Auf dem Weg ins Ungewisse

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Meine Mutter sagte immer, dass es im Leben manchmal keine Umwege gibt. Man kommt mit gewissen Situationen zurecht, indem man den unangenehmsten Weg direkt hindurch nimmt. Und es dauerte eine ganze Weile, bis ich diese Aussage richtig verstand.
"Ihren Ausweis bitte."
Ich strecke dem müde aussehenden, geschätzt mitte 40 altem Kontrolleur meine Papiere vor die Nase. Er betrachtet mich mit einem skeptischen Blick, dann überfliegt er die Vor- und Rückseite des noch nach Tinte riechenden Ausdrucks einer Fotokopie von mir. "Chloé Lou Geller.." notiert er meinen Namen murmelnd und brummt noch etwas vor sich hin. Daraufhin läuft er bereits auch schon zum nächsten Reisenden hinüber. Wie viel zu simpel und gewöhnungsbedürftig dieser Name doch war. Aber ist ja bloss vorübergehend.
Ich atme tief durch und sehe mich um. Mein Blick bleibt am Fenster hängen. Die Landschaft beginnt sich bereits zu verändern, oder vielleicht fällt es mir bloss besonders auf weil ich so angespannt bin. Der Tag neigt sich dem Ende zu und die letzten Sonnenstrahlen fallen auf die vorüberschweifenden Laubbäume. Meine Reise hat begonnen, mein langersehnter Traum wird gerade zur Realität. Gibt es wirklich so viel zu fürchten oder bin ich einfach zu pessimistisch? Ich hole meine Thermosflasche aus dem Rucksack und nehme einen grossen Schluck Kaffee. Das einzige was mir für die nächsten paar Stunden noch zu trinken bleibt. Er ist noch heiss von zu Hause und ich kann den Haushonig meiner Grosseltern förmlich herausriechen. Ja, ich süsse meinen Kaffee mit Honig. Eine gewisse Melancholie umgibt mich. Ich fühle mich, als würde sich jede Zelle in mir dagegen sträuben, jetzt in diesem Zug zu sitzen. Es wäre wohl zu komisch, von einen auf den anderen Tag sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen, ohne einen einzigen Blick zurück zu werfen, nicht wahr? Aber das wichtigste ist wohl nach vorne zu blicken und sich eine blendende Zukunft vorzustellen, wenn das in meinem Fall überhaupt noch möglich ist. Ich klinge schon fast wie eine Ausreisserin, welche heimgesucht wird. Mein Blick schweift wieder aus dem Fenster. Ich sollte mir etwas Schlaf gönnen, sonst wird meine Anspannung nur noch grösser.
Das einzig im Moment sichere worauf ich mich konzentrieren muss ist mein Ziel, Krim.
Auf nach Russland.

CelestineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt