Das Monster unter dem Bett

19 3 8
                                    

Juliette Erica Catherine Mereth-García hasste Umzüge. Sie hasste es, Kisten zu packen, alles aufzuräumen und an alles denken zu müssen. Jedes Detail an Umzügen war ein Graus für sie. Nichtsdestotrotz gab es aber eine Sache, die sie am meisten an dem Ganzen verabscheute: Der Abschied. Sie hasste es, jedes Mal aufs Neue neu anfangen zu müssen, alles, was sie lieben gelernt hatte, hinter sich lassen zu müssen. Sie scheute sich jedes Mal davor, ihr ehemaliges Zuhause ein letztes Mal durch die Fensterscheibe ihres Autos sehen zu müssen.
So verspürte sie auch dieses Mal Grauen, als ihre Mutter ihr mitgeteilt hatte, dass sie wieder einmal wegziehen mussten. Sie hatte sich schnurstracks auf ihr Zimmer verzogen, die Tür hinter sich zugezogen, nein, eher zugeschlagen, sich in ihre liebste Zimmerecke gesetzt und geweint. Sie wollte auf gar keinen Fall wegziehen, aber was ihre Mutter sagte, war Gesetz und sie wusste, dass sie nichts tun konnte, um sie umzustimmen. Es würde hart werden und viele Gespenster würden auf sie zukommen, das wusste sie natürlich. Aber wäre diese Aussicht es wert, sich direkt mit einem Drachen anzulegen?

Nein, definitiv nicht. Das war es sicher nicht.

Deshalb nahm die viereinhalb Jahre alte Juliette Erica Catherine Mereth-García es einfach hin. Sie hatte zu viel Angst, sich mit einem Drachen anzulegen, sie war doch noch klein und wollte eine Prinzessin werden und kein Ritter. Das war nur etwas für eklige Jungs mit dem Gehirn eines Kobolds!

Sie stand mit roten, geschwollenen Augen auf und verließ die wunderschönen, sonnengelben Wände ihrer Lieblingsecke und lief entschlossen zu ihrem schwarzen, eisernen Bett, um darunter ihren Koffer hervorzuholen. Jedoch zögerte sie und rutschte unbehaglich mit ihren zarten, kleinen Füßen in den unbequemen, pechschwarzen Stiefeln umher. Was wäre, wenn unter ihrem Bett ein Monster lauerte? Sie wollte gar nicht daran denken, aber die Möglichkeit bestand durchaus. Ihre Mutter erzählte ihr immer, dass, wenn sie nicht gehorchte, böse Gestalten kommen werden, um sie zu verschlingen. Auch hatte sie gesagt, dass es draußen schlimme Menschen gäbe, die sie betrogen hatten und nun tot sehen wollten. Was war, wenn sie unartig gewesen war, weil sie geweint hatte? Was war, wenn sich dort unten einer von diesen Bösewichten befand? Sie schüttelte sich und fing leicht an, zu zittern.

Genau in dem Moment öffnete sich ihre schwarze Zimmertür und eine Frau mittleren Alters betrat den Raum. Sie trug ein schwarzes, langes Gewand, das sehr eindrucksvoll und elegant wirkte durch zahlreiche Verzierungen und einer silbernen Halskette, die sie um den Hals trug und jenen gut zur Geltung brachte. Ihre schwarzen Stiefel hatten hohe Absätze, die bei jedem Schritt auf dem dunklen Dielenboden aufs Neue wie ein dröhnender Hammerschlag wirkten. Ihr Haupt zierte ein pechschwarzer Hut, der mit einer schwarzweißen Rose und einem darunter um den Hut gewickelten, weißen Seidenband verziert ist. Unter der noblen Kopfbedeckung schienen zwei schneeweiße Locken regelrecht hervor zu fließen und ihr Gesicht zu umrahmen. Den Rest ihres langen, platinblonden Haares hatte sie in einem ordentlichen, strengen Dutt zusammengefasst.

Ihr gesamtes Auftreten strahlte Autorität aus, die von ihrer Haltung, aber auch von ihrer Körpersprache untermauert wurde. Sie wirkte beinahe schon furchteinflößend.

Die Dame ließ ihren Blick über den Raum des kleinen Mädchens schweifen. Er war eigentlich sehr hochwertig und elegant eingerichtet: Die Wände waren in einem sehr dunklen Blau gehalten, vor dem winzigen Fenster hingen mächtige, schwere, dunkelblaue Vorhänge aus Seide. Die Möbel waren alle aus einem sehr dunklen Holz, das fast schwarz wirkte, bis auf das eiserne Himmelbett, das mitten im Raum stand und von den gleichen Vorhängen verdeckt wurde wie das kleine Fenster. Außer diesem Bett standen im Raum noch ein Bücherregal - voll bestückt mit klassischen Werken, die um einiges zu anspruchsvoll für ein kleines Mädchen waren - eine Kommode, auf der nur eine schöne, braune Geige lag, ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch, der tadellos aufgeräumt war, denn Juliette Erica Catherine Mereth-García besaß nicht viel, das sie hätte liegen lassen können.

Der Blick der Frau war ausdruckslos, während sie sich vergewisserte, dass alles an seinem vorherbestimmten Platz lag, doch sobald sie die eine Ecke des Zimmers sah, die das dunkle, trübsinnige Blau durchbrach mit einem hellen Sonnengelb, wurde ihr Blick hart und sie rümpfte kurz angewidert ihre Nase. Dann glitt ihr Blick zu dem kleinen Mädchen, das zitternd vor seinem Bett stand, unfähig, sich zu rühren.

Das Mädchen wandte sich ihr zu, als sie bemerkte, dass ihre Mutter den Raum betreten hatte. Sie sah sie mit großen, roten Augen an und ihre Nase lief noch vom Weinen. Es war nicht klar, ob die Dame immer noch wegen der hässlich gestrichenen Ecke oder wegen ihrer Tochter die Nase rümpfte.

"Mutter, ich habe Angst", murmelte die Kleine kaum verständlich.

Drei Dinge, die ihre Mutter nicht leiden konnte, waren Angst, Schwäche und schlechtes Benehmen. Doch das verstand Juliette Erica Catherine Mereth-García damals noch nicht, sie war doch noch so jung.

Ihre Mutter ging auf sie zu und vor ihr in die Hocke. Für einen Moment glaubte die Tochter, ihre Mutter würde sie umarmen, sie trösten. Aber das tat sie nicht.

Stattdessen holte sie aus und verpasste dem Kind eine Backpfeife. Es klatschte laut und die Wange des sonst so blassen Mädchens war feuerrot, als die Hand der Dame verschwand, aber dennoch schrie es nicht. Es wimmerte nur, denn es wusste, dass es seiner Mutter hörig sein musste, um jeden Preis. Der Drache musste zufrieden mit ihm sein, damit er es in Ruhe ließ. Es war kein Ritter, sondern eine Prinzessin. Kein Held, sondern jemand, der gerettet werden musste, irgendwann. Sie glaubte fest daran, dass sie eines Tages gerettet werden würde, sie musste es glauben. Wenn die Vierjährige nicht an einen freundlichen Ritter glauben würde, der den Fluch auf ihrer Mutter aufheben würde, wäre ihre Kindheit verloren. Doch auch das wusste die süße Juliette Erica Catherine Mereth-García zu dieser Zeit noch nicht, weshalb sie mit ihren Kinderaugen immer nur das sah, was sie sehen wollte: Ihre Mutter, die unter einem Zauber stand, der bewirkte, dass sie sich in ein schuppiges, großes Ungetüm verwandelte. Hätte das Mädchen früher schon gewusst, dass Märchen nicht so real waren wie sie glaubte, hätte sie es vielleicht erkannt. Denn Juliette war schlau, oh, ganz gewiss. Sie hatte mit nicht einmal vier Jahren das Lesen gelernt, nachdem man sie tagelang dazu gezwungen hatte, allein in ihrem Zimmer zu sitzen, nur mit einem Stapel von Büchern. Zwar konnte sie noch nicht die schwere Lektüre lesen, die ihre Mutter bevorzugte, aber sie konnte leichte, fantasievolle Kinderbücher lesen, die sie immer heimlich von der Hauselfin Zuri zugesteckt bekam. Natürlich wäre ihre Mutter gegen dieses Unterfangen, sie mochte nämlich weder farbenfrohe Kinderbücher noch Hauselfen. Solche, ihrer Meinung nach verdorbenen Bücher waren nichts als Humbug und förderten nur das Absterben von Gehirnzellen. Die Dame war konservativ und gnadenlos, was sich auch im Umgang mit ihren Hauselfen zeigte: Sie schlug, tritt und folterte sie sogar, wenn sie nur den geringsten Fehler machten. Wenn sie die Lust verspürte, tötete sie sie. Sie duldete nunmal keine Schwäche.
Dies alles war der jungen Tochter nicht geläufig, denn sie übersah es einfach. Für sie war es einfach nur ihre strenge Mutter mit schuppigem, heißem Problem. Trotzdem hatte sie Zuri  dennoch vertraut, als sie sie darum gebeten hatte, über diese Sache kein Wort zu verlieren, da sie sonst bestraft werden könnte. Sie wusste nicht, was genau Zuri mit Strafe meinte, aber sie verstand, dass es ihr am Herzen lag und schwor, die Bücher gut zu verstecken und niemals ein Sterbenswörtchen über sie zu verlieren.

"Ich dulde keine Schwäche, Juliette", die Stimme der Dame ertönte laut und schallend, triefend vor Autorität.

Die Tochter zuckte zusammen, so wie jedes Mal, wenn jemand ihren Vornamen aussprach. Sie riss sich jedoch schnell zusammen und senkte ergeben und stumm den Kopf.

"Du bist jämmerlich. So schwach. Es hat den Anschein, dass meine Methoden noch keine Wirkung zeigen. Du weißt doch, was das heißt, mein Herzblatt?",fuhr die Mutter kühl fort und legte einen behandschuhten Finger unter das Kinn ihrer Tochter und hob es unsanft an.

Das Mädchen nickte langsam und Tränen traten in ihre warmen, braunen Augen.

Ihre Mutter packte fest ihr schmales, dörres Handgelenk und zog sie grob aus dem Raum.

Das kleine Mädchen wehrte sich nicht, denn es wusste, was kommen würde. Es hatte es schon viele Male zuvor durchgestanden.

Schmerz. Das kannte Juliette Erica Catherine Mereth-García nur zu gut. Mit ihren vier Jahren hatte sie schon so einige Strafen von ihrer Mutter erhalten, viele davon waren körperlicher Natur. Sie konnte schon gar nicht mehr sagen, wie oft sie durch den Flur gezerrt und in jenen kalten, düsteren Raum gebracht worden war, in dem jedes Licht fehlte. Er war wie ein schwarzes, endloses Loch, das darauf wartete, sie zu verschlingen.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 27, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Eine Harry Potter FF ohne TitelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt