Die Liebe eines Kindes

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Es war einmal

Es war einmal in einem Land voller Daunenfedern und wilder Träume. In einem Land voller leuchtendheller Fantasien und dunkelgrauer Abgründe.

Ganz weich war es dort. So weich, wie ein Kind es nur haben kann, dass gerade in einem Zug Richtung Eisberge fährt. Oder vielleicht fliegt es auch, gerade hinweg über den Atlantik. Vielleicht erlebt es gerade eine Safari in der wilden Savanne Afrikas oder es genießt einen Badeurlaub mit der Familie mit anschließender Verbrecherjagd quer durch das ganze Land.

Es war ruhig an diesem Ort. Jeden Abend, wenn Nala eingeschlafen war sah Brummi ihr zu. Brummi, so hatte Nala ihn getauft. Ein kleiner, etwas pummliger, rot angezogener Stoffbär, mit einer Mütze und niedlichen Knopfaugen.

Jeden Abend um Punkt acht, sah er ihr beim Träumen zu und stellte sich vor, was die kleine Nala gerade alles erleben durfte.
Jeden Abend um Punkt acht, sagten ihr ihre Eltern gute Nacht. „Träum schon Nala, boa noite.", sagte ihre Mutter immer.
„Boa noite." Die letzten Worte die das Mädchen im roten, mit Herzen geprinteten Piyama hörte, bevor sie friedlich einschlummerte, nur um sich im nächsten Moment in irgendein Abenteuer zu stürzen.
Nachdem die Eltern gegangen waren und die Türe sich hinter ihnen schloss, kehrte Ruhe in ihr Zimmer. Manchmal fiel jedoch noch ein kleiner Lichtstrahl durch die Jalousie.
Man hörte einen letzten Vogel sein Abendlied singen, bevor auch er sich in seinem Nest verkroch und alles dem stillen, rythmischen Atem der Nacht lauschte.
Am liebsten würde Brummi ihr auch manchmal einen Gute-Nacht-Kuss geben. Genau dort, wo dieser schmale, aber unverkennbare, goldene Lichtstrahl über die Bettdecke, über das Kissen bis hoch zu ihrer Wange kroch.
Genau dorthin wollte er sie schon an so manchem Abend ganz sanft küssen und ihr ebenfalls sagen: „Boa Noite, Nala."
Aber das konnte er natürlich nicht, denn dann würde sie aufwachen.
Es gab aber auch schon Abende, an dem er wirklich überlegt hatte, es einfach zu machen, ganz egal, ob sie aufwachte. Es wäre ihm sogar gerade recht gewesen, wenn sie das süße Traumland durch seinen bärigen Kuss hätte verlassen müssen. So neidisch war er manchmal darauf, was sie jetzt alles erleben durfte. Denn lieber Leser, Stoffbären können nicht träumen.

Sie sind immer wach, Tag und Nacht. Und dürfen nie weg von dort, wo sie sind. Klar können sie sich auch bewegen, wenn sie sicher sein können, dass niemand sie sieht. Aber von einem Abenteuer wie das, was Nala jeden Abend erleben konnte, tja...davon konnte er eben nicht mal träumen!

Also verließ er sich ganz auf ihre Erzählungen am nächsten Morgen. Überwiegend waren es schöne Dinge, aufregende Sachen. Manchmal erzählte sie auch von weniger schönen Dingen. Eine Freundin hatte sie geschubst oder sie hatte etwas nicht wiederfinden können.
Von den ganz schlimmen Träumen musste ihm Nala jedoch nicht erzählen. Das wusste Brummi sofort, wenn sie in der Nacht mit Decke und Kissen in das Zimmer ihrer Eltern schlich und sich dort neben ihre Mutter kauerte.

Zum Glück, war Brummi jedoch an diesen Abenden nie allein. Neben ihm saßen Felix, eine alte Freundin mit langen Hasenohren, eine Giraffe, sein bester Freund, seine Schwester Lucy, auch eine kleine Bärin und noch jede Menge andere Stofftiere, die alle ihren festen Platz in Nalas Bett hatten.

Die meisten von ihren waren an Geburtstagen und Feiertagen in die Gruppe gekommen. Immer wieder sah man plötzlich neue Gesichter.

Doch ihn hatte sie gewollt. Ihn hatte sie ausgesucht und gueqengelt im Laden, als man ihn ihr nicht holen wollte, obwohl das nie ihre Art gewesen war.
Die Geschichte hatte Brummi immer und immer wieder von Nalas Mutter gehört, meistens wenn sie Nala zudeckte und ihr Brummi unter ihrer Decke auf die Brust legte. Auf diese Geschichte war er sehr stolz. Er war auserwählt worden und er gehörte zu Nala, das wussten alle. Es gab keine Nacht, in der er nicht an vorderster Front an ihrer Seite schlafen durfte. Dafür duldete er sogar, dass sie ihn manchmal im Schlaf überrollte. Nala war eine furchtbar anstrengende Schläferin.
Aber das war ihm egal. Denn die Liebe, die dieses Mädchen ausströmte, überwog alles andere. Die Liebe, die er jeden Abend spürte, wenn ihre Eltern ihr den letzten Kuss vor dem Zubettgehen gaben. Diese Liebe, die sie dann an ihn weitergab. Und die Hingabe, mit der sie jedem von ihnen einen gute Nachtkuss gab, bevor sie sich dann schlafen legte.
Das war es, warum Brummi so froh war, an ihrer Seite zu schlafen. Denn auch er liebte sie, auch wenn er es ihr nie sagen konnte. So vieles hatten sie schon zusammen durchgemacht. Sie hatten zusammen gemalt, Teekränzchen mit den anderen gehalten, sie hatten zusammen geweint und gelacht über Freunde und die, die es nicht mehr waren. Einige von ihnen hatte er sogar kennengelernt, wenn sie zu Besuch waren.
Er war aber auch selbst viel zu Besuch.
Damals im Kindergarten, war er jeden Tag mit Nala zusammen. Nie wäre sie ohne ihn gegangen, das hatte sie versprochen. Als die Erzieherin es für besser hielt ihn zu Hause zu lassen. „Wir wollen doch nicht, dass er geklaut wird?"...Als hätte er sich jemals von ihr trennen lassen... Da musste sie ihn in einem Holzspint zurücklassen. Aber in jeder Pause kam sie ihn besuchen nur um ihn anzulächeln und von ihrem Tag zu erzählen. Manchmal brachte sie ihm auch Felix mit, damit er in dem dunklen, kleinen Raum Gesellschaft hatte.

Die Liebe eines KindesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt