Anstatt in Richtung der wenigen Häuser zu laufen, die unsere Siedlung schmückten und in denen teilweise noch Lichter brannten, zog es mich in die andere Richtung. Nur wenige hundert Meter vom Haus meines Vaters entfernt ragten die Ausläufer des Kootenai Nationalparks mit seinen hohen Nadelbäumen bedrohlich über die wenigen Wohnhäuser. Ich wollte nicht, dass einer der Nachbarn sah, wie ich allein im Dunkeln umherwanderte, ich wollte Dad nicht zumuten, dass es Gerede gab. Stattdessen wollte ich einfach nur meine Ruhe haben. Gierig sog ich die frische Luft ein und versuchte, den Alkoholgestank aus der Nase zu spülen. Die schwere Sommerluft roch blumig und nach trockenem Gras und wirkte sofort beruhigend auf mich.
Wieso hatte ich nicht kommen sehen, dass mein Verhalten einen Rückfall bei Dad auslösen könnte? Weil du eine egoistische Kuh bist, schoss es mir durch den Kopf. Gleichzeitig tauchte ein kleines Teufelchen auf meiner rechten Schulter auf und flüsterte mir ins Ohr: Es ist dein Leben, er ist alt genug, um mal darüber hinwegzukommen. Du kannst nicht ewig bei allem zurückstecken, nur aus Rücksicht ihm gegenüber. Sofort schämte ich mich für diesen Gedanken, was meine Schritte beschleunigte.Je dichter das Blätterdach wurde, desto kühler wurde es, wenngleich die Luft immer drückender und stickiger wurde. Schnell breitete sich ein dünner Schweißfilm auf meinen Armen und meinem Hals aus. So richtig kannte ich mich hier nicht aus, früher war ich zwar öfter mal mit Dad spazieren gewesen, doch selbst hatte es mich nie wirklich in den Wald gezogen. Mein Blick war immer in Richtung der Großstadt gerichtet gewesen. Mittlerweile waren die Tränen auf meinen Wangen getrocknet und mein Kopf begann sich zu klären. Es tat mir im Herzen weh, meinen Vater so zu sehen und noch schlimmer: Mitansehen zu müssen, wie er sich selbst mithilfe des Alkohols zerstörte.
Während ich so langsam wieder gänzlich zu mir kam, wurde mir auch immer mulmiger zumute. Der Mond schien kaum heute Nacht und ich konnte kaum mehr sehen als den Weg, der vor mir lag. Ich war bereits mehrfach abgebogen, in dem Vertrauen dass mich die vielen Wanderschilder schon zurückführen würden, doch so langsam machte sich die Angst in mir breit, ich könnte in der Dunkelheit die Schilder einfach übersehen.
Unsicher überlegte ich, ob ich nicht besser umkehren sollte und als ich an der nächsten Weggabelung ankam, war der Entschluss gefasst. Ich drehte kurzerhand wieder um und lief den Weg zurück, den ich gekommen war.
Nachdem ich allerdings bald genauso lang unterwegs war wie auf dem Hinweg und immer noch keine asphaltierte Straße in Sicht war, wurde klar, dass ich mich verlaufen hatte. Scheiße! Wie konnte man so kopflos in einen Wald hineinstürmen? Gerade machten sich frische Tränen in meinen Augen breit, als ich Stimmen hörte. Ich erstarrte und versuchte über das lärmende Schlagen meines Herzens hinwegzuhören.
Konnte mir das Schicksal tatsächlich hold sein und mir ein paar nächtliche Wanderer schicken? Die Stimmen, die eindeutig männlich waren, kamen aus Richtung eines großen schwarzen Nichts, von dem ich erst auf den letzten Metern begriff, dass es eine Lichtung war, deren Ausmaß in der nächtlichen Dunkelheit gar nicht genau zu erkennen war.
Hinter der letzten Baumreihe verborgen, verharrte ich in der Nacht und spähte hinaus auf die Lichtung. Ganz in der Nähe meinte ich, einen großen umgekippten Baumstamm zu erkennen, an dem sich drei schemenhafte Gestalten aufhielten. Tiefes Gelächter war zu hören und dann das Klirren von Flaschen. Ich hatte ein unangenehmes Brennen im Bauch, doch was blieb mir anderes übrig? Ich konnte noch die ganze Nacht ziellos hier umherirren, oder die drei Fremden um Hilfe bitte. Vermutlich waren es drei harmlose Wanderer, die zu dieser Stunde hier raus gekommen waren, um den klaren Sternenhimmel zu beobachten. Ich schrieb mein ungutes Bauchgefühl meiner generellen Abneigung Fremde um Hilfe zu bitten zu.
Schüchtern trat ich hinter dem breiten Tannenstamm hervor.
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Moonkissed
RomanceJess lebt im dichtbewaldeten Norden Montanas. Obwohl sie zu der schüchternen, zurückgezogenen Sorte gehört, läuft ihre erste Collegewoche besser als gedacht. Unverhofft kommt oft - und so findet sie schnell Freunde. Ihr Hoch kommt jedoch zu einem jä...