsche Personen geliebt hatten, vielleicht würde mein Kopf dann wieder anfangen realistisch zu denken.
„Wieso denn die falschen, mein Herz?" fragte sie mich, als ich ihr mein Anliegen vorbrachte. „Liebe kennt kein richtig oder falsch. Liebe passiert. Und natürlich tut es auch mal weh, das gehört dazu, man macht Fehler, man verletzt sich, man verzeiht. Liebe macht dein Leben bunter, mit jedem Atemzug den du machst und jedem Schritt den du gehst. Liebe sprengt jedes System, glaub mir Kindchen, wer liebt, der ist reich und dieser Reichtum kann dir auch dann nicht wgenommen werden, wenn die Liebe verschwindet. Du wirst für immer die Erinnerungen behalten und, wenn es hässlich enden sollte, dann wirst du stärker und reifer aus der Sache hinausgehen. Liebe, mein Kind, ist wie eine Seifenblase. Bunt schillernd, in Farben, die wir einem Menschen, der nie eine Seifenblase gesehen hat, nie beschreiben werden können. Und unendlich fragil, wir müssen darauf aufpassen, uns um sie kümmern, dass sie nicht zerplatzt. Aber, wenn wir Glück haben, dann fliegt sie in den blauen Himmel, schwerelos, berauschend, magisch und atemberaubend schön, bevor sie zerplatzt. Ich will dir kein falsches Bild machen, die meisten Seifenblasen platzen irgendwann. Aber alles, was davor passiert, das ist es wert gefühlt zu werden. Das ist das Leben."
Diese Fülle an unerwarteten Informationen musste ich erst ein mal verarbeiten. Eine nur allzu vertraute Person begann mir durch den Kopf zu gehen. Doch anders als sonst, schob ich ihn nicht weg, sondern fühlte in mich hinein. Und jetzt erkannte ich, dass dieses Gefühl in mir Sehnsucht war. Ich wollte nicht mehr nur mit Josh befreundet sein, ich wollte seine Freundin sein. Wollte mit ihm die bunte Verrücktheit des Lebens genießen, wollte mit ihm unserer Seifenblase beim fliegen zusehen, wollte mit ihm ihren schwerelosen, berauschenden, magischen und atemberaubend schönen Flug zusehen, mit seinen Aufs und Abs. Entschlossen stand ich auf. Meine Urgroßmutter lachte leise. „Na los, geh zu deinem Jungen. Und vergiss nicht, die Schönheit der Seifenblase wertzuschätzen. „ „Danke Oma" Ich hauchte ihr noch ein Küsschen auf die Wange, dann lief ich hinaus. Als ich an der Bushaltestelle ankam und bemerkte, dass der nächste Bus erst in einer halben Stunde fahren würde, beschloss ich, zu laufen. Ich war so voller Energie wie schon lange nicht mehr.
Es fühlte sich an, als wäre in meiner Brust ein mit Helium gefüllter Ballon gefangen, und ohne dass ich es verhindern konnte, fühlte ich ein Kichern in mir aufsteigen, unfähig es zu unterdrücken. Und so begann ich zu lachen um die Leichtigkeit herauszulassen und ich glaube hätte ich nicht gelacht, dann wäre ich einfach davongeflogen. Wäre in den leuchtenden Himmel aufgestiegen, immer höher, der untergehenden Sonne entgegen. Ich konnte es jetzt nicht mehr erwarten, zu Josh zu kommen, also begann ich zu rennen. Rhythmisch trommelten meine Schritte auf den Boden, untermalt von fröhlichem Gelächter und ausgelassenen Unterhaltungen der Menschen, die an den Tischen entlang des Flusses Eis aßen. Die Sonne schien wärmend auf mein Gesicht und ich hätte nicht glücklicher sein können, da ich jetzt begriffen hatte, was das Leben wirklich lebenswert macht. Als Josh mir schließlich die Tür öffnete, begann ich außer Atem zu reden „ Josh ich will, dass wir gemeinsam unserer Seifenblase beim Fliegen zusehen und ihre Schönheit wertschätzen, so lange bis sie platzt, was hoffentlich nicht allzu bald sein wird, weil ich dich nämlich wirklich mag und wir müssen gemeinsam..." da unterbrach Josh meinen Redefluss, indem er seine Lippen auf meine legte und mich küsste. Ich hob meine Arme und schlang sie um seinen Hals um ihn näher zu mir zu ziehen. Da unterbrach er den Kuss und sah mich ernst an „ Wir werden uns das Herz brechen." „Ich weiß", antwortete ich und küsste ihn wieder, intensiver. Und ich wusste, das war der schönste Fehler meines Lebens.
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Small Universes ~Kurzgeschichten
Short StoryKurgeschichten. Kleine Universen, die zu klein waren, um den Weg in ein eigenes Buch zu finden, werden hier gesammelt.