Lublin, Polen

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Um es klarzustellen: ich bin keine Verbrecherin auf der Flucht. Andere würden sagen dass ich mein Leben von der falschen Seite angegangen bin und nun dafür büssen muss. Ich sehe das anders.
Ich bin viel mehr jemand, der eine einmalige Chance bekommen hat, neu anzufangen.
"Z drogi!" ruft ein vorbeirennender Mann mit einem breiten Koffer, gerade als er mich an der Schulter streift und mir mein Becher samt Kaffee auf den Boden fällt. Na toll, den wollte ich eigentlich noch trinken. Was solls, genug Koffein im Blut hatte ich bestimmt. Vielleicht wäre Wasser auch mal wieder eine gute Abwechslung. Nur hatte ich gerade weder Zloty im Portmonnaie noch sah ich eine Bank in der Nähe. Wie funktionierte das Finanzsystem in Polen auch schonwieder?
Ich entschied mich auf eine gewöhnliche Bahnhofsbank zu setzen, während ich eine kurze Internetrecherche über Lublin durchführte. Schliesslich würde ich nun einige Stunden hier verbringen. Mein nächster Anschluss, welcher mich bis an die Grenze zur Ukraine fahren würde war erst um 7:10 Morgens, was für mich bedeutete dass ich nun die Nacht mehr oder weniger hier verbringen musste. Ein Blick auf das riesige Ziffernblatt verriet mir, dass es gerade erst 1:30 Nachts war. Ungewöhnlich viele Menschen trieben um diese Zeit noch ihr Unwesen auf einem solchen Bahnhof. War das üblich so hier?
Geradeaus vor mir sehe ich einen kleinen Krämerladen in nicht grosser Entfernung, bloss ein paar leere Schienen ohne fahrende Züge stehen zwischen mir und der anderen Seite des Bahnhofes. Instinktiv überquere ich mit zwei kurzen Seitenblicken die Zuggleise wie eine Strasse. In meiner Heimat haben wir das als Kinder schon gemacht seit ich denken kann, nur dass sie bei uns kaum von irgendwelchen Zügen benutzt wurden und daher deutlich weniger Gefahr darstellten als diese Gleise. Kaum komme ich an meinem Ziel an und springe mit einem Ruck auf den hohen Absatz hinauf, klingelt es aus meiner Beuteltasche. Nach einem unüberzeugten aufklappen meines Handys stelle ich fest, dass dies die einzige Nummer ist, von welcher ich jetzt einen Anruf annehmen würde.
"Mum?"
"Ooh Celestine..-" eine erleichterte, mir sehr gut bekannte angenehme Stimme dringt durch den Hörer in mein Ohr.
"Du weisst schon, dass dich das eine Menge kosten wird? Haben wir nicht abgemacht,.." nun war sie wohl an der Reihe mit unterbrechen:
"Ja, ja, ich weiss mein Schatz aber ich wollte nur unbedingt deine Stimme wieder hören, die Aladuschki schmecken einfach nicht gleichgut ohne dich." Bei diesem Kommentar musste ich grinsen, sie klang mit ihren 38 Jahren gerade fast wie meine stets besorgte Grossmutter. "Hast du die, welche ich dir mit auf den Weg gegeben habe schon gegessen?" hackte sie nach. Ich konnte ihren typischen fragend-besorgten Gesichtsausdruck dank meiner starken Vorstellungskraft fast förmlich vor mir sehen.
"Jap, sind fast alle. Und hey, du brauchst dir keine Sorgen machen, ich bin jetzt in Lublin angekommen. Alles läuft wie geplant." beruhigte ich meine Mutter.
"Da bin ich erleichtert, trotzdem weisst du wie sehr es mich schmerzt, dich für eine so lange Zeit loszulassen, ja? Pass gut auf dich auf, meine kleine Lebenskünstlerin."
"Ach, ich weiss doch. Ich bin dir für deine Unterstützung so dankbar, aber ich sollte jetzt echt auflegen, mein Akku reicht sonst nicht bis morgen."
Nach einer kurzen Verabschiedung stellte ich mein Handy in den Flugmodus. Keiner soll mich jetzt bis zumindest 7:10 erreichen können, nichts soll diesem Plan in den Weg kommen. Eine einfache Ortung meines Handys könnte bereits alles durcheinander bringen, also bleibe ich lieber vorsichtig.
In diesem Augenblick riss mich erneut ein Klingelton aus meinen Gedanken.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 12, 2020 ⏰

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