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„Hältst du das kurz, bitte?" Jargo reichte Wira ein schweres Kabelbündel. Seine Hand strich wie zufällig über ihre. Sie saßen auf dem abgenutzten Boden seines kleinen Apartments, nur erleuchtet von ein paar flackernden Kerzen. Jargo war ein altmodischer Mann, dachte Wira und beobachtete seine flinken Hände bei der Arbeit. Sein dunkles Haar fiel ihm in die Stirn, seine blauen Augen blitzten angespannt. „Zwinge?", fragte er und griff in die Luft. „Hey", sagte er und wandte sich an Wira, „Pass mal besser auf, bitte!"

„Entschuldige", murmelte Wira und suchte zerstreut im rostigen Werkzeugkasten. Sie war in Gedanken versunken. Jargos Apartment war klein und dunkel, die Wände Schwarz gestrichen, mit Fenstern, die immer offen standen. Ein kühler Windhauch zog durch den Raum. Wira erschauderte und drückte ihre Jacke enger an sich. Wehmütig reichte sie Jargo die Schraubzwinge und er nahm sie wortlos entgegen. Einige Minuten beobachtete sie sein stilles Arbeiten. Von Draußen wehten leise Geräusche herein, vermutlich das nächtliche Treiben auf dem Marktplatz. Doch im sechsten Stock wurden die Geräusche zu einem unverständlichen Wirrwarr. In Jargos Apartment spielte leise Musik in einer Sprache, die Wira nicht verstand. Aus einem kleinen Lautsprecher drangen tiefe, basslastige Töne. Wira richtete sich langsam auf und streckte sich. Sie hatten schon seit Stunden an dem Transmitter gearbeitet. Es war Zeit für eine Pause. Sie wanderte durch den kaum erleuchteten Raum, sah Jargo immer noch angestrengt Kabel verdrehen. An den Wänden hingen alte Maschinenteile, sogar Artefakte von vergangenen Zeiten: Ein veraltetes Radio, nur durch ein paar dünne Drähte zusammengehalten. Ein altmodisches Handy, das Display zerkratzt und zersplittert.

Hinter sich hörte Wira das leise Klicken eines Feuerzeugs. „Wo ist der Aschenbecher?", murmelte Jargo mit einer Zigarette zwischen den Zähnen. Seine Hände durchwühlten den Elektroschrott zu seinen Füßen. „Ah!", sagte er leise und pustete ein wenig Rauch in die Luft. Er war ein selbstbewusster Mann. Lehnte sich entspannt zurück, wenn er seinen Fix bekam. „Wie lange bist du jetzt hier?", fragte er mit einem leichten Lächeln. Wira lehnte sich gegen eine Werkbank, beobachtete ihn. „Du weißt doch, dass ich erst seit ein paar Monaten hier bin. Was willst du wissen, Jargo?" 

Jargo war Bewohner der Dunklen Stadt aus zweiter Generation. Er war hier geboren wurden, seine Mutter seit Jahren tot. Jargo war farbenblind, sah nur Schwarz und Weiß – die Welt wie in einem alten Stummfilm, wie sie vor Jahrhunderten einmal gedreht wurden.

„Planst du, jemals zurückzugehen?", fragte Jargo und zog an seiner Zigarette, „Nach oben, meine ich." Er hatte ein besonderes Talent dafür, unangenehme Fragen zu stellen. Wira schüttelte langsam den Kopf, blieb stumm und lief sich auf ein verschlissenes Sofa in Nähe eines Fensters sinken. „Ich werde mich hinlegen", sagte sie gähnend, „Weck, mich wenn irgendwas ist." Sie sah Jargo nicken und geschäftig ein paar Kabel sortieren. „Ich denke, das wird noch dauern", murmelte er konzentriert.

In ihren Träumen lebte Wira noch immer bei den Autorities. Sie war nicht sicher, ob diese Träume jemals aufhören würden. Es waren Monate vergangen, seit sie ihr leben in den Hohen Villen aufgegeben hatte und doch schien die Sehnsucht nach diesem Leben nicht zu versiegen. Es war vermutlich besser so, dachte sie mit geschlossenen Augen, denn das Leben in den Dunklen Städten war einfacher. Gefährlicher, ja, aber hier zählte nur der Moment. Was morgen sein würde, zählte nicht. Denn man konnte nie wissen, ob man den Morgen erleben würde. Jeder neue Tag hier war wie ein Geschenk, irgendwie extra. Ein schönes Leben, dachte Wira lächelnd.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 24, 2020 ⏰

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